Martha McCaughey: Real Knockouts

Martha McCaughey: Real Knockouts

29 Minuten
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Beschreibung

vor 1 Jahr

Vor zehn* Jahren besuchte ich Freunde in Ithaca, New York, und
der Besuch der Campusbuchhandlung endete teuer. Zu dieser Zeit
war die Globalisierung des Buchverkaufes übers Internet noch
nicht weit vorangeschritten, so dass man, wenn man sich für
feministische Literatur oder Science Fiction im Original
interessierte, eine derartige Möglichkeit nutzen musste.
Gleichzeitig kamen - und dies ist immer noch so -, neue Impulse
für die feministische Bewegung, Debatten und Diskurse vorrangig
aus den USA. Die Regale der Abteilung Feminismus waren eine
Offenbarung, die Gebühren fürs Übergewicht meines Gepäcks habe
ich gern gezahlt.


Das heute hier vorgestellte Werk "Real Knockouts: The Physical
Feminism of Womens's Self-Defence" der mittlerweile zur
Professorin für Soziologie berufenen Martha McCaughey, Jahrgang
1966, war 1997 ihre erste Buchveröffentlichung, die wie folgt
beginnt:


"Ich war einst eine verängstigte Feministin. Ich wusste viel über
männliche Gewalt, und wenig, sie zu stoppen." "Real Knockouts"
verbindet auf 270 Seiten in ungeheurer Komplexität verschiedenste
Aspekte der Auswirkungen von Gewalt, weiblicher
Selbstverteidigung, ihren möglichen Einfluss auf feministische
Diskurse und verfolgt dabei ein Ziel: Die Aufklärung der
vielfältigen Verbindungen zwischen zwei Gruppen, die überraschend
wenig voneinander wissen: Da sind zum Einen
Selbstverteidigungslehrenden, ihren Schülerinnen - 100.000en
Frauen, die diese Kurse in den USA besuchen, jedoch gleichzeitig
selten an feministischen Diskursen, wie sie vorrangig in
Universitäten bei Cultural and Women's Studies geführt werden
teilnehmen bzw. wenig über theoretische Arbeiten wissen. Zum
anderen gibt es die Akademiker*innen, die zwar mittlerweile
großen Einfluß auf die heutigen Diskurse in vielen Bereichen
haben, jedoch zu selten die Bedürfnisse und Befürchtungen der
sogenannten everyday women in diesen Diskursen adressieren.


Und so erklärt Martha McCaughey in ihrem Vorwort zum Buch, dass
es sich wenig mit Fragen wie "Was soll ich tun, wenn jemand
versucht, mich zu vergewaltigen" beschäftigen wird, sondern
vielmehr zeigen möchte, wie beide Gruppen - in Selbstverteidigung
bzw. Kampfkünsten Aktive und Feministinnen, die in akademischen
Diskursen Erklärungsmodelle entwickeln, voneinander lernen
können.


Natürlich kann körperliche Selbstverteidigung nicht die einzige
Möglichkeit sein, männlicher Dominierung oder männlicher Gewalt
zu begegnen. Real Knockouts zeigt jedoch, dass Selbstverteidigung
eine Möglichkeit ist, verschiedene Theorien als überholt bzw.
veraltet zu zeigen, die innerhalb der feministischen Bewegungen
diskutiert worden und werden, wie die z. B. heute nur noch
vereinzelt auftretende Annahme, dass Gewalt von Männern gegen
Frauen unvermeidbar wäre und stellt die Frage, inwieweit
Annahmen, die feministische Diskurse in den letzten Jahren
geprägt haben, tatsächlich noch Bestand haben können und nicht
zumindest unter neuen Vorzeichen gelesen werden müssten.


Gleichzeitig geht sie auf feministische Diskurstheorien von
Judith Butler und anderen ein, die sich mit körperlichen
Konstruktionen beschäftigen und zeigt auf den kritischen Punkt,
nachdem deren Arbeiten zwar ein größeres Verständnis ermöglichen,
wie geschlechtliche Zuschreibungen an den Körper stattfinden,
dann jedoch reale körperliche Verletzungen nicht in Betracht zu
ziehen und bisher noch nicht danach gefragt haben, inwieweit neue
Theorien entwickelt werden können, die reale Körper und
gleichzeitig neue Identifikationen ermöglichen.


