(40) Kurt Tucholsky »Das Ideal«

(40) Kurt Tucholsky »Das Ideal«

3 Minuten
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Beschreibung

vor 15 Jahren
Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die
Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht,
ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – aber
abends zum Kino hast dus nicht weit. Das Ganze schlicht, voller
Bescheidenheit: Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn! Ein
Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn, Radio, Zentralheizung,
Vakuum, eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm, eine süße Frau
voller Rasse und Verve – (und eine fürs Wochenend, zur Reserve) –
eine Bibliothek und drumherum Einsamkeit und Hummelgesumm. Im
Stall: Zwei Ponys, vier Vollbluthengste, acht Autos, Motorrad –
alles lenkste natürlich selber – das wär ja gelacht! Und
zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd. Ja, und das hab ich ganz
vergessen: Prima Küche – erstes Essen – alte Weine aus schönem
Pokal – und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal. Und Geld. Und an
Schmuck eine richtige Portion. Und noch ne Million und noch ne
Million. Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit. Und famose
Kinder. Und ewige Gesundheit. Ja, das möchste! Aber, wie das so ist
hienieden: manchmal scheints so, als sei es beschieden nur pöapö,
das irdische Glück. Immer fehlt dir irgendein Stück. Hast du Geld,
dann hast du nicht Käten; hast du die Frau, dann fehln dir Moneten
– hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer: bald fehlt uns
der Wein, bald fehlt uns der Becher. Etwas ist immer. Tröste dich.
Jedes Glück hat einen kleinen Stich. Wir möchten so viel: Haben.
Sein. Und gelten. Dass einer alles hat: das ist selten. Foto:
Ulrike Theusner

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