Toshikazu Kawaguchi: Bevor der Kaffee kalt wird

Toshikazu Kawaguchi: Bevor der Kaffee kalt wird

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Beschreibung

vor 2 Wochen

Der bekannte dänische Philosoph Søren Kierkegaard hat einmal
geschrieben: „Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber
leben muss man es vorwärts.“ Ein Zitat, dem, neben mir, sicher
viele so zustimmen würden und das mir immer mal wieder in den
Sinn kommt. Doch was wäre, wenn die Möglichkeit bestünde an einen
gewissen Punkt in seinem Leben zurückzureisen und das mit dem
Wissen und den Erkenntnissen, die man in seiner Gegenwart hat?
Sicher ein verlockender Gedanke, hat sich vielleicht auch der aus
Osaka, Japan stammende Toshikazu Kawaguchi gedacht, als er die
Idee zu seinem Buch Bevor der Kaffee kalt wird hatte, welches
2015 im japanischen Original und 2018 auf Deutsch im Knaur Verlag
erschien.


Schauplatz seines Romans ist ein Café, das den Namen Funiculi
Funicula trägt und gleichzeitig der Titel eines bekannten
neapolitanischen Volksliedes ist. Das kleine Café verfügt nur
über drei Tische mit je zwei Plätzen und einen Tresen mit drei
Stühlen. Durch die gedämpfte Beleuchtung, der Patina an den
Wänden und drei alten Uhren, die alle unterschiedliche Zeiten
anzeigen, versprüht es einen gewissen Charme und ist im Sommer
gleichzeitig angenehm kühl, obwohl keiner so richtig sagen kann,
warum eigentlich. Außerdem rankt sich um das Café die Legende,
dass es hier die Möglichkeit gibt, in die Vergangenheit
zurückzureisen. Und tatsächlich ist es möglich, doch nur unter
Einhaltung einiger strenger Regeln. Die fünf wichtigsten werden
dem Lesenden schon im Prolog des Romans eröffnet und lauten wie
folgt: „ 1. Nur diejenigen Menschen kann man in der Vergangenheit
treffen, die ebenfalls das Café besucht haben. 2. Man kann in der
Vergangenheit nichts tun, um den Ausgang der Ereignisse in der
Gegenwart zu beeinflussen. 3. Wenn ein anderer Gast auf diesem
magischen Stuhl sitzt, muss man warten, bis er diesen freigibt.
Erst dann kann man sich niederlassen. 4. Während man sich in der
Vergangenheit aufhält, darf man unter gar keinen Umständen
aufstehen. 5. Der Aufenthalt in der Vergangenheit ist zeitlich
begrenzt. Man muss aus ihr zurückkehren, bevor der Kaffee kalt
geworden ist.“ (S.6/7) Es kommen noch ein bis zwei weitere
Schwierigkeiten hinzu, die im Verlauf der Handlung erläutert
werden, die Handelnden aber nicht davon abhalten, den magischen
Stuhl zu benutzen und in die Vergangenheit zu reisen. Dabei
gliedert Kawaguchi seine Story in vier Kapitel, wobei jedes
Kapitel aus einem Paar besteht, dessen Geschichte im Fokus steht.
Das sind: Die Liebenden, Das Paar, Die Schwestern und Mutter und
Kind.


Soweit so gut. Zwar ist das Motiv des Zeitreisens nicht neu, aber
ich fand die Herangehensweise inklusive des Regelkatalogs – und
Regeln braucht es für das Zeitreisen, das ist völlig klar – recht
interessant. Das Reglement macht ebenfalls von Anfang an
deutlich, dass es in diesen vier Episoden nicht darum geht, die
Gegenwart durch eine Reise in die Vergangenheit zu ändern,
sondern eher ein Lehrstück zu sein, eine verpasste Gelegenheit zu
nutzen, etwas besser zu machen. Ich fand es eine schöne Idee und
versprach mir auch Kurzweil – vom als Weltbestseller bezeichneten
Werk – war letztlich aber doch recht enttäuscht. Die Sprache und
Beschreibungen der Situationen wirkten eher hölzern auf mich, was
zum Einen an der Übersetzung liegen kann, vom Englischen ins
Deutsche wohlgemerkt, also mit Zwischenschritt, aber dennoch ein
Fakt, den ich nicht wirklich beurteilen kann. Zum Anderen könnte
es auch der Tatsache geschuldet sein, dass es zunächst als
Theaterstück aufgeführt wurde und erst nach seinem großen Erfolg
als solchem zu Kawaguchis literarischem Debüt wurde. Außerdem
empfand ich es als störend, dass viele Informationen sehr oft
wiederholt werden. Was bei dem Regelwerk fürs Zeitreisen,
zumindest am Anfang, für Vergessliche wie mich noch nützlich ist,
nervt spätestens beim dritten Mal nur noch. Auch die stereotypen
Beschreibungen der Protagonist:innen fielen mir regelmäßig auf
und sind etwas, womit ich mich nicht anfreunden kann und will.
Sicher ist es nicht mein erster Roman eines japanischen Autoren
und die abweichenden Werte- und Moralvorstellungen zu
beispielsweise uns Europäern wurden auch im Studio B Kollektiv
bereits diskutiert. Dennoch waren mir die Beschreibungen oft
einfach zu plakativ, die Frauen immer zu schön und wenn sie dann
doch mal einen jüngeren Partner haben, hat der natürlich einen
Vollbart und sieht wenigstens 10 Jahre älter aus als sie, alles
andere wäre ja undenkbar.


Unvorstellbar für mich wiederum, dass es mittlerweile sogar noch
zwei Fortsetzungen des Romans gibt. Ich sage es mit meinen
Worten: Das Buch hat mich einfach nicht abgeholt. Obwohl ich die
Idee und Herangehensweise grundsätzlich gut fand, hat mich die
Umsetzung weder berührt noch überzeugt. Vielleicht ist die alte
Was-wäre-wenn – Frage gar nicht so wichtig und Kierkegaard hatte
natürlich recht, im Rückblick kann man viele Dinge besser
verstehen, aber ein nach vorn gewandtes Leben ist manchmal oder
oft wichtiger. Daher möchte ich mit etwas Positivem enden und an
dieser Stelle statt Bevor der Kaffee kalt wird doch lieber die
bereits von mir besprochene Sayaka Murata mit ihren herrlich
schrägen Romanen empfehlen, für diejenigen, die es nach
japanischer Lektüre dürstet.


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