(18) Immanuel Kant »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«

(18) Immanuel Kant »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«

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Beschreibung

vor 17 Jahren
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst
verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich
seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache
derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung
und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu
bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu
bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und
Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen,
nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen,
dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so
leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so
bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand
hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der
für mich die Diät beurteilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht
selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur
bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für
mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen
(darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit,
außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte:
dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie
gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst
dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen
Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie
einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die
Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen allein zu gehen.
Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch
einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von
der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeiniglich von allen
ferneren Versuchen ab. Es ist also für jeden einzelnen Menschen
schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit
herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen und ist vor der
Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen,
weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und
Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs
oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen
einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde
dennoch auch über den schmalesten Graben einen nur unsicheren
Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt
ist. Daher gibt es nur Wenige, denen es gelungen ist, durch eigene
Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit heraus zu
wickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun.

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