Krise, Krisenpolitik und der Protest dagegen
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Beschreibung
vor 13 Jahren
Die Unternehmer stürzen mit Verweis auf ihre Krisenlage alle
gewohnten Arbeitsverhältnisse um, kürzen auf breiter Front die
Löhne und verlangen mehr Leistung, stellen massenhaft Leute aus
und keine neuen ein – das gebietet ihr Geschäft und das erlaubt
ihre ökonomische Macht: Sie sind es schließlich, die mit ihren
Geldmitteln und -rechnungen darüber kommandieren, wie gearbeitet
wird und was der arbeitende Mensch davon hat.
Die regierenden Politiker sparen mit Verweis auf ihre
Haushaltslage an staatlichen Aufwendungen – zu Lasten ihres
jeweiligen Volks: Staatsbedienstete werden entlassen oder deren
Einkommen radikal gekürzt, die unternehmerischen Angriffe auf den
Lohn durch rechtliche Regelungen und Erlaubnis neuer prekären
Arbeitsverhältnisse und Niedriglöhne, durch die Senkung von
staatlich verordneten Lohn'nebenkosten' und durch den Ab- und
Umbau staatlich geregelter Sozialleistungen ergänzt und
verallgemeinert.
Die Regierenden hierzulande rühmen sich und ihre Vorgänger dafür,
das Deutschland da mit gutem Beispiel vorangegangen und mit
seiner Agenda 2010 rechtzeitig das an passenden sozialstaatlichen
Korrekturen vorgenommen und an Billiglohnverhältnisse
eingerichtet hat, was andere europäische Staaten jetzt nachholen
müssen und nach deutschem Geschmack immer noch viel zu halbherzig
angehen. Das muss sein, damit Europas Wirtschaften wieder
gesunden, so die Auskunft und auch schon das ganze Argument:
Anderes verträgt die Wirtschaft nicht, anderes kann und will die
Politik deshalb auch nicht herbeiregieren. Eine rücksichtslose
Auskunft über die Sachnotwendigkeiten der herrschenden
Wirtschaftsweise und ihre staatliche Betreuung.
Die Betroffenen wären gut beraten, der Sache auf den Grund zu
gehen. Die öffentlich vorgetragenen Einwände und Proteste zielen
allerdings in eine andere Richtung: Sie beklagen die „wachsende
Schere zwischen arm und reich“, statt nach der Eigenart und dem
Gegensatz der Einkommensquellen zu fragen, die die einen und
immer mehr auf den unteren Etagen der Einkommenshierarchie
festnagelt und immer mehr nach 'unten' befördert, also kein
irgendwie erträgliches oder auch nur gesichertes Ein- und
Auskommen garantiert: Da ist dann nicht mehr so sehr die
materielle Lage der Massen der Skandal, sondern die Differenz
zwischen deren verfügbarem Geld und dem der oberen Zehntausend;
und nicht einmal diese Differenz für sich, sondern dass „sich die
Schere immer weiter öffnet“, also deren – in den Augen der
Beschwerdeführer zu großes – Anwachsen. Aber was heißt schon:
'öffnet sich'! Wird die Verarmung bei denen, die auf Arbeit
angewiesen sind, und der wachsende Reichtum, der sich auf der
anderen Seite sammelt, nicht irgendwie produziert! Schaffen nicht
'die Reichen' die zum raren Gut gewordenen Arbeitsplätze, lassen
arbeiten und organisieren Beschäftigung so und nur so, dass sich
ihr Reichtum mehrt, aber nicht die Lebensmittel derer, die sie
beschäftigen!
Da wird beklagt, dass „das Gerechtigkeitsempfinden“ leidet, am
Ende der „Zusammenhalt der Gesellschaft“ und die „Demokratie“.
Leidet das arbeitende und massenhaft arbeitslose Volk mit seinen
wachsenden Existenzsorgen vornehmlich an verletzten moralischen
Empfindungen? Wenn allenthalben die Beschäftigten und
Nichtbeschäftigten ihre wachsende Not in einen moralischen
Verstoß und politische Versäumnisse übersetzen, geht das in
Ordnung? Hat die Herrschaft, die ihnen die sozialstaatliche
Verwaltung aufnötigt und aufkündigt die demokratische Zustimmung
eigentlich verdient, um die sich gesorgt wird? Offensichtlich
buchstabiert sich Gerechtigkeit bei Lohn und Leistung,
Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, sozialstaatlichen Regelungen
und ihrer radikalen Beschneidung doch ganz anders als nach
Vorstellungen einer gerechteren Verteilung, die dem kleinen Mann
das seine, - was eigentlich? einen halbwegs sicheren Arbeitsplatz
und ein bescheidenes Auskommen! - und den anderen das ihre, - was
eigentlich? eine maßvolle Bereicherung und die Pflicht, ihren
Reichtum auch ordentlich zu investieren! - zukommen zu
lassen.