Martha McCaughey zeigt ihre Wertschätzung für die bisherigen
theoretischen Leistungen von feministischen Theoretiker*innen,
fordert jedoch die größere Berücksichtigung von körperlicher
Selbstverteidigung und betont deren Herausforderung an den
Feminismus, neue Wege zu suchen, wie Frauen ihrer Unterordnung in
einer Gesellschaft widerstehen können, die doch spezielle Körper
mit irrealen Anforderungen z. B. an Schlankheit und Busengröße
verlangt. Damit verbindet sie die Forderung an den Feminismus,
körperliche Realitäten anzuerkennen und und lenkt den Blick auf
die Freude, die dieser körperliche Widerstand ermöglicht - kurz:
Feminismus muss physisch werden.


Martha McCaugheys These ist, das Feminismus genauso viel von
Selbstverteidigung lernen, wie Selbstverteidigung mit Hilfe von
feministischer Theorie und Analyse gewinnen kann.


Eines der Anliegen des Werkes ist es auch, die Widersprüche der
Annahme aufzuzeigen, dass Gewalt etwas Männliches wäre und damit
prinzipiell ablehnenswert sei, und gleichzeitig kritisch dem
Misstrauen zu begegnen, welches als gewalttätig auftretenden oder
empfundenen Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft begegnet.
Von sich verteidigenden Frauen ist hingegen bekannt, dass sie
durchaus Freude an wirksamer Aggression, z. B. in
Selbstverteidigungskursen oder bei erfolgreichen widerständigen
Körperattacken erfahren. Diese beim selbst absolvierten
Kampftraining erfahrene Befriedigung machte Martha McCaughy zu
einem Fan von Frauen, die Selbstverteidigungskurse nehmen oder
unterrichten und es ihr im Gegenzug schwierig, diese Frauen als
von männlicher Dominierung übertölpelte Wesen zu abzutun.


In diesem Rahmen bewegt sich Real Knockouts - The Physical
Feminism of Womens's Self-Defence.


Martha McCaugheys Werk ist eine in fünf Kapiteln klar gegliederte
wissenschaftliche Arbeit, die sich jedoch auch an
Nichtakademikerinnen richtet.


Im ersten Teil - balls versus ovaries: women's "virtue" in
historical perspective - also ungefähr "Eier gegen Eierstöcke -
weibliche Kraft in historischer Perspektive - beschreibt Martha
McCaughey den Wandel der gesellschaftlichen Ansichten über die
Möglichkeiten von Frauen zur Selbstverteidigung. Es wird
deutlich, dass biologistische Erklärungsversuche für männliche
Gewalt, die alle Jahre wieder auftauchen, schlicht und einfach
Unsinn sind und ist sehr erhellend, wenn wir lernen, dass in den
40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Frauen wesentlich mehr
Kräfte zugestanden wurden, als dies beispielsweise in den oft für
mehr Frauenrechte gefeierten 1970ern der Fall war. Während in den
1940ern Selbstverteidigungsbücher von männlichen Armeeangehörigen
Frauen Tricks und Mittel zeigten, wie sie heute wieder in
Programmen wie z.B. Wendo gelehrt werden, und die Möglichkeit
einer körperlichen Gegenwehr schlicht als gegeben angenommen
wurde, so waren es die 1970er, die mit ihren Tipps wie "Gib nicht
deine Telefonnummer" oder "Geh nicht allein durch eine dunkle
Straße" in Frauen Unbehagen und das Gefühl von Schwäche
auslösten. Erst später setzte sich mühsam wieder das Bewusstsein
durch, dass Missbrauchssituationen durch Verwandte oder Bekannte
die Regel und nicht die Ausnahme sind, während die Gefahr, auf
offener Straße Opfer einer Vergewaltigung zu werden, marginal
ist.


