SG #120: Die Trümmerfrauen
Ich spreche in Slow German selten von der Vergangenheit. Warum das
so ist, kann ich Euch erklären: Weil ich die Gegenwart so spannend
finde! Aber natürlich ist die Geschichte wichtig, also heute mal
ein Thema aus der Vergangenheit.
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vor 9 Jahren
Ich spreche in Slow German selten von der Vergangenheit. Warum
das so ist, kann ich Euch erklären: Weil ich die Gegenwart so
spannend finde! Aber natürlich ist die Geschichte wichtig, also
heute mal ein Thema aus der Vergangenheit.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Deutschland in Schutt und Asche.
Das sagt man so. Es bedeutet: Vieles war zerstört. Häuser waren
kaputt, weil Bomben explodiert waren. Es hatte gebrannt, übrig
blieben von vielen Gebäuden nur noch Trümmer. Trümmer sind die
kaputten Einzelteile, also in diesem Fall zum Beispiel Teile von
Mauern, Balken, kaputte Fenster. Der Krieg war vorbei, also war
es Zeit, die Städte wieder bewohnbar zu machen. Alles musste
wieder aufgebaut werden. Wer Fotos von damals ansieht, sieht
meistens Frauen, die am Wiederaufbau arbeiten. Sie befreien
Ziegelsteine von Mörtel (das ist sozusagen der Klebstoff, der
Ziegelsteine zu einer Mauer verbindet) und klopfen sie zurecht,
so dass man aus ihnen neue Wände bauen kann. Sie ziehen Nägel aus
Balken, schaffen Müll beiseite. Diese Frauen nennt man
Trümmerfrauen.
Stellt Euch vor, wie es damals in Deutschland aussah. Viele
Männer waren im Krieg gefallen oder schwer verletzt – oder als
Nazis verurteilt worden. Sie saßen im Gefängnis oder waren
hingerichtet worden. 1945 gab es 7 Millionen mehr Frauen als
Männer in Deutschland – normalerweise sind es ungefähr gleich
viele Männer wie Frauen.
Die Alliierten hatten Deutschland unter sich aufgeteilt. Sie
hatten Befehle erteilt. Zum Beispiel mussten sich alle Frauen
zwischen 15 und 50 Jahren zum Aufbaudienst zu melden. Natürlich
bauten nicht nur Frauen Deutschland wieder auf: Ehemalige Nazis
wurden von den Alliierten zum Wiederaufbau gezwungen – wer nicht
mithalf, der bekam zum Beispiel keine Lebensmittelmarken. Mit
Lebensmittelmarken bekam man wichtige Lebensmittel von Brot bis
Zucker.
Hier in Deutschland kennt jeder die Trümmerfrauen. Aber gab es
sie wirklich? Natürlich gab es Frauen, die beim Aufbau halfen.
Aber ob sie eine so wichtige Rolle gespielt haben wie wir denken,
ist nicht sicher. Manche Forscher gehen davon aus, dass an dem
Mythos der Trümmerfrauen auch vieles einfache Propaganda ist. Die
Fotos der Trümmerfrauen sollen oft gestellt gewesen sein – also
nicht echt, sondern inszeniert. Warum? Um etwas Positives zu
zeigen, um den Krieg und die Schuld am Krieg zu verdrängen, um
die Frauen als Heldinnen zu porträtieren und vom Grauen
abzulenken, das der Krieg gebracht hat. Die Trümmerfrauen packen
an, sie arbeiten hart, sie legen den Grundstein für eine bessere
Zukunft. Wahrscheinlich wollen wir deswegen daran glauben. Wie
auch immer die Wahrheit aussieht: Die Frauen waren sehr wichtig,
um Deutschland wieder aufzubauen. Sie mussten härter arbeiten
denn je, mussten ihre Kinder oft ohne die Hilfe von Männern
aufziehen, mussten vieles alleine schaffen. Es waren starke
Frauen, die während des Krieges und danach gelebt haben. Ich habe
Hochachtung vor ihnen und danke hiermit allen Frauen, die
Deutschland wieder aufgebaut haben – ob aus Trümmern oder aus
Träumen ist mir egal.
Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg120kurz.pdf
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