Und überhaupt: Soll man sich der öffentlichen Sichtweise
anschließen, dass das junge und alte Prekariat, Niedriglohn- und
Hartz IV-Empfänger, die Rentner, die demnächst massenhaft unter
das offizielle Armutsniveau fallen, die Mittelschichtler mit
ihrem sozialer Abstieg, also all die, die Probleme mit ihrer
Existenzsicherung haben, lauter Probleme für Gemeinwesen und
Staat schaffen. Für einen Staat, dessen Regierungen mit ihrer
Förderung von Niedriglohnbeschäftigung und mit ihren radikalen
Einschnitten bei der wachsenden Klientel der Sozialkassen die
Armutskarrieren gerade systematisch organisieren und zementieren,
weil das die Unternehmen und die staatlich organisierten
Sozialkassen brauchen. Die Unternehmen darf die Betreuung der
Sozialfälle, die bei ihren Rechnungen mit lohnender Arbeit
offenkundig laufend anfallen, nicht belasten, und der Staat kann
sie sich nicht leisten, je mehr sie werden: So geht offenkundig
sozialstaatliche Gerechtigkeit!
Die Protestanten sehen das umgekehrt. „Umfairteilung“ heißt die
Parole. Das richtet sich nicht auf den Lohn und gegen die
Adresse, die mit 'Beschäftigung' ihr Geschäft macht, sondern an
die Adresse des Staats. Dem nehmen die öffentlichen Anklagen
einerseits seine Geldnöte ab: Ohne dass der Staat Reichtum in die
Hände bekommt, geht nichts. Dem geben sie andererseits aber zu
bedenken, dass es den Reichtum ja wohl gäbe, er müsste ihn sich
nur holen, bei den Reichen, um es dann in alle möglichen guten
Werke zu investieren: in Bildung, Soziales, Arbeitsplätze... Da
wird dem Staat mit seinem hoheitlichen Steuerzugriff und der
Freiheit, die er sich bei seiner Finanzierung nimmt, viel Gutes
zugetraut – wenn die Politik bloß wollte. Damit handeln sich die
radikalen Bittsteller prompt den Hinweis ein, dass die Politik
ihre unabweisbaren Gründe hat, die großen Vermögen zu schonen –
das sind schließlich die einzigen, die investieren können und
sollen, und ohne das geht nichts an Beschäftigung. Darum, dass
Lohnabhängige, deren Einsatz sich nicht lohnt, eine Beschäftigung
und Existenzgrundlage kriegen, wird es dann beim Investieren und
dessen staatlichen Förderung und bei Steuer und Haushaltspolitik
überhaupt wohl auch nicht gehen.
Ausgerechnet danach, nach 'Beschäftigung' und mehr Bemühungen des
Staats darum verlangen die Protestler: nach Erhaltung und
Förderung der Brauchbarkeit der Bevölkerung – für einen
Arbeitsplatz, an dem gar nicht die erlernte Fähigkeit, sondern
die unternehmerischen Geldrechnungen darüber entscheiden, welche
Qualifikation gefragt, ob und wie der arbeitsfähige Mensch
gebraucht wird und was er dafür verdient...
Die Politiker erklären eins ums andere Mal die
'Alternativlosigkeit' ihrer materiellen Eingriff in und Angriffe
auf die Lebensbedingungen ihrer arbeitenden und arbeitslosen
Bevölkerung. Die Wirtschaft und mit ihr die Nation muss wieder
auf die Beine kommen, sonst geht nichts – dafür sind sie
verantwortlich! Statt mit Berufung auf selbstverschuldete
Finanznöte des Staats der Politik bessere Alternativen anzutragen
und abzufordern, sollte man deren Auskünfte, dass ein nationales
Wirtschaftswachstum, von dem der Staat lebt und mit dem die
nationalen Politiker leben können, und ein erträgliches Auskommen
des Arbeitsvolks nicht zusammengehen, so ernst nehmen, wie die es
meinen und praktizieren!
Teil 1: Vorbemerkung
Teil 2: Die Proteste gegen die Krise und ihre Kritik (siehe auch
die Zitate) Gegenaufklärung: Klarstellungen zur Krisenpolitik -
Auskünfte über die Normalität von Staat und Kapital
Teil 3: Staat und Staatsverschuldung - Vorgriff auf
kreditbefeuertes Wachstum - Staatschuldenkrise
Teil 4: Krise und staatliche Krisenbewältigung
Teil 5: Der Protest: Ruf nach Beschäftigung - Die Empörung
demokratischer Bürger
Teil 6: Diskussion
Veranstalter: AK Gegenargumente
Weitere Publikationen zum Thema von argudiss oder von anderen:
Occupy-Wallstreet: Das Volk gegen die 1%-Übermacht der
Wallstreetprofiteure in GegenStanpunkt 4-11
„Blockupy“ – Aktionstage in Frankfurt Wie Protest demokratisch
fertiggemacht wird GegenStandpunkt 3-12
Politik und Medien agitieren sich den Bürger für die staatliche
Krisenpolitik zurecht Wie das Volk geistig die Krise bewältigen
soll, für die es praktisch in Haftung genommen wird in
GegenStandpunkt 4-11
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