Tove Ditlevsen: Vilhelms Zimmer

Tove Ditlevsen: Vilhelms Zimmer

7 Minuten
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Beschreibung

vor 1 Jahr

Seit einigen Jahren findet das Schaffen der dänischen Autorin
Tove Ditlevsen auch in der deutschen Leserschaft die ihr
gebührende Aufmerksamkeit. Diese späte Anerkennung – verstarb sie
doch bereits im Jahr 1976 – ist nicht zuletzt dem Aufbau Verlag
und der Übersetzerin Ursel Allenstein, die ihre Werke ins
Deutsche übertrug, zu verdanken. Im letzten Jahr erschien
außerdem – zur Freude ihrer Fans – eine Biografie über Tove
Ditlevsen, in der sich Jens Andersen, welcher sich als Biograph
anderer internationaler Größen wie Astrid Lindgren und Hans
Christian Andersen bereits einen Namen gemacht hat, eingehend dem
Leben und Werk Ditlevsens' widmet. Ihr letzter Roman, Vilhelms
Zimmer, erschien kürzlich nun ebenfalls auf Deutsch und im
Original nur ein Jahr vor ihrem Tod, wodurch er sich geradezu wie
eine selbsterfüllende Prophezeiung liest. Damals wie heute wird
der Leserin schnell klar, wen die Handelnden Personen darstellen,
schon allein deshalb, weil ihre Werke immer einen, für sie
prägenden, autofiktionalen Charakter besitzen, sie auch in diesem
Roman alle Themen bearbeitet, die wir bereits aus ihrem
vorangegangenen literarischen Œuvre kennen und damit einen
Schlusspunkt setzt.


Die Erzählerin in Vilhelms Zimmer macht gleich zu Beginn des
Romans deutlich, was dieser bezwecken will. Es ist die Geschichte
von Vilhelms Zimmer und allen und allem was damit in Verbindung
steht und letztlich zum Tod der Protagonistin Lise – kein Spoiler
– führt. Es handelt sich um Lise Mundus, bei deren Namen wir
direkt aufmerken, kennen wir sie doch bereits aus Gesichter, dem
Roman, den Ditlevsen sieben Jahre vorher veröffentlichte. Fast
liest sich Vilhelms Zimmer wie eine Fortsetzung, ein Abschied,
vielleicht auch ein Erklärungsversuch, auch wenn das Personal,
von Lise einmal abgesehen, ein anderes als in Gesichter ist. Bei
besagtem Vilhelm handelt es sich um ihren Ehemann, der
schließlich, nach zahlreichen außerehelichen Affären, zu seiner
Geliebten Mille gezogen ist. Lises und Vilhelms Ehe ist
gescheitert, geschieden sind sie jedoch nicht und werden es auch
nie sein. Tove Ditlevsen arbeitet in diesem Roman ihre eigene
Trennung von Ehemann Victor Andreasen auf; versucht diese in eine
literarische Form zu bringen. Die Erzählerin ist auch
gleichzeitig Lise selbst, was mitunter verwirrend erscheint, erst
Recht, wenn sie von sich selbst in der dritten Person schreibt.
Gleichzeitig verschafft es ihr aber die Möglichkeit, als
Beobachterin aufzutreten und mit einer Distanz auf die
Protagonistin und ihr Handeln zu schauen und dieses
einzuschätzen, wie es ihr als Lise selbst nicht möglich wäre.