Im zweiten Kapitel des Buches unter dem Titel "Gemein werden - in
der Szene der Selbstverteidigung" beschreibt Martha McCaughey
ihre eigenen Erfahrungen in verschiedensten
Selbstverteidigungskursen und ihre Bedeutung im Hinblick auf die
Entwicklung von femininer Hilflosigkeit hin zu deren Auslöschung
und die damit verbundene Wichtigkeit dieser Orte für die
Wiederverhandlung von Weiblichkeit und Aggression. Sie teilt
diese Kurse in 4 Kategorien ein: Selbstverteidigungskurse, bei
denen mit gepolsterten Aggressoren geübt wird, Schießkurse,
Kampfkünste oder kampfkunst-basierte Selbstverteidigungskurse und
Fitnessorientierte Kurse. Die meisten dieser Kurse waren nur für
Frauen geöffnet, die Autorin nahm aber auch an einigen
gemischtgeschlechtlichen Kursen teil. Martha McCaughey zeigt, wie
in einer supportiven Atmosphäre Frauen in phantasierten und dann
ausgeübten kämpferischen Erfolgen Bewusstseinsänderungen und
damit auch körperliche Neuzuschreibungen erleben. Dabei nimmt sie
jedoch auch kritisch mögliche legale Nachspiele unter die Lupe,
die eine gewalttätige Selbstverteidigung haben kann, und bei
denen unter Umständen rassistische oder sexistische Stereotypen
bei der juristischen Bewertung der Frage, ob diese Gegenwehr
legitim war, Verwendung finden.


In einem weiteren Kapitel untersucht sie davon ausgehend,
inwieweit diese Erfahrungen Auswirkungen auf das Gender, also das
soziale Geschlecht, haben (können), wenn die Grundannahme über
Gender berücksichtigt wird, dass es sich dabei um real ausgelebte
Körpervorstellungen und Annahmen handelt, die jedoch auf
Ideologien und Vorstellungen über das Geschlecht beruhen. Eine
der größten identifizierten Hürden dahin ist anerlernte
Weiblichkeit, die es Frauen (fast) unmöglich macht, sich
körperlich zur Wehr zu setzen. Dies zeigt den lebensändernden
Einfluss von körperlicher Selbstverteidigung, handelt diese doch
gegen alles über Weiblichkeit Erlernte: Angst vor Waffen, Angst
davor, jemanden zu verletzen (auch wenn der Angriff von der
anderen Person ausging), die Neigung nett zu sein, körperliche
Unentschlossenheit und vor allem den Nichtglauben in die eigene
physische Kraft.


Sie zeigt allerdings auch, wie vielfältig diese weiblichen Ängste
immer wieder ins Bewusstsein eingeschrieben werden, wenn
tagtäglich in Filmen und im Fernsehen gezeigt wird, dass z. B.
eine Frau versucht einen Mann zu schlagen und dieser einfach
lacht, oder dass sie versucht sich zur Wehr zu setzen und er die
Waffe einfach wegnimmt. Diese immer wieder kolportierte weibliche
Zögerlichkeit und Inkompetenz unterstützt eine
Vergewaltigungskultur, da sie Männern hilft, verbale oder
körperliche Auseinandersetzungen für sich zu entscheiden. Selbst
diejenigen, die Männern größere Kräfte zusprechen als Frauen,
stellen nicht in Frage, dass Seh- und Hörvermögen sowie ihre
Reflexe dem von Männern nicht unterlegen sind. Dies enthüllt die
Ironie der Angst von Frauen gegenüber Schusswaffen, ermöglichen
diese es doch, die Unterschiede in körperlicher Größe und Kraft
aufzuheben. Dies ist jedoch nur einer der in großer Zahl von
Martha McCaughey gegebenen Hinweise und Schlussfolgerungen in
Real Knockouts.


Im 4. Kapitel, überschrieben mit "Was Feminismus von
Selbstverteidigung lernen kann", zeigt sie - ausgehend von der in
den Kursen gewonnenen Erkenntnis, dass eine positive
Neueinschreibung möglich ist (genau wie sich der Körper durch
Krankheit, Schwangerschaft oder körperliche Angriffe ändern
konnte), dass die soziale Identität nicht vom Körper getrennt
werden, und das durch Kurse gewonnene neues Bewusstsein auch zu
einem neuen Feminismus führen kann. Konkret fordert Martha
McCaughey, dass die gewalttätige Gegenwehr von Frauen zu einer
Neubewertung von körperlichen Konzepten in feministischen
Theorien führen muss.


Den Abschluss des Buches bildet das Kapitel "Physischer
Feminismus", in dem die Konsequenzen von Selbstverteidigung auf
die sogenannte rape culture, also eine Kultur, in der
Vergewaltigung durch die körperliche Überlegenheit des Mannes und
die weibliche Verletzbarkeit und Opferrolle möglich wird,
erörtert werden. Im Erfahren der Freuden des körperlichen Kampfes
und seiner Möglichkeiten betreten Frauen ein traditionell den
Männern zugeschriebenes Feld und verlassen gleichzeitig die
Zuschreibungen als hübsche verwundbare Objekte, eine
Neuschreibung der den sozialen Geschlechtern zugeschriebenen
Fähigkeiten ist die Folge.


