Die Demoskopen-Herrschaft | Von Roberto J. De Lapuente

Die Demoskopen-Herrschaft | Von Roberto J. De Lapuente

11 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Die Macht der Meinungsforscher und ihre suggestiven
Umfrageergebnisse untergraben die Demokratie.


Ein Standpunkt von Roberto J. De Lapuente.


Die Mehrheit der Deutschen, so ließen es neulich Meinungsforscher
mitteilen, sei jetzt für 2G — bedeutet das, dass eine solche
Politik demokratisch legitimiert ist? Demokratie, so die gängige
Definition, ist die Herrschaft einer Mehrheit. Wer könnte
ernsthaft etwas dagegen einzuwenden haben? Und doch: Nehmen wir
an, die Mehrheit der Weißen würde entscheiden, dass die
Minderheit der Schwarzen nicht mehr in Restaurants und Kinos
gelassen werden dürfte — wäre das nicht lupenreine Demokratie?


 Und würde eine Mehrheit für die Einführung der Diktatur
votieren — müssten sich gute Demokraten dem nicht fügen? Man
sieht, die Sache ist nicht ganz so einfach. Am Ende wäre es doch
vorzuziehen, wenn überhaupt niemand über den anderen herrschte,
wenn es vor allem keine Zone mit zweierlei Bürgerrechten gäbe.
Vor allem zeigt der Boom der Demoskopie aber eines: Diese Zunft,
die eigentlich dazu bestimmt war, Tatsachen zu dokumentieren,
geht in der Mediengesellschaft zunehmend dazu über, die Realität
mit zu erschaffen.


Dass es nun doch eine Mehrheit von Bürgerinnen und Bürgern gibt,
die sich für eine strikte Umsetzung von 2G ausspricht, also für
den Zutritt nur von Geimpften und Genesenen bei Veranstaltungen
oder im Restaurant, hat man der Öffentlichkeit neulich recht
stolz präsentiert. Laut Meinungsforschungsinstitut Insa sollen 57
Prozent dafür sein — nur 33 Prozent der Befragten halten ein
solches Vorgehen für falsch. Die Mehrheit der Befürworter sei
sogar für eine verpflichtende und nicht nur für eine freiwillige,
auf Hausrecht basierende Umsetzung.


Als guter Demokrat muss man da zurückstehen und die Mehrheit
akzeptieren, oder? Wenn die Menschen mehrheitlich etwas fordern,
ist das doch ein Signal, eine demokratische Kennzahl, die man
nicht einfach ignorieren kann, stimmt’s? Jedenfalls suggerieren
das Medien und News-Ticker, die uns immer wieder auf solche
Umfragen mit — sagen wir mal — „überraschenden“
Mehrheitsverhältnissen hinstoßen.


Dass es in vielen Fällen nicht um Fragen geht, die durch die
Mehrheit beantwortet werden können — und dass Umfragen eben nur
das sind, nämlich lumpige Umfragen, darüber spricht im
Medienbetrieb kaum noch jemand.


Man nimmt die Demoskopie hin wie ein Naturgesetz — und
verwechselt sie, vermutlich weil fast namensgleich, mit der
Demokratie.


Die Demoskopkratie: Willkommen in der Umfrage-Republik!


Seit Jahren schon leben wir in einem Land, das sich zu seiner
eigenen Legitimation immer wieder auf Umfrageergebnisse beruft.
Mancher mag sich erinnern, dass auch zu jener Zeit, da die
Sozialdemokratie und die Grünen die Agenda 2010 realisierten,
immer wieder Umfragewerte abgerufen wurden. Eine Mehrheit war
damals für Hartz IV. Wieso auch nicht, schließlich hat jeder Tag
für Tag in Zeitung und Fernsehen erklärt bekommen, dass man diese
raffgierigen und faulen Arbeitslosen nur so in den Griff bekäme.
Die Umfragewerte hatten für die Reformer einen moralischen Wert:
Auf ihrer Basis witterten sie ein gefühltes Mehrheitsverhältnis —
und wenn die Mehrheit dahinter steht, war man ja auf dem
richtigen Weg.


Die Meinungsforscher haben sukzessive einen Platz in dieser
Republik eingenommen, den man sich gar nicht mehr wegdenken kann.


Die Sonntagsfrage oder die Beliebtheitswerte haben eine derart
gravierende Aufwertung erhalten, dass man manchmal den Eindruck
hat, eine Oppositionspartei oder ein Oppositionspolitiker
interpretierten sich mitten in der Legislaturperiode als geheime
Bundesregierung oder als geheimer Bundeskanzler, nur weil sie in
diesen Wertungen gerade mal besser abschneiden.


Ab April 2020 war der Bundestag quasi abgeschafft, die
Bundesregierung arbeitete mit Notverordnungen und einem
Ministerpräsidentengremium, das keinen Verfassungsrang hatte — es
dauerte Monate, bis man den Bundestag wieder Entscheidungen
treffen ließ. Eine „Institution“ war allerdings immer da,
vermutlich noch mächtiger als sonst: Die Demoskopie. Sie
flankierte die Corona-Politik mit allerlei wöchentlich
präsentierten Umfragewerten. Von 95-prozentiger Zufriedenheit mit
der Regierung bis zu 70-prozentigem Zuspruch für Maßnahmen
verschiedener Art: Die Meinungsforscher hatten Konjunktur.


Sie bombardierten uns so sehr mit Meinungsbildern, dass es
fraglich ist, ob das noch ein Abbild der Wirklichkeit, also
Meinungsforschung war — oder ob sie ins Lager der Meinungsmacher
umgeschwenkt sind. Man mag dem Bürger Grundrechte eingeschränkt,
man mag unliebsame Meinung durch den sozialen Pranger quasi
aberzogen haben: Aber eine Instanz blieb auf Tuchfühlung mit ihm,
wollte noch immer wissen, was er denkt — die Demoskopie. Die
präsentierten Umfragen suggerierten, dass die Bürger doch noch
gehört und gefragt würden.


Grundrechte sind nicht verhandelbar…weiterlesen
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