Die Beziehung von Lise und Vilhelm würden wir heutzutage
vermutlich als toxisch beschreiben. Sie ist geprägt von
gegenseitigen Verletzungen, oft aufgrund eigener
Unzulänglichkeiten oder durch Prägungen aus der Kindheit, von
Abhängigkeit und psychischer Folter. Es geht aber auch darum, wie
Lise versucht, sich zu emanzipieren und sich Vilhelms Einfluss zu
entziehen. Dieser ist neidisch auf ihren Erfolg und unterstellt
ihr mehrfach, dass sie ohne ihn gar nicht so weit gekommen wäre.
Zudem quält er sie regelmäßig damit, dass er vorgibt, dieses oder
jenes an einer Frau zu schätzen und während sie versucht, diesen
Vorstellungen gerecht zu werden, hat er seine Meinung im nächsten
Moment schon wieder geändert. Es ist ein Katz und Maus Spiel und
während er sich gern als ihr Retter gibt, kommt er, trotz der
Trennung, nicht von ihr los und Lise schafft es im letzten
Moment, tragischerweise durch ihren selbst gewählten Suizid, aus
dem Teufelskreis der Abhängigkeit auszubrechen. Ihre letzte frei
gewählte Entscheidung über ihr Leben, die sie es gleichzeitig
kostet. Es ist ein Triumph über Vilhelm, der das Machtverhältnis
endgültig zerbricht und so radikal wie konsequent ist.


Weitere Personen im Roman sind beispielsweise die Vermieterin
Frau Thomsen, die davon lebt, „Zimmer an anständige junge Herren
aus gutem Hause zu vermieten“ (S.11) und deren Beschreibung eher
gruselig anmutet. In ihrer eigenen Wohnung lebt zunächst noch
Kurt, der später in Lises Wohnung, ein Stockwerk tiefer, in
Vilhelms ehemaliges Zimmer ziehen wird, nachdem Lise, motiviert
durch Greta, die Patientin in derselben Klinik ist, in der Lise
sich zeitweilig befindet, eine Kontaktanzeige aufgegeben hat, auf
die Kurt sich meldet. Sein Charakter, eher geprägt durch
Charakterlosigkeit, basiert nachweislich ebenfalls auf einer
Person aus Ditlevsens realem Umfeld. Seine Funktion im Roman ist
mir aber nie ganz klar geworden. Sein Verhalten ist äußerst
befremdlich, denn er lebt nicht nur in Vilhelms Zimmer, sondern
liest auch dessen Tagebücher, trägt seine Kleidung und nimmt
teilweise sogar dessen Einstellung und Gefühle gegenüber Lise an.
Er wird zu einer Art Schatten Vilhelms. Am Ende hat seine Figur
aber ihren – wie auch immer gearteten – Zweck erfüllt und wird
abgesägt. Er ist nur ein Statist, der nicht mehr benötigt wird
und kehrt zurück in die Wohnung der Vermieterin, mit der er eine
seltsame Art von amouröser Beziehung hat.


„Er verkroch sich in den Schutz jener alten Geborgenheit, die man
im Mangel an Veränderung findet, und dort werden wir ihn jetzt
zurücklassen und ihm frohe Weihnachten oder irgendetwas anderes
Nichtssagendes wünschen, was immer noch besser ist als gar
nichts. Er hat seinen Zweck erfüllt und fällt jetzt zwischen den
Seiten heraus wie ein getrockneter Veilchenstrauß ohne Farbe und
Geruch.“ (S. 176/177)


Über allem schwebt im Roman aber auch immer wieder die Frage nach
künstlerischer Anerkennung unter deren Mangel Tove Ditlevsen
zeitlebens litt – wurde sie doch nie in dem akademischen Kreis
anerkannt, zu dem sie gehören wollte – und mit der auch ihre
Protagonistin Lise zu kämpfen hat. Zu Recht wurden Ditlevsens
Werke der deutschen Leserschaft zugänglich gemacht und ihr
dadurch auch hierzulande zumindest postum Erfolg zuteil, der ihr
schon zu Lebzeiten zugestanden hätte. Möglicherweise wären sie
vor 50 Jahren aber auch gar nicht so begeistert aufgenommen
worden wie heutzutage und wir können uns glücklich schätzen, sie
nun, da sie noch genauso aktuell sind wie damals, entdecken zu
dürfen. Was Tove Ditlevsens Werke für mich ausmachen, ist
einerseits ihre Sprache, die sowohl unheimlich plastisch sein
kann als auch beschreibend so genau den Kern einer Sache trifft,
andererseits wie bedingungslos sie ihre Themen bearbeitet, im
wahrsten Sinne: als ginge es um Leben und Tod.


Link zur Rezension von “Gesichter”:


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