(62) Elisabeth zu Wied (Carmen Sylva) »Angst« aus »Geflüsterte Worte«

(62) Elisabeth zu Wied (Carmen Sylva) »Angst« aus »Geflüsterte Worte«

21 Minuten
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Beschreibung

vor 3 Jahren
Wenn es eine Hölle geben kann, so ist sie ganz gewiß nur eine Zeit
namenloser Angst. Denn es gibt wohl nichts Furchtbareres als Angst.
Die Schmerzen des Leibes und der Seele reichen nicht an das Gefühl
wahnwitziger Angst hinan, welche die Glieder lähmt, das Wort in Eis
verwandelt, das Herz in einen Krater, in dem es pocht und siedet
Tag und Nacht. Die Höllengeborenen, welche die Angst erfanden,
wußten, daß diese dem Menschen die Sinne und Gedanken raubt. Und
dennoch haben Unzählige diesem Entsetzen widerstanden und sind für
einen einzigen Gedanken, für eine einzige Überzeugung durch die
Qual hindurchgegangen in den Tod, der wie ein Balsam ihre
erlöschenden Kräfte umfing. Ein Gedanke trug diese Menschen dem
Himmel zu, während ihre Henker in der Hölle verweilten, darum, wenn
die Angst, o Seele, dich umnachtet, so ist es nur darum, weil du
zweifelst, weil deine Überzeugung schwankt, weil du nicht den
Glauben hast, daß höchste Weisheit dich erleuchtet, und wenn sich
die ganze Welt wider dich kehrt. Du hast schon Angst vor der Leute
Geschwätz, schon diese Kleinigkeit ist dir so unerträglich, daß du
lieber dem Moloch dieser Leute opferst, als dich freudig zu deiner
Überzeugung zu bekennen. Das macht, weil das Christentum die Throne
bestiegen hat und in goldenen Gewändern einhergeht, anstatt
verfolgt und verhöhnt und gemartert zu sein. Damals zweifelte
keiner, und alle gingen in den Tod. Der Zweifel ist die Ausgeburt
des Wohllebens und der Erschlaffung. Wer leidet, der zweifelt
nicht, im Gegenteil, er wird nur immer bestärkt in seinem Glauben.
Du aber bist in der Verweichlichung groß geworden, in dem bequemen
Weihrauch der Kirche, der dich einhüllt und keinen Kampf mehr von
dir fordert, und da trifft dich das Ungemach mit seiner Folter,
Angst, wie etwas Unbekanntes, Entsetzliches. Angst ist entsetzlich.
Sie hat hundert Köpfe und tausend Krallen, sie hat gar kein
Antlitz, und gar keine Gestalt, das macht sie so furchtbar. Die
heilige Vehm nahm Masken vor, um furchtbarer zu sein. Dasselbe tut
die Angst. Sie hat kein erkennbares Aussehen, sondern legt sich dir
auf Herz und Glieder und raubt dir den Verstand. Das aber ist
wiederum der Körper, der dich also schwach macht, denn du weißt,
daß du dasselbe denkst wie zuvor. Die Angst an einem Totenbette ist
schlimmer als der Tod, die Angst vor einem vernichtenden Gespräche
schrecklicher als das Gespräch, das mit einem Menschen stattfindet,
der nur eine kurze Zeit über dich Gewalt bekommen hat und dich
nicht ewig foltern kann. Die Angst, Unrecht getan zu haben, die
Angst vor der Tat, die du für recht hältst, und von der du doch
nicht gewiß weißt ob sie zum Guten führt, die Angst, ein Wort
gesprochen zu haben, das einem andern Schaden bringt, – aber siehst
du nicht, daß die ganze Natur Angst hat? Vor dir, dem Räuber, der
alles Lebendige verzehrt, fürchten sich alle, und dein Entzücken
ist grenzenlos, wenn eins dieser bangen, mißtrauischen Wesen sich
an dich anschmiegt und glaubt, daß du es gut mit ihm meinst. Womit
hast du denn dieses Vertrauen verdient? Was hast du getan, damit
Vogel und Reh, Schmetterling und Eidechse dir vertrauen? Denn
selbst die Haustiere sind alle dem Tode verfallen, du nährst sie
nur für dich, nicht zu ihrem Wohl. Und dann willst du allein das
Gefühl der Angst nicht kennen? Hast du das verdient? Du würdest
nicht so arm sein, als … (weiterlesen auf
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