(68) Kurt Tucholsky »Drei Minuten Gehör!«

(68) Kurt Tucholsky »Drei Minuten Gehör!«

7 Minuten
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Beschreibung

vor 1 Jahr
Drei Minuten Gehör will ich von euch, die ihr arbeitet – ! Von
euch, die ihr den Hammer schwingt, von euch, die ihr auf Krücken
hinkt, von euch, die ihr die Feder führt, von euch, die ihr die
Kessel schürt, von euch, die mit den treuen Händen dem Manne ihre
Liebe spenden – von euch, den Jungen und den Alten – : Ihr sollt
drei Minuten inne halten. Wir sind ja nicht unter Kriegsgewinnern.
Wir wollen uns einmal erinnern. Die erste Minute gehöre dem Mann.
Wer trat vor Jahren in Feldgrau an? Zu Hause die Kinder – zu Hause
weint Mutter ... Ihr: feldgraues Kanonenfutter – ! Ihr zogt in den
lehmigen Ackergraben. Da saht ihr keinen Fürstenknaben: der soff
sich einen in der Etappe und ging mit den Damen in die Klappe. Ihr
wurdet geschliffen. Ihr wurdet gedrillt. Wart ihr noch Gottes
Ebenbild? In der Kaserne – im Schilderhaus wart ihr niedriger als
die schmutzigste Laus. Der Offizier war eine Perle, aber ihr wart
nur ›Kerle‹! Ein elender Schieß- und Grüßautomat. »Sie Schwein!
Hände an die Hosennaht –!« Verwundete mochten sich krümmen und
biegen: kam ein Prinz, dann hattet ihr stramm zu liegen. Und noch
im Massengrab wart ihr die Schweine: Die Offiziere lagen alleine!
Ihr wart des Todes billige Ware… So ging das vier lange blutige
Jahre. Erinnert ihr euch – ? Die zweite Minute gehöre der Frau. Wem
wurden zu Haus die Haare grau? Wer schreckte, wenn der Tag vorbei,
in den Nächten auf mit einem Schrei? Wer ist es vier Jahre hindurch
gewesen, der anstand in langen Polonaisen, indessen Prinzessinnen
und ihre Gatten alles, alles, alles hatten – –? Wem schrieben sie
einen kurzen Brief, dass wieder einer in Flandern schlief? Dazu ein
Formular mit zwei Zetteln ... wer mußte hier um die Renten betteln?
Tränen und Krämpfe und wildes Schrein. Er hatte Ruhe. Ihr wart
allein. Oder sie schickten ihn, hinkend am Knüppel, euch in die
Arme zurück als Krüppel. So sah sie aus, die wunderbare große Zeit
– vier lange Jahre… Erinnert ihr euch – ? Die dritte Minute gehört
den Jungen! Euch haben sie nicht in die Jacken gezwungen! Ihr wart
noch frei! Ihr seid heute frei! Sorgt dafür, dass es immer so sei!
An euch hängt die Hoffnung. An euch das Vertraun von Millionen
deutschen Männern und Fraun. Ihr sollt nicht strammstehn. Ihr sollt
nicht dienen! Ihr sollt frei sein! Zeigt es ihnen! Und wenn sie
euch kommen und drohn mit Pistolen –: Geht nicht! Sie sollen euch
erst mal holen! Keine Wehrpflicht! Keine Soldaten! Keine
Monokel-Potentaten! Keine Orden! Keine Spaliere! Keine
Reserveoffiziere! Ihr seid die Zukunft! Euer das Land! Schüttelt es
ab, das Knechtschaftsband! Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei!
Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei! Wenn ihr nur wollt: bei
euch steht der Sieg! – Nie wieder Krieg – ! Theobald Tiger, 1922
Lesung Sound: Elisa Demonki

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