Molekulare Charakterisierung der gestörten neuromuskulären Erregungsübertragung bei kongenitalen myasthenen Syndromen

Molekulare Charakterisierung der gestörten neuromuskulären Erregungsübertragung bei kongenitalen myasthenen Syndromen

Beschreibung

vor 18 Jahren
Die kongenitalen myasthenen Syndrome (CMS) bilden pathogenetisch
und klinisch eine heterogene Gruppe von relativ seltenen
hereditären Erkrankungen des Kindesalters, denen eine gestörte
Erregungsübertragung im Bereich der neuromuskulären Endplatte zu
Grunde liegt. Daher stellen diese Erkrankungen ein hervorragendes
Modell zur Untersuchung synaptischer Prozesse dar. Ziel dieser
Arbeit war die Identifizierung und Charakterisierung von
genetischen Veränderungen, die zu einer gestörten
Erregungsübertragung an der menschlichen neuromuskulären Endplatte
und damit zu CMS führen. Die Analyse ursächlicher Mutationen und
deren pathophysiologischer Bedeutung soll die Grundlage für eine
sichere Einordnung von CMS bilden. Aus der Korrelation von Geno-
und Phänotypen von CMS-Patienten sollen Daten gewonnen werden, die
für den einzelnen CMS-Patienten hinsichtlich Diagnostik, Beratung
und Therapie hilfreich sind. Es konnten über 250 nicht verwandte
CMS-Patienten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern
molekulargenetisch analysiert werden. Dies führte zur
Identifizierung und funktionellen Charakterisierung zahlreicher
ursächlicher Mutationen in sechs verschiedenen CMS-Genen (Gene
kodierend für Acetylcholinrezeptor (AChR)-Untereinheiten: CHRNE,
CHRND, CHRNA1, sowie COLQ, CHAT und RAPSN). Ausgewählte Mutationen
wurden in funktionellen Studien auf ihren pathogenetischen Effekt
an der Endplatte hin untersucht. Auf diese Weise konnte bereits bei
über 50% der Patienten des CMS-Kollektivs die molekulare Grundlage
des CMS identifiziert werden. Übereinstimmend mit den Ergebnissen
anderer Arbeitsgruppen wurden die meisten Mutationen (19
verschiedene Mutationen in 40 unabhängigen Familien) im CHRNE-Gen
kodierend für die epsilon-Untereinheit des adulten AChR
identifiziert, die zu einem postsynaptischen CMS führen. Im Bereich
der übrigen AChR-Untereinheiten ist eine Missense-Mutation im
CHRND-Gen kodierend für die delta-Untereinheit hervorzuheben. Für
diese konnte ein für AChR-Mutationen neuartiger Pathomechanismus
gezeigt werden: die Mutation reduziert die Fähigkeit der AChR, mit
dem postsynaptischen Protein Rapsyn zu clustern. Als zweithäufigste
Ursache eines CMS im Kollektiv stellten sich Mutationen des
RAPSN-Gens heraus (10 verschiedene Mutationen in 22 unabhängigen
Familien). Bei Patienten deutschen Ursprungs erwiesen sich diese
sogar als häufigste ursächliche Mutationen. Neben verschiedenen
anderen Mutationen trugen die meisten der Patienten dabei auf
mindestens einem Allel die Mutation N88K. Die besondere Häufigkeit
von N88K konnte auf einen Founder in der indoeuropäischen
Bevölkerung zurückgeführt werden. Klinisch auffällig waren bei
RAPSN- Patienten – ähnlich wie bei Patienten mit CHAT-Mutationen -
im Rahmen von Infekten plötzlich auftretende, lebensbedrohliche
Störungen der Atmung. Durch einen Schnelltest auf die Mutation N88K
bei neuen Patienten können insgesamt etwa 10% aller CMS-Fälle
genetisch diagnostiziert werden. Damit können weitere aufwendige
und für die Patienten belastende Untersuchungen vermieden werden.
Darüber hinaus gelang es, bei einer Reihe von Patienten des
CMS-Kollektivs Mutationen im COLQ- sowie im CHAT-Gen nachzuweisen
und zu charakterisieren: Mutationen im synaptisch exprimierten
COLQ-Gen konnten bislang in insgesamt 11 CMS-Familien nachgewiesen
werden. Die meisten genetischen Veränderungen waren als „private“
Mutationen jeweils nur in einzelnen Patienten bzw. Familien
nachweisbar. Eine Missense-Mutation des COLQ-Gens (T441A) fand sich
dagegen interessanterweise homozygot in drei unabhängigen deutschen
CMS-Familien mit insgesamt vier betroffenen Personen.
Krankheitsalter bei Erstmanifestation, Fortschreiten und
Schweregrad der Erkrankung zeigten trotz der identischen Mutation
eine bemerkenswerte Variabilität zwischen den einzelnen Patienten.
Eine biochemische Charakterisierung der Mutation T441A mittels
Dichtegradienten-Zentrifugation der aus Patientenmuskel
extrahierten AChE zeigte ein Fehlen der ColQ-assoziierten, im
synaptischen Spalt verankerten Esterase-Form. Im CHAT-Gen wurden
bei sechs Index-Patienten des Kollektivs sieben unterschiedliche
Mutationen identifiziert. Bei allen Patienten traten – ähnlich wie
bei Patienten mit RAPSN-Mutationen - wiederholt plötzliche Apnoen
auf. Im Schweregrad der myasthenen Symptomatik zeigten auch
CHAT-Patienten deutliche Unterschiede, sogar bei Vorliegen einer
identischen genetischen Ursache. Die klinische Beobachtung von zwei
kroatischen Patienten mit identischen Mutationen des CHAT-Gens
betont die Bedeutung plötzlicher Apnoen als Risikofaktor für die
Entwicklung sekundärer hypoxischer Hirnschäden und einer
psychomotorischen Retardierung. Die Größe des Patientenkollektivs
ermöglichte es erstmals, Daten zu Vorkommen und Häufigkeit
einzelner CMS-Mutationen in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen
zu gewinnen. Darüber hinaus erbrachte die Analyse von Phänotyp und
Genotyp wichtige Informationen zu klinischen Besonderheiten,
Therapiemöglichkeiten und Prognose. Neben der Analyse bekannter
CMS-Gene bilden die in dieser Arbeit charakterisierten Patienten
und Familien die Grundlage, weitere CMS-Gene zu identifizieren.

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