T 270/22 - Staubsaugerfilterbeutel (Offenbarungsüberschreitung / Schutzbereichserweiterung)
Gibt es ausnahmsweise einen Ausweg aus der - eigentlich -
unentrinnbaren Falle zwischen Art 123 (2) und Art 123 (3) EPÜ?
19 Minuten
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Beschreibung
vor 3 Tagen
In dieser Folge sprechen Michael Stadler und Lukas Fleischer über
die Entscheidung T 270/22 der Beschwerdekammern des Europäischen
Patentamts. Der Fall betrifft einen Staubsaugerfilterbeutel, dessen
Fasern aus rezykliertem Kunststoff bestehen sollen. Die
Entscheidung ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Aufnahme
eines nicht offenbarten Merkmals in die Ansprüche zu einer
Offenbarungsüberschreitung führen kann – und gleichzeitig zeigt sie
einen Spezialfall, in welchem der Patentinhaber der unentrinnbaren
Falle nach G 1/93 dennoch entkommen kann. Erfindung Die Anmeldung
betrifft einen klassischen Staubsaugerfilterbeutel mit einem
Faservlies oder einem Vliesstoff, dessen Fasern aus einem oder
mehreren rezyklierten Kunststoffen gebildet sind. Technisch ist die
Erfindung simpel – das Problem entsteht erst im Laufe des
Verfahrens. Prüfungsverfahren Die Prüfungsabteilung akzeptierte die
Neuheit, nahm jedoch zur Behebung eines vermeintlichen
Klarheitsmangels eine DIN-Norm (DIN EN 15347:2007) in den Anspruch
auf, um den Begriff „rezyklierter Kunststoff“ zu definieren. Diese
Norm beschreibt jedoch lediglich die Klassifikation von
Kunststoffabfällen, nicht deren spätere Faserherstellung. Anspruch
1 in der erteilten Fassung enthält somit folgende
Merkmalskombination: Staubsaugerfilterbeutel, umfassend einen
Innenraum umschließende Wandung aus einem luftdurchlässigen
Material sowie eine in die Wandung eingebrachte Einlassöffnung,
dadurch gekennzeichnet, dass das luftdurchlässige Material
mindestens eine Lage eines Vliesstoffes und/oder eine Lage aus
einem Faservlies umfasst, der bzw. das Fasern umfasst oder hieraus
besteht, die aus einem recyclierten Kunststoff oder mehreren
recyclierten Kunststoffen gemäß der Norm DIN EN 15347:2007 gebildet
sind. Einspruchsverfahren Der Einsprechende rügte ua die
Überschreitung der Offenbarung nach Art 100 lit c EPÜ des Anspruchs
14, jedoch nur in Zusammenhang mit einem konkreten Aspekt. In der
mündlichen Verhandlung erhob die Einspruchsabteilung zusätzlich ex
officio den Einwand, dass die Aufnahme der Norm selbst eine
Offenbarungsüberschreitung darstellt. Versuche der Patentinhaberin
im Rahmen von Hilfsanträgen die Norm wieder aus dem Anspruch zu
streichen, scheiterten an Art 123 (3) EPÜ. Das Patent wurde
widerrufen. Beschwerdeverfahren Die Beschwerdekammer bestätigte die
Offenbarungsüberschreitung durch die Aufnahme der Norn in den
Anspruch, da die Norm keinerlei Handlungsanweisung enthält, wie die
Fasern hergestellt werden, der Anspruch jedoch fordert, dass die
Fasern **gemäß der Norm** gebildet sind. Bei der Prüfung der
Hilfsanträge kam die Beschwerdekammer in Hinblick auf die
Streichung der problematischen Bezugnahme auf die Norm zum Schluss,
dass der Ausnahmetatbestand gemäß G 1/93 erfüllt ist und die
Bezugnahme auf die Norm gestrichen werden darf. Dies deshalb, da
die Norm keinen technischen Beitrag zum beanspruchten
Staubsaugerbeutel leistet und lediglich den Austausch von
Informationen über Kunststoffabfälle zum nachfolgenden Recycling
definiert, ohne konkrete Qualitätskriterien für die Abfälle zu
fordern (insbesondere ist auch die Information "keine
Klassifizierung möglich" oder "nicht bekannt" in der Norm
zugelassen. Entsprechend konnte die problematische Passage aus dem
Anspruch entfernt werden – ohne dass dies einen Verstoß gegen Art.
