Hans Rosling (mit Ola Rosling & Anna Rosling Rönnlund): "Factfulness: Ten Reasons We're Wrong About the World And Why Things are better than you think"

Hans Rosling (mit Ola Rosling & Anna Rosling Rönnlund): "Factfulness: Ten Reasons We're Wrong About the World And Why Things are better than you think"

9 Minuten
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Beschreibung

vor 2 Jahren

Vor einigen Wochen las ich eine Meldung, dass Bill Gates, seines
Zeichens einer der reichsten Männer der Welt, der zusammen mit
seiner Frau Melinda Gates Malaria und Kinderlähmung abschaffen
möchte, im nächsten Jahr allen College-Absolventen in den USA ein
Buch schenken wird, dass den Titel “Factfulness: Ten Reasons
We're Wrong About the World And Why Things are better than you
think” trägt. Hierzulande, wo Optimismus oft als die Abwesenheit
von relevantem Wissen angesehen wird, trägt es den der
Gesellschaft angepassten Titel “Factfulness: Wie wir lernen, die
Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist”. Ganz so, als ob die
deutschen Verleger gefürchtet hätten, dass ein Buchtitel trotz
seines Welterfolgs unter den miesepetrigen und besorgten Bürgern
keine Chance hätte, wenn er gleich auf dem Cover mit der
Botschaft “Die Welt ist besser als du denkst” aufwarten würde.


Hans Rosling, der 1948 in Schweden geboren wurde und 2017
verstarb, war ein Mediziner, der auch Statistik studiert hatte
und gemeinsam mit seinem Sohn Ola Rosling und dessen Frau Anna
Rosling Rönnlund die Stiftung gapminder gründete und leitete,
deren Ziel es war und ist, eine auf Fakten beruhende Sicht auf
die Welt zu fördern und dabei ausschließlich frei zugängliche
öffentliche Statistiken zu verwenden.


Große Berühmtheit erlangte er durch seine Auftritte bei den TED
Talks, in denen er in schlecht geschnittenen Jackets mit einem
überlangen Zeigestab Lacher erzielte und seine Zuhörer
schockierte, indem er Multiple Choice Fragen stellte, die auf ein
allgemeines Verständnis der Verfasstheit der Welt zielen und in
absurder Höhe falsch beantwortet werden; unabhängig davon, ob er
vor Studenten sprach oder vor den sogenannten World Leadern in
Davos. Letztere müssten es eigentlich wissen und schneiden auch
etwas besser ab. Trost spendete Hans Rosling mit der überraschend
gut, weil die Unwissenden zum Lachen bringenden gewählten
statistischen Vergleichsgruppe, den Schimpansen. Da sie die
Fragen eher wenig verstehen, gelingt ihnen bei jeweils 3
Antwortmöglichkeiten die Auswahl der richtigen Antwort zu
immerhin 33%. Damit schneiden sie jedes Mal besser als die
befragten Menschen ab.


Hans Rosling spricht - zu Recht - von einer verheerenden Ignoranz
seiner Zuhörer gegenüber der eigentlichen Weltlage. In seinem
Weltbestseller “Factfulness” zitiert er viele Statistiken, zeigt
Entwicklungen und Vorurteile, die sich hierzulande, wie im Rest
der sich als “entwickelt” - in Abgrenzung zur sich “als
entwickelnd” wahrgenommenen Welt, als äußerst hartnäckig
erweisen. Er benennt Ursachen und - dies scheint mir neben seinem
aufklärerischen Ansatz die Überzeugungskraft seiner Arbeit
auszumachen - erhebt sich dabei nie über die noch nicht
Aufgeklärten, schreibt und spricht mit einem zutiefst
emphatischen und humanistischen Ansatz, der stets Verständnis für
das Einzelschicksal zeigt, dessen Schwere verstörend sein kann,
das aber nichts daran ändert, dass die Welt eine bessere ist, als
wir im Allgemeinen glauben.


Eine augenöffnende Leseerfahrung, die tatsächlich das eigene Bild
der Welt korrigiert und in Gesprächen und Streits mit Freunden,
Familie, Stammtisch und Kollegen helfen wird. Ein Buch, dessen
Empfehlung den Bildungsauftrag unseres kleinen Lokalsenders
coloRadio für die ganze Dekade erfüllt: lest “Factfulness”!
Obwohl ein Bestseller, ist der Titel der automatischen
Rechtschreibkorrektur noch nicht bekannt, die ihn gern in
Tactfulness ändern möchte.


Es ist ein Verdienst Hans Roslings und seiner Kollaborateure,
tatsächlich taktvoll vorzugehen, wenn er nach und nach so
ziemlich jede als sicher geglaubte Annahme widerlegt. Wie aber
kommt es zur von ihm als “verheerend ignoranten” Weltsicht?


Wir wachsen in bestimmten Gegebenheiten auf, die unseren Blick
auf die tatsächliche Verfasstheit der Welt mit voreingenommenen
Sichtweisen vernebeln. Wir lernen von Lehrern, deren Ansichten
sich nicht gemäß den Veränderungen und Umschwüngen anpassen und
mit Lehrmaterialien, die aufgrund von fehlenden Praxen und
Prioritäten viel zu selten aktualisiert werden. Kurz, wir lernen
die Welt kennen, wie sie vor 50 Jahren war, nicht, wie sie
tatsächlich ist, und beantworten Fragen wie z. B.: Wie ist das
weltweite Einkommen verteilt? Wie schnell und wo wächst die
Bevölkerung der Welt? Wie ist die Entwicklung der
Kindersterblichkeit? Was sind die häufigsten Todesursachen?
Wieviel Prozent der Weltbevölkerung sind geimpft? oder Wieviel
Prozent der Mädchen weltweit genießen die gleiche Schulbildung
wie Jungen? immer und immer wieder falsch.


