Podcaster
Episoden
27.11.2025
1 Stunde 45 Minuten
In dieser Folge setzen wir unser Gespräch über das Böse fort und
wenden uns Vorstellungen von Besessenheit und Exorzismus in
Bibel, Kirchengeschichte und Gegenwart zu. Ausgangspunkt ist ein
Gebet zum heiligen Erzengel Michael, mit dem wir uns symbolisch
„rüsten“, bevor wir an unsere vorige Folge über Hölle und Teufel
mit Dante Alighieri anschließen.
Biblische Dämonenerzählungen und frühe
Taufexorzismen
Anhand verschiedener neutestamentlicher Erzählungen über Jesus
und „Dämonen“ sprechen wir darüber, wie eng damals Krankheit,
gesellschaftliche Ausgrenzung und Besessenheitsvorstellungen
miteinander verknüpft sind. Wir erinnern an Geschichten, in denen
Dämonen Jesus ansprechen, beim Namen genannt werden und in eine
Schweineherde fahren, und überlegen gemeinsam, wie diese Texte
funktionieren, ohne sie vorschnell medizinisch oder nur
symbolisch „aufzulösen“.
Von dort aus schlagen wir eine Linie in die frühe Kirche: Wir
greifen auf Tertullian zurück, der heidnische Götter als Dämonen
versteht, und auf Origenes, der die Anrufung des Namens Jesu
betont. In den Erzählungen über Antonius den Großen bei
Athanasius von Alexandrien werden Kämpfe mit Dämonen Teil eines
asketischen Ideals; wir kontrastieren das kurz mit anderen
Heiligenbildern.
Ein Schwerpunkt liegt auf dem Taufexorzismus: Wir lesen Stellen
bei Augustinus von Hippo und anderen Quellen, in denen
beschrieben wird, wie Taufbewerber:innen durch Gebet, Anhauchen
und Ausblasen „gereinigt“ werden, bevor sie getauft werden. Wir
zeigen, wie sich diese Praktiken in fränkischen Riten fortsetzen,
in denen Wasser, Salz und Öl exorziert werden und ganze Gemeinden
in der Fastenzeit in kollektive Exorzismen einbezogen sind.
Der große Exorzismus und das Rituale
Romanum
Im nächsten Schritt klären wir, was die Kirche überhaupt unter
Exorzismus versteht. Ausgehend vom Codex Iuris Canonici
unterscheiden wir zwischen „kleinen" Taufexorzismen und dem
„großen Exorzismus“ über Einzelpersonen, der nur mit
bischöflicher Erlaubnis von eigens beauftragten Priestern
durchgeführt werden darf. Wir sprechen darüber, dass Exorzismus
als sakramentale Handlung verstanden wird, in der die Kirche im
Namen Jesu um Befreiung von der Macht des Bösen bittet.
Daran anschließend nehmen wir das Rituale Romanum in den Blick,
in dem seit 1614 die maßgeblichen Exorzismusformeln gesammelt
sind. Wir lesen längere Ausschnitte aus dem großen Exorzismus und
klären den Unterschied zwischen depräkativer Bitte um Gottes
Beistand und der imprekativen diekten Ansprache des Dämons. Dabei
wird für uns spürbar, wie belastend der Text ist – und
gleichzeitig, wie sehr er davon ausgeht, dass die Kirche dem
Teufel im Kampf gegenübersteht.
Glaube, Wunder und Aufklärung: Johann Joseph
Gaßner
Ausgerechnet im Zeitalter der Aufklärung zieht der Pfarrer Johann
Joseph Gaßner als Exorzist und Wunderheiler viel Aufmerksamkeit
bekam. Er sah in den meisten Krankheiten Dämonen am Werk und
heilte Gläubige durch seinen Segen.. Seine Praxis wird zum
Streitfall zwischen Aufklärung, medizinischer Deutung,
kirchlicher Kontrolle und volkstümlicher Frömmigkeit – inklusive
Konflikten mit Bischöfen und weltlichen Herrschern.
