FG062 - Kulturkampf um den Heiligen Rock
1 Stunde 45 Minuten
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Beschreibung
vor 1 Tag
Wir beschließen unser halbwegs heiliges Jahr mit einer Wallfahrt
zum Heiligen Rock nach Trier. Wir erzählen, wie sich Trier als
besonders „heilige Stadt“ inszenierte und warum gerade diese
Reliquie zum identitätsstiftenden Symbol wurde. Dabei ordnen wir
den Heiligen Rock in die Tradition der Reliquienverehrung ein:
von Kreuzsplittern über Nägel bis zu Kleidungsstücken, die Jesus
zugeschrieben werden. Wir sprechen darüber, wie Städte mit ihren
Heiligtümern Pilger, Prestige und Geld anziehen und sich damit
ein regelrechter religiöser Wettbewerb entwickelt. Gleichzeitig
wird der Rock zum Politikum: Wie wurde die Wallfahrt im Jahre
1844 zum Auslöser für Streit, Spott und Kulturkampf?
Kreuzfund der heiligen Helena und die Frage der
Echtheit
Zunächst schauen wir auf die Legende von der heiligen Helena, der
Mutter von Konstantin dem Großen. Wir erzählen, wie sie der
Tradition nach nach Jerusalem reist, das Kreuz Jesu und weitere
Passionsreliquien findet und nach Rom bringen lässt – in
Varianten von der knappen Notiz bis zur farbig ausgeschmückten
Legenda Aurea. Wir greifen die Figur des Judas/Kyriakus auf, der
der Legende nach bei der Suche hilft, und zeigen, wie solche
Geschichten den Glauben stärken sollen, dass auch Kleidungsstücke
Jesu überliefert sein könnten. Zugleich diskutieren wir nüchtern
die Frage der historischen Plausibilität: Was berichten antike
Autoren wie Flavius Josephus, was bedeuten Zerstörung Jerusalems,
römische Politik unter Titus und Hadrian oder der
Bar-Kochba-Aufstand für die Überlieferungschancen eines Kreuzes?
Danach hält es Solveig durchaus für denkbar, das Helena
tatsächlich ein Kreuz fand, das frühe christliche Pilger als das
Kreuz Christi verehrten.
Vom mittelalterlichen Pilgermagnet zum Politikum im
Rheinland
Dann wenden wir uns der konkreten Geschichte des Heiligen Rocks
in Trier zu. Wir erklären, wie die Stadt im Mittelalter eine
ungeteilte Tunika Jesu, das „Gewand ohne Naht“, beansprucht und
damit ihren Rang als Pilgerzentrum aufwertet – nicht zuletzt im
Wettbewerb mit anderen Heiligtümern wie der Aachener
Heiligtumsfahrt oder Kreuzreliquien in Prüm. Wir erzählen, wie
der Rock bei großen Anlässen „erhoben“ und öffentlich gezeigt
wird, mit aufwendiger Inszenierung, Gerüsten, Baldachinen und
liturgischen Texten. Später kommen regelmäßige Wallfahrten hinzu,
Ablässe – etwa durch Papst Leo X. – und gewaltige Pilgerströme,
die der Region ökonomisch nutzen, aber auch heftige Kritik
provozieren. Begriffe wie „Bescheißerei von Trier“ stehen für den
Verdacht, dass hier mit Glauben Geschäfte gemacht werden. Nach
Kriegen und Revolutionen wird der Rock mehrfach ausgelagert,
unter anderem nach Ehrenbreitstein, Böhmen und Augsburg, bevor er
wieder nach Trier zurückkehrt – in eine Region, die nach dem
Wiener Kongress nun zum überwiegend protestantischen Preußen
gehört. Genau hier beginnt die Geschichte des Heiligen Rocks als
politisches Symbol im katholisch geprägten Rheinland.
Kölner und Trierer Wirren: Mischehenstreit und die
Wallfahrt 1844
In einem großen Block schlagen wir die Brücke von der
Reliquienverehrung zu den Kirchenkonflikten des 19. Jahrhunderts.
Zunächst erklären wir die Kölner Wirren: den Streit um Mischehen
zwischen Katholiken und Protestanten im Königreich Preußen, die
Rolle des Theologen Georg Hermes und des Erzbischofs Clemens
August Droste zu Vischering, der verhaftet wird. Wir zeigen, wie
sich hier das Ringen zwischen Rom und dem preußischen Staat
zuspitzt – ein Vorspiel zum späteren Kulturkampf. Danach wechseln
wir nach Trier zu den „Trierer Wirren“ um Bischof Wilhelm
Arnoldi, der 1844 die große Heilig-Rock-Wallfahrt organisiert.
Wir erzählen, wie Hunderttausende nach Trier pilgern, wie
Predigten von Heilungen und Wundern berichten und wie die
Wallfahrt zu einem Medienereignis wird. Gleichzeitig formiert
sich Widerstand: Liberale Katholiken und Protestanten sehen
Täuschung, Aberglauben oder politisch motivierte Frömmigkeit,
während konservative Kreise das Ganze als geistliches
Großereignis feiern. So wird Trier zum Schauplatz eines
Kulturkampfs im Kleinen – mitten im Vormärz.
Johannes Ronge und der
Deutschkatholizismus
An diesem Punkt tritt Johannes Ronge auf den Plan. Wir schildern,
wie der schlesische Priester in einem offenen Brief an Bischof
Arnoldi die Heilig-Rock-Wallfahrt als „Götzendienst“ und bewusste
Irreführung armer Gläubiger angreift. Wir verfolgen, wie dieser
Brief erst regional, dann reichsweit verbreitet wird, wie er in
Leipzig gedruckt und von Akteuren wie Robert Blum unterstützt
wird und zu einem publizistischen Paukenschlag wird. Ronge wird
exkommuniziert, doch um ihn herum bilden sich Gemeinden, die sich
von Rom lösen – der Beginn des Deutschkatholizismus. Wir
erklären, wie diese Bewegung Heiligenkult, Papsttum und Beichte
kritisiert und eine nationale, „vernünftige“ Form des
Christentums propagiert, eng verbunden mit liberalen und
demokratischen Kreisen im Vormärz. Wir greifen auch Figuren wie
Hans Blum auf und zeigen, wie die Debatten um den Heiligen Rock
direkt in die politische Dynamik der Revolution von 1848
hineinreichen – bis hin zu späteren Auseinandersetzungen, in
denen dann Otto von Bismarck eine zentrale Rolle spielt.
Spätere Wallfahrten mit und ohne Ablass
Zum Schluss schauen wir in einem Bogen über das 19. und 20.
Jahrhundert bis in die Gegenwart. Wir erzählen von späteren
Heilig-Rock-Wallfahrten 1891, 1933, 1959, 1996 und 2012, von
wechselnden politischen Kontexten – Kaiserreich,
Nationalsozialismus, Bundesrepublik – und von der Frage, wie
viele Menschen jeweils nach Trier kommen. Zuletzt sogar
evangelische Christen, denen der Verzicht auf den sonst üblichen
Ablass die Hemmungen nehmen sollte.
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