Eine der bedeutendsten Fehlannahmen ist die Überzeugung, dass die
Welt eine duale ist: auf der einen Seite die entwickelte, den
wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt anführende Welt, wie
wir sie in Nordamerika und Europa und einigen weiteren Staaten
vermuten, auf der anderen Seite die sich entwickelnde Welt, also
den ganzen großen Rest. 1975, also vor mehr als 40 Jahren, war
dies tatsächlich noch so. Die Einkommensverteilung zeigte 2 große
Buckel: den größeren für den Teil der Weltbevölkerung, die mit
weniger als 1 Dollar pro Tag auskommen musste und den weit
kleineren Teil, die bis zu 100 Dollar am Tag zur Verfügung hatte.
Diese Welt gibt es nicht mehr: Hans Rosling zeigt, dass die
Verteilung des Einkommens weltweit längst der Normalverteilung
entspricht: nur noch ein geringer Anteil der Weltbevölkerung lebt
in absoluter Armut und muss sein Leben dem Überleben widmen,
ebenso ist der Anteil der Superreichen - und dies ist ein Fakt,
der uns wiederum bekannt ist - sehr gering. Aber der Großteil der
Weltbevölkerung gehört inzwischen zur Mittelschicht, die sich
dadurch auszeichnet, dass genügend Essen und Elektrizität zur
Verfügung stehen, alle Heranwachsenden eine Bildung erhalten, in
überwiegender Zahl geimpft und nicht durch Masernepidemien
bedroht sind.


Dies wird nur zögerlich durch Weltorganisationen adaptiert, auch
wenn Hans Rosling einen Großteil seiner Zeit dafür verwandte.


Unsere zweigeteilte Weltsicht ignoriert dies, da es auch
wesentlich einfacher und evolutionär begünstigt wird, die Welt in
2 Teile, in Arm und Reich, in den Westen und den Rest, in Freund
und Feind zu teilen.


Die Entwicklung, für die ich hier nur ein Beispiel nennen möchte,
ist eine andere: reiche Konsumenten, für deren Einordnung das
Kriterium gewählt wird, dass sie sich eine Flugreise für ihre
Ferien leisten können, kamen 1975 nur zu 30% außerhalb von Europa
und Nordamerika, heute sind es bereits 50%. Legt man Voraussagen
des Internationalen Währungsfonds zum Bruttoinlandsprodukt zu
Grunde, werden 2035 73% der reichen Konsumenten außerhalb des von
uns als der “reichen Welt” empfundenen Länder kommen.


Auf die Frage, wie ein Umgang mit diesen Fragen gestaltet werden
soll, wird eine einfache Antwort gegeben: Zuerst messen, dann
handeln.


In “Factfulness” werden die häufigsten Irrglauben benannt und
Faustregeln erläutert, wie die Welt heute aussieht und wie man
mit seinen Vorurteilen und - fast noch bedeutender - Ängsten,
aber auch mit Meldungen umgehen kann:


1. Alles wird schlechter ist schlicht falsch, (fast) alles wird
besser.


2. Die Welt ist in arm und reich geteilt. Falsch: es gibt einen
Auswuchs in der Mitte, in dem sich die Einkommen der meisten
Menschen befinden.


3. Zuerst müssen die Leute sozial “aufsteigen”, damit die größten
Herausforderungen wie die Abschaffung der Kindersterblichkeit,
Schulbildung, Elektrizität, Impfungen und ähnliches für alle
gemeistert werden können. Wieder falsch, das ist schon passiert,
denn nur noch ein geringer Teil lebt in der sogenannten absoluten
Armut.


4. Sachen, die einem persönlich besonders gefährlich erscheinen,
wie z. B. Haie, Terrorismus oder die Gefahr von Erkrankungen des
eigenen Kindes, wenn man es impfen lässt, spielen in globalen
Statistiken eine verschwindend geringe Rolle, auch wenn sie für
das Individuum bei ihrem Auftreten gefährlich sein können.


Hans Rosling, dem sein Privileg in einem Sozialstaat
aufzuwachsen, sehr wohl bewusst war und der während seines Lebens
einen großen Aufschwung seines Heimatlandes Schweden erlebte,
verteidigt diesen und staatliche Programme zur Bildung und
Gesundheitsversorgung als Pfeiler einer Welt, die sich weiter zum
Besseren wandeln wird, wenn die zunehmende Individualisierung und
große Ignoranz der reichsten Einkommensschicht, die sich
ausschließlich in Europa und Nordamerika findet, sich gegenüber
den Fakten und den daraus gewonnenen Statistiken nicht
verschließt. Es ist eines der Symptome unserer Zeit, dass sich
einige wenige Superreiche diesen Aufgaben verschreiben, während
die Neoliberalisierung immer noch zunimmt und diese Probleme und
Herausforderungen, für die unsere Steuern vorrangig verwendet
werden sollten, aus ihren Stiftungsgeldern bezahlt. Und trotzdem:
Things are better than we think.


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