Leoninische Gebete, Konzilsreformen und der Fall
Anneliese Michel
Dann wenden wir uns den sogenannten „Leoninischen Gebeten“ nach
der Messe zu und der Legende, Papst Leo XIII. habe nach einer
Vision das Gebet zum Erzengel Michael formuliert. Wir erzählen,
wie diese Gebete im 19. und 20. Jahrhundert im Kontext des
politischen Ringens um den Kirchenstaat unter Pius IX. und später
neu gedeutet unter Pius XI. stehen – bis hin zu Bezügen zu
Russland und Marienerscheinungen.
Im Anschluss sprechen wir über die Liturgiereform des Zweiten
Vatikanischen Konzils: neue Messordnung, Landessprache,
veränderte Kommunionpraxis und die Spannungen zwischen denen, die
darin eine Erneuerung sehen, und jenen, die einen Bruch mit der
Tradition wahrnehmen.
Diese Auseinandersetzungen bilden den Hintergrund im Fall
Anneliese Michel. Wir erzählen ihre Biografie in groben Linien,
sprechen über ihre gesundheitlichen Probleme und ihre intensive
Frömmigkeit, über Wallfahrten und vermeintliche Erscheinungen.
Wir greifen die Rolle des Jesuiten Adolf Rodewick und des
Exorzisten Arnold Renz auf, der den großen Exorzismus nach dem
Rituale Romanum durchführte, und schildern die langen Reihen von
Exorzismussitzungen. Anneliese Michel starb schließlich infolge
extremer Unterernährung, die Exhumierung, die Gerichtsprozesse
und die Fragen nach Verantwortung, Seelsorge und Krankheit, die
uns dabei nicht loslassen.
Reformen des Exorzismus und mediale Bilder des
Bösen
Im Anschluss schauen wir auf kirchliche und theologische
Reaktionen: auf Kommissionen, in denen Bischöfe, Theologen,
Ärzt:innen und Psycholog:innen über Kriterien für Exorzismen
beraten, und auf die Überarbeitung des Exorzismusritus, die 1999
in einem neuen Buch mündete. Wir erklären, dass darin deprekative
Gebete stärker betont werden und die direkte Anrede des Dämons
vorsichtiger gehandhabt wird, ohne dass der alte Ritus
vollständig verschwindet – ein Spannungsfeld, das innerkirchliche
Konflikte auslöst.
Ein großer Befürworter des alten Rituale war Gabriele Amorth. Als
Exorzist des Bistums Rom war er Mitbegründer und langjähriger
Vorsitzender der Internationalen Vereinigung der Exorzisten. Zum
Schluss dieses Blocks geht es um die mediale Verarbeitung: um den
Horrorfilm „Der Exorzist“ und den Film „Exorzist des Papstes“ mit
Russell Crowe, die auf Amorth Bezug nehmen – und um die Frage,
wie sehr solche Bilder unsere Vorstellungen von Teufel und
Besessenheit prägen.
Gegenwart, Freikirchen und Luthers Rat
Zum Schluss schlagen wir einen Bogen in die Gegenwart. Wir
sprechen darüber, dass Exorzismen nicht nur ein katholisches
Thema sind, sondern auch in evangelikalen und pfingstlichen
Milieus vorkommen, und erzählen von Freikirchen, die auf TikTok
und YouTube Live-Exorzismen zeigen. Luther dagegen befand, dass
man den Teufel am besten verspottet und auslacht, weil er
Verachtung nicht ertragen kann.
Die Goldene Schindel
Wir sind beim Podcaster-Quiz „Die Goldene
Schindel“ dabei! Das ist ein Wettbewerb von unabhängigen
Geschichtspodcasts im DACH-Raum. Die ersten vier Folgen sind
bereits online.Die fünfte Runde ist am 27.
November mit Solveig.
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13.11.2025
1 Stunde 26 Minuten
In dieser Folge sprechen wir darüber, wie das Böse gedacht und
erklärt wurde – und welche Rolle Dämonen und der Teufel darin
spielen. Wir verfolgen, wie sich die Vorstellung von Dämonen und
Teufel von der Antike über das frühe Christentum bis in die
Neuzeit verändert hat.
Vom antiken Dämon zum christlichen Teufel
Wir beginnen mit dem