Die deutschen Kolonien – SG #242
Was für eine komische Vorstellung: Nach Afrika fahren und dort die
deutsche Sprache zu hören. Die europäischen Kulturen haben sich
gerne in der ganzen Welt ausgebreitet. So auch Deutschland. Über
die deutschen Kolonien spricht aber heute kaum noch jema...
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vor 4 Jahren
Was für eine komische Vorstellung: Nach Afrika fahren und dort
die deutsche Sprache zu hören. Die europäischen Kulturen haben
sich gerne in der ganzen Welt ausgebreitet. So auch Deutschland.
Über die deutschen Kolonien spricht aber heute kaum noch jemand.
Ich erzähle Dir etwas darüber.
Was brauchte man, um eine Kolonie aufzubauen? Zunächst mal
braucht man Schiffe, um überhaupt in die anderen Länder fahren zu
können. Und natürlich politische Ziele, das eigene Land
auszuweiten. Andere Länder wie England, Frankreich, Portugal und
Spanien hatten beides und waren sehr erfolgreich mit ihren
Kolonien. Deutschland nicht. Ein paar Versuche gab es, aber sie
waren ohne Erfolg. Gut, eine einzige Kolonie schaffte es früh:
1683 wurde eine deutsche Festung in Ghana gebaut, um mit Gold und
Sklaven zu handeln. Mehr passierte lange Zeit nicht. Gut,
Deutschland war auch kein geeintes Land, sondern bestand aus
vielen kleinen Einzelstaaten. Das war sicher ein Grund dafür.
Erst 1871 wurde das Deutsche Reich gegründet – dazu gibt es mehr
in der Slow German-Episode 172 zu Otto von Bismarck.
In der Verfassung des Deutschen Reiches gab es nun auch einen
Artikel über „die Kolonisation“. Also war der politische Wille
jetzt da. Schiffe hatte man mittlerweile auch. Reichskanzler Otto
von Bismarck war aber nicht begeistert vom Gedanken der Kolonien.
Die Kosten für so eine Kolonie würden oft den Nutzen übersteigen,
sagte er. Und die deutsche Marine sei noch nicht weit genug
entwickelt.
Statt ganze Länder zu kolonialisieren, baute Deutschland einzelne
kleine Stützpunkte auf. 1868 wurde ein deutsches
Marine-Krankenhaus in Japan gebaut, es gab Stützpunkte in China
und Japan für die deutschen Schiffe und Marinesoldaten. Später
dann auch in Afrika. Im Deutschen Reich fanden immer mehr
Menschen den Gedanken von deutschen Kolonien reizvoll. Es wurden
Vereine gegründet, viele Menschen wollten auswandern. Nach der
Reichsgründung im Jahr 1871 wanderten pro Jahr ungefähr 200.000
Menschen aus – viele von ihnen nach Amerika. Aber immerhin einige
Zehntausend zogen auch in die neuen Kolonien in Afrika.
1884 gab es dann eine aus heutiger Sicht skurrile Konferenz in
Berlin: Bei der „Kongo-Konferenz“ verhandelten die USA,
Deutschland und das Osmanische Reich darum, welche Bereiche
Afrikas sie unter sich aufteilen könnten. Viel war nicht übrig,
weil andere Länder sie schon kolonialisiert hatten. Der Rest
wurde dann also verteilt. Die afrikanische Bevölkerung wurde
nicht nach ihrer Meinung gefragt. Und so reisten einige
Kolonialherren nach Afrika und nahmen sich das Land – entweder
sie kauften es für wenig Geld oder sie nahmen es sich mit Gewalt.
So lief es oft ab: Privatmenschen, das waren meistens Kaufleute,
gingen ins Ausland. Dort bauten sie sich etwas auf und baten dann
Deutschland um Schutz. Bismarck nannte die Kolonien daher auch
lieber „Schutzgebiete“.
Deutsch-Südwestafrika war das heutige Namibia, Deutsch-Ostafrika
war im heutigen Tansania, Burundi und Ruanda. Man schickte
Polizisten und Beamte in die neuen Kolonien, baute Schulen,
Kirchen und Kultureinrichtungen. Auch christliche Missionare
waren unterwegs, um die Menschen in Afrika vom christlichen
Glauben zu überzeugen.
Was gab es noch? In Afrika noch Togo und Kamerun. Im Pazifik
Deutsch-Neuguinea und Deutsch-Samoa. Dort baute man Kaffee, Kakao
und Kokosnüsse an. In den Kolonien gab es nunmal viele Dinge, die
es in Deutschland nicht gab – für den Handel waren sie also sehr
interessant. Einen Gewinn brachten die Kolonien aber dennoch
nicht. Trotzdem war 1884 das deutsche Kolonialreich nach dem
britischen und französischen flächenmäßig das Größte.
Ein geflügeltes Wort wurde der Ausspruch des späteren Kanzlers
Bernhard von Bülow. Er forderte einen „Platz an der Sonne“. Es
wurden nur noch kleine Bereiche in China erworben und ein paar
kleine Inseln. Ich möchte hier auch nicht alle Gebiete aufzählen,
denn darum geht es nicht. Wichtiger ist, was eigentlich der
Gedanke hinter diesen Kolonien war. Man wollte zum einen einen
Vorteil für Handelsbeziehungen. Das kann ich noch verstehen, wenn
man es fair getan hätte. Zum anderen wurde aber kaum Rücksicht
genommen auf die Menschen, die bereits in diesen Ländern lebten.
Und damit sind wir bei der dunklen Seite der deutschen
Kolonialzeit. Die Deutschen kamen zum Beispiel nach
Deutsch-Südwestafrika und machten sich dort breit. Sie nahmen
sich mit Gewalt, was sie haben wollten. Die Einheimischen hatten
immer weniger Platz für ihre Rinder. Oft wurden sie in die Armut
getrieben. Auf Angriffe reagierten die Deutschen mit Gewalt: Sie
verbrannten Dörfer, nahmen den Menschen Schutz vor wilden Tieren.
1904 kam es zu einem Konflikt zwischen Kriegern der Herero und
deutschen Siedlern. Es folgte eine Schlacht, bei der die
einheimischen Herero in die Wüste getrieben wurden. Sie
verdursteten. Historiker sagen heute, dass das ein Völkermord
war. Der deutsche Generalleutnant hatte sie nicht nur vertreiben
wollen, sondern ihnen absichtlich den Zugang zu Wasserstellen
versperrt. Geschätzt überlebte nur ein Viertel der Herero dieses
Verbrechen. Einem anderen Volk, den Nama, ging es ähnlich.
Insgesamt sollen 75.000 afrikanische Menschen umgebracht worden
sein.
Die Deutschen lernten zwar aus diesen Kriegen und stellten ihre
Politik um. Aber lang dauerte die Kolonialzeit dennoch nicht
mehr. Denn auch in der europäischen Heimat war es mittlerweile
nicht mehr friedlich: Der Erste Weltkrieg war ausgebrochen. Fast
alle deutschen Kolonien fielen an die Alliierten, das
besiegelte der Versailler Vertrag im Jahr 1920. Im Zweiten
Weltkrieg dann plante Adolf Hitler eine Kolonialisierung Afrikas
– zum Glück wurde dieser Alptraum nie wahr.
Und heute? In Namibia gibt es noch knapp 20.000 deutschsprachige
Bewohner. Die namibische Armee arbeitet mit der Bundeswehr
zusammen. Sonst ist der deutsche Einfluss im Rest der Welt nicht
mehr groß.
Text der Episode als PDF:
https://slowgerman.com/folgen/sg242kurz.pdf
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