Real Knockouts - The Physical Feminism of Womens's Self-Defence
ist eine trotz ihrer Komplexität leicht zu lesende
wissenschaftliche Arbeit, deren Verdienst es ist, abseits von
banaler Selbstermächtigungsliteratur im Stile "Du willst es? Du
kannst es!" verschiedenste feministische Theorien zu erläutern
und zu erörtern, eigene Erfahrungsberichte und Anekdoten mit
umfangreichen Darstellungen der Selbstverteidigungsszene in den
USA zu verbinden und eine positive Verbindung zwischen diesen
Polen zu etablieren. Ein weiterer Pluspunkt des Werkes sind
umfangreiche Anmerkungen am Ende des Buches, in denen z. B.
einzelne Theorien vertieft werden, um das Buch lesbar zu halten,
gleichzeitig jedoch die theoretischen Grundlagen nicht zu
vernachlässigen, und ein sehr ausführlicher Quellenteil. Den
Abschluß des Buches bildet ein Index, der "Real Knockouts" auch
als Nachschlagewerk verwendbar macht.


In den letzten Jahren hat Martha McCaughy weitere Werke
veröffentlicht, zum Beispiel über gewalttätige Frauen im Film,
Popdarwinismus und Cyberaktivismus, die leider bisher nur in
Englisch vorliegen.


Mir half das Buch, einige der Widersprüche aufzulösen, denen man
als Feministin, die Kampfkünste lernt, ausgesetzt ist. Real
Knockouts half mir, nicht nur den Vorurteilen von Männern
begegnen zu können, die ihre Berechtigung eine Kampfkunst zu
erlernen, nicht immer wieder neu legitimieren müssen, sondern
auch den Widerspruch auszuhalten, körperlicher Gewalt, die als
ablehnenswert empfunden wird, mit Gewalt begegnen zu können und
sich für die Freude über einen gelungenen Upper-Cut nicht mehr
schämen zu müssen.


Es gibt Bücher, bei deren Lektüre im Kopf viele Lichter blinken
und bereits nach den ersten Seiten klar wird, dass sie die Sicht
aufs eigene Leben für immer verändern werden, und man hofft, dass
Seiten nachwachsen mögen, um noch mehr Lichter zu zünden, und
gleichzeitig fieberhaft weiterliest, doch um das kommende Ende
der Lektüre wissend. Real Knockouts ist eines dieser Bücher, und
ich möchte es Ladies, Feministinnen, Freunden von Feministinnen
und allen, die Kampfkünste erlernen, wärmstens ans Herz legen.


Real Knockouts - The Physical Feminism of Womens's Self-Defence
zollt der Realität in der wir leben Respekt, wenn körperliche
Gewalt zwar verabscheuenswürdig ist, ihre adäquate Antwort
darauf, nämlich die körperliche Gegenwehr, ihren gebührenden
Platz erhält - ein Mittel, uns in dieser Welt zu behaupten, bis
wir sie geändert haben, um in ihr ohne Gewalt leben zu können.


AND NOW YOU’RE IN FOR A TREAT (audio only): Leseprobe von Ms. E.
Stark!


Real Knockouts erschien 1997, und in den letzten Jahren hat sich
einiges getan: Waren bis dahin positiv dargestellte Kämpferinnen
z. B. in Filmen - von Genreausnahmen wie den noch wenig bekannten
chinesischen martial arts Filmen der 1920er Jahre abgesehen -
nicht oft zu finden, werden wir wie immer bei Buffy The Vampire
Slayer fündig. In ihrer Schule Außenseiterin und wenig beliebt,
wird ihr doch in der 20. Folge der 3. Staffel eine öffentliche
Ehrung zu Teil. In ihrer Prom Night, dem feierlichen Abschied von
der Highschool, gibt es verschiedene Ehrungen zu gewinnen. Eher
widerwillig, und durch den Unbeholfensten des Promcommittees
verliehen, wird Buffy als class protector geehrt und anerkannt,
dass eine Frau die traditionelle Rolle der protected ones
verlassen, und diese Rolle übernehmen kann.


*Die Rezension wurde erstmals 2010 veröffentlicht.


In der nächsten Woche besprechen wir die Bücher der letzten
Wochen gemeinsam.


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