123(3) EPÜ darstellt, sodass der eigentlich unentrinnbaren Falle
ausnahmsweise entkommen werden konnte. Die Sache wurde zur weiteren
Prüfung der anderen Einspruchsgründe, insbesondere von Neuheit und
erfinderischer Tätigkeit, an die Einspruchsabteilung
zurückverwiesen. Weiteres Verfahren Nach der Zurückverweisung wurde
in der Fortsetzung des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung ein
Hilfsantrag für gewährbar erachtet. Beide Verfahrensbeteiligten
legten gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, sodass zum
Zeitpunkt der Aufnahme des Podcasts ein zweites Beschwerdeverfahren
anhängig ist.
die Entscheidung T 270/22 der Beschwerdekammern des Europäischen
Patentamts. Der Fall betrifft einen Staubsaugerfilterbeutel, dessen
Fasern aus rezykliertem Kunststoff bestehen sollen. Die
Entscheidung ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Aufnahme
eines nicht offenbarten Merkmals in die Ansprüche zu einer
Offenbarungsüberschreitung führen kann – und gleichzeitig zeigt sie
einen Spezialfall, in welchem der Patentinhaber der unentrinnbaren
Falle nach G 1/93 dennoch entkommen kann. Erfindung Die Anmeldung
betrifft einen klassischen Staubsaugerfilterbeutel mit einem
Faservlies oder einem Vliesstoff, dessen Fasern aus einem oder
mehreren rezyklierten Kunststoffen gebildet sind. Technisch ist die
Erfindung simpel – das Problem entsteht erst im Laufe des
Verfahrens. Prüfungsverfahren Die Prüfungsabteilung akzeptierte die
Neuheit, nahm jedoch zur Behebung eines vermeintlichen
Klarheitsmangels eine DIN-Norm (DIN EN 15347:2007) in den Anspruch
auf, um den Begriff „rezyklierter Kunststoff“ zu definieren. Diese
Norm beschreibt jedoch lediglich die Klassifikation von
Kunststoffabfällen, nicht deren spätere Faserherstellung. Anspruch
1 in der erteilten Fassung enthält somit folgende
Merkmalskombination: Staubsaugerfilterbeutel, umfassend einen
Innenraum umschließende Wandung aus einem luftdurchlässigen
Material sowie eine in die Wandung eingebrachte Einlassöffnung,
dadurch gekennzeichnet, dass das luftdurchlässige Material
mindestens eine Lage eines Vliesstoffes und/oder eine Lage aus
einem Faservlies umfasst, der bzw. das Fasern umfasst oder hieraus
besteht, die aus einem recyclierten Kunststoff oder mehreren
recyclierten Kunststoffen gemäß der Norm DIN EN 15347:2007 gebildet
sind. Einspruchsverfahren Der Einsprechende rügte ua die
Überschreitung der Offenbarung nach Art 100 lit c EPÜ des Anspruchs
14, jedoch nur in Zusammenhang mit einem konkreten Aspekt. In der
mündlichen Verhandlung erhob die Einspruchsabteilung zusätzlich ex
officio den Einwand, dass die Aufnahme der Norm selbst eine
Offenbarungsüberschreitung darstellt. Versuche der Patentinhaberin
im Rahmen von Hilfsanträgen die Norm wieder aus dem Anspruch zu
streichen, scheiterten an Art 123 (3) EPÜ. Das Patent wurde
widerrufen. Beschwerdeverfahren Die Beschwerdekammer bestätigte die
Offenbarungsüberschreitung durch die Aufnahme der Norn in den
Anspruch, da die Norm keinerlei Handlungsanweisung enthält, wie die
Fasern hergestellt werden, der Anspruch jedoch fordert, dass die
Fasern **gemäß der Norm** gebildet sind. Bei der Prüfung der
Hilfsanträge kam die Beschwerdekammer in Hinblick auf die
Streichung der problematischen Bezugnahme auf die Norm zum Schluss,
dass der Ausnahmetatbestand gemäß G 1/93 erfüllt ist und die
Bezugnahme auf die Norm gestrichen werden darf. Dies deshalb, da
die Norm keinen technischen Beitrag zum beanspruchten
Staubsaugerbeutel leistet und lediglich den Austausch von
Informationen über Kunststoffabfälle zum nachfolgenden Recycling
definiert, ohne konkrete Qualitätskriterien für die Abfälle zu
fordern (insbesondere ist auch die Information "keine
Klassifizierung möglich" oder "nicht bekannt" in der Norm
zugelassen. Entsprechend konnte die problematische Passage aus dem
Anspruch entfernt werden – ohne dass dies einen Verstoß gegen Art.
123(3) EPÜ darstellt, sodass der eigentlich unentrinnbaren Falle
ausnahmsweise entkommen werden konnte. Die Sache wurde zur weiteren
Prüfung der anderen Einspruchsgründe, insbesondere von Neuheit und
erfinderischer Tätigkeit, an die Einspruchsabteilung
zurückverwiesen. Weiteres Verfahren Nach der Zurückverweisung wurde
in der Fortsetzung des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung ein
Hilfsantrag für gewährbar erachtet. Beide Verfahrensbeteiligten
legten gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, sodass zum
Zeitpunkt der Aufnahme des Podcasts ein zweites Beschwerdeverfahren
anhängig ist.
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