Der Kaufhaus-Erpresser Dagobert – SG #229

Der Kaufhaus-Erpresser Dagobert – SG #229

Heute erzähle ich dir eine Geschichte, die im Jahr 1988 beginnt. Wir sind in Berlin. Dort steht das sehr bekannte Kaufhaus KaDeWe, das ist die Abkürzung für Kaufhaus des Westens. Ein Unbekannter fordert eine halbe Million D-Mark von diesem Kaufhaus.
9 Minuten

Beschreibung

vor 4 Jahren

Heute erzähle ich dir eine Geschichte, die im Jahr 1988 beginnt.
Wir sind in Berlin. Dort steht das sehr bekannte Kaufhaus KaDeWe,
das ist die Abkürzung für Kaufhaus des Westens. Ein Unbekannter
fordert eine halbe Million D-Mark von diesem Kaufhaus. Das ist
eine Erpressung. In der Nacht explodiert in diesem Kaufhaus eine
Bombe. Vieles geht kaputt, aber verletzt wird niemand. Jetzt ist
die Angst groß, dass so etwas noch einmal passieren kann. Also
will das KaDeWe die Summe bezahlen. Der Geldbote bekommt über
Funk Anweisungen vom Erpresser. Er soll in einen Zug einsteigen
und das Geld an einer bestimmten Stelle aus dem Fenster werfen.
Die Übergabe klappt – das Geld ist weg. Ein paar Jahre ist Ruhe.


Doch dann passiert in einem Hamburger Kaufhaus etwas ähnliches.
Wieder explodiert nachts ein Sprengsatz nach einer Geldforderung.
Und so geht es immer weiter. Ungefähr 30 Mal spielen Erpresser
und Polizei Katz und Maus. Ich kann mich gut an diese Zeit
erinnern, denn diese Fälle waren oft amüsant und irgendwie
fieberten wir mit und hofften, er würde nicht erwischt werden.
Der Erpresser ließ sich kreative Dinge einfallen, um an das Geld
zu kommen ohne erwischt zu werden. Er hatte viel Fantasie. Zum
Beispiel sollte das Geld mit einem Magnet an einem Zug befestigt
werden und dann per Fernsteuerung abfallen. Oder das Geld sollte
in eine Streusandkiste gelegt werden – und der Erpresser entkam
durch die Kanalisation. Er hatte vorher alles genau vorbereitet –
als Bauarbeiter verkleidet. Er benutzte viel Technik, von
Richtmikrofonen über Bewegungsmelder. Seinen Spitznamen bekam er
durch eine Zeitungsanzeige: „Dagobert“, so wie die Comicfigur
Dagobert Duck.


Auch wenn kriminelle Menschen etwas Falsches tun – irgendwie
mochten wir Dagobert. Er war schlau, er nahm das Geld von
Unternehmen und nicht von einzelnen Menschen, und er sorgte
dafür, dass keine Menschen verletzt wurden. Das hatte schon etwas
von Robin Hood, irgendwie. Auch wenn er das Geld für sich selber
behielt und nicht den Armen gab.


Einmal war ein Polizist ihm so nah, dass er schon nach seinem
Ärmel greifen konnte – doch dann rutschte er aus und Dagobert
konnte wieder einmal entkommen.


Aber dann wurde er doch gefasst. Da die Polizei immer wusste,
wann Dagobert anrufen würde, beobachtete sie zu diesem Zeitpunkt
im Frühjahr 1994 viele Kartentelefone im Süden von Berlin. Dabei
fiel den Beamten ein Auto auf, in dem ein Fahrrad war – genau mit
diesem Fahrrad war der Erpresser einmal geflüchtet. Das Auto war
ein Mietwagen, und schon hatten die Ermittler endlich Dagoberts
richtigen Namen erfahren: Arno Funke. Beim nächsten
Erpresseranruf wurde der observierte – also beobachtete – Funke
festgenommen.


Die Bilanz: Schäden in Höhe von 10 Millionen D-Mark. Dazu noch
viele, viele Polizeieinsätze und extrem hohe Telefonkosten. Neun
Jahre lang musste Arno Funke ins Gefängnis, dazu musste er einen
Schadensersatz von 2,5 Millionen D-Mark an die Kaufhauskette
Karstadt bezahlen. Funke wurde dann aber doch frühzeitig
entlassen, und zwar nach sechs Jahren und vier Monaten Haft.


Wer steckt also hinter Dagobert? Arno Funke wurde 1950 geboren.
Er hat einen hohen IQ, er gilt als hochbegabt und handwerklich
geschickt. Er arbeitete in verschiedenen Jobs, zum Beispiel als
Fahrer, Fotograf und DJ. Dann auch als Kunstlackierer in einer
Autowerkstatt. Dabei atmete er so viele giftige Gase ein, dass
sein Gehirn geschädigt wurde. Das führte zu Depressionen und
privaten Problemen. Nach eigener Aussage stand er kurz vor dem
Selbstmord. Für das Gericht wirkte diese Tatsache schuldmindernd.
Das bedeutet, dass seine Gefängnisstrafe wahrscheinlich länger
gewesen wäre, wenn er keine psychischen Probleme gehabt hätte.


Schon im Gefängnis fing Arno Funke an, zu zeichnen. Daraus machte
er einen Beruf – er illustriert auch heute noch die Zeitschrift
„Eulenspiegel“. Seine Karriere als Dagobert hat er in einem Buch
festgehalten. Und 2013 nahm er an der Show „Ich bin ein Star –
Holt mich hier raus!“ teil. Das ist eine Show, bei der Prominente
im australischen Dschungel leben und verschiedene Mutproben
bestehen müssen. Dort wirkte er zurückhaltend und ruhig. Er
betont, dass er seine Strafe verbüßt hat und heute ein ganz
normaler Mensch ist – wie alle anderen auch. Das nennt man
resozialisiert. Und seine Schulden bei der Kaufhauskette Karstadt
hat er mittlerweile auch bezahlt.


Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg229kurz.pdf

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