Adele Spitzeder – Schauspielerin, Sängerin, Betrügerin – SG #239

Adele Spitzeder – Schauspielerin, Sängerin, Betrügerin – SG #239

Es gibt ein Bild von Adele Spitzeder. Da ist sie sehr züchtig gekleidet, mit einem hohen Kragen und einer Brosche am Hals. Um den Hals trägt sie ein großes Kreuz, die Frisur ist akkurat gescheitelt. 1832 wurde Adele Spitzeder in Berlin geboren.
8 Minuten

Beschreibung

vor 4 Jahren

Es gibt ein Bild von Adele Spitzeder. Da ist sie sehr züchtig
gekleidet, mit einem hohen Kragen und einer Brosche am Hals. Um
den Hals trägt sie ein großes Kreuz, die Frisur ist akkurat
gescheitelt. 1832 wurde Adele Spitzeder in Berlin geboren. Sie
war Schauspielerin und Sängerin – und vor allem war sie eine
großartige Betrügerin. Ich erzähle Dir heute ihre Geschichte.


Ihr Leben fing prunkvoll an. Ihre Eltern waren Sänger und
Schauspieler und schickten die Tochter auf teure Privatschulen.
Sie wurde selbst auch Schauspielerin und trat auf verschiedenen
Bühnen auf. Anstatt in einer Wohnung zu wohnen, lebte die
Spitzeder in Hotels. Eine Angestellte kümmerte sich um sie. Adele
hatte sechs Hunde und eine Lebensgefährtin. Das alles kostete
natürlich viel Geld – und die Einnahmen aus der Schauspielerei
waren nicht hoch. Sie war kein Star. Also musste Adele sich etwas
ausdenken, um an mehr Geld zu kommen.


Sie begann mit Geldgeschäften. Sie versprach einem Zimmermann
zehn Prozent Zinsen im Monat. Das machte der Mann natürlich
sofort, es war ein gutes Geschäft für ihn. Er gab Adele also 100
Gulden und bekam dafür jeden Monat 10 Gulden Zinsen. Und zwar bar
auf die Hand und zwei Monate im Voraus. Das war damals alles
unüblich. Der Mann erzählte anderen Leuten von diesem Geschäft
und so konnte Adele immer neue Kunden begrüßen. Sie konnte ihre
eigenen Schulden endlich abbezahlen.


Gemeinsam mit ihrer damaligen Lebensgefährtin gründete sie eine
Bank in München. Die „Spitzedersche Privatbank“ wurde immer
größer und erfolgreicher. Später hieß sie „Dachauer Volksbank“.
Adele konnte sich sogar ein eigenes großes Haus kaufen. Hinter
den Kulissen herrschte das Chaos. Das Geld war in Säcken verstaut
und lag zum Teil einfach so in ihrer Wohnung herum. Es gab keine
ordentliche Buchführung, und aus heutiger Sicht kennen wir solche
Betrügereien als Ponzi-System oder Schneeballsystem. Adele hatte
sich ein kluges System ausgedacht, das sie reich machte.


Sie gab Journalisten Geld, damit diese positiv über die Bank
schrieben. Sie zahlte hohe Provisionen und verteilte großzügige
Spenden. Sie war beliebt bei den Menschen und hatte einen guten
Ruf, sie kümmerte sich sogar um die Armen. Adele Spitzeder war
eine beeindruckende Erscheinung, vielleicht auch wegen ihres
schauspielerischen Könnens. Die Menschen vertrauten ihr. Sie
hatte zu ihrer besten Zeit 83 Angestellte. Adele Spitzeder fing
auch an, mit Immobilien zu handeln. Lange ging der Betrug gut und
niemand kam ihr auf die Schliche. Zwei Jahre lang konnte sie ihre
Bank betreiben. Insgesamt 32.000 Menschen legten ihr Geld dort
an, für umgerechnet 400 Millionen Euro. Es waren meist Handwerker
oder Bauern, die selber nicht viel Geld hatten.


Adele Spitzeder tat das nicht, weil sie böse war. Sie war in das
Geldgeschäft hineingerutscht. Immer wieder fragte sie Anwälte, ob
ihr Tun legal war. Die Anwälte sagten ja. Adele hatte also eine
Grauzone entdeckt und diese für sich ausgenutzt. Sie sagte den
Menschen auch immer, dass sie keine Sicherheiten bieten könne.
Aber das war denen egal, sie sahen nur die hohen Gewinne.


Aber wie wir wissen geht so etwas meistens nicht lange gut. Es
gab Menschen, die den Schwindel erkannten. Als 60 Gläubiger sich
ihr Geld gleichzeitig auszahlen lassen wollten, brach die Bank
von Adele Spitzeder zusammen. Kurz darauf wurde sie wegen Betrugs
verhaftet und kam ins Gefängnis. Allerdings nur gut drei Jahre
lang. Viele Bürger sahen ihr Geld nie wieder, manche von ihnen
begingen sogar aus Verzweiflung Selbstmord. Ganze Gemeinden
hatten bei Spitzeder Geld investiert und waren nun pleite.


Heute könnte so etwas nicht mehr so leicht passieren, weil es
viele Aufsichtsgremien gibt. Außerdem ist es heute Pflicht, eine
Buchführung vorweisen zu können. Und was geschah mit Adele
Spitzeder? Nach dem Gefängnisaufenthalt ging sie ins Ausland,
kehrte dann aber nach München zurück. Sie veröffentlichte ihre
Memoiren, also ein Buch über ihr Leben. Sie versuchte noch
einmal, eine Bank zu eröffnen – wurde aber sofort verhaftet. Also
lebte sie den Rest ihres Lebens als Sängerin. Sie starb 1895 mit
63 Jahren.


Die Memoiren von Adele Spitzeder gibt es übrigens als Hörspiel,
ich verlinke es auf Slow German. Es ist aber eventuell schwer zu
verstehen, weil es schon sehr alt ist und bayerisch:
https://www.br.de/radio/br-heimat/sendungen/adele-spitzeder-106.html


Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg239kurz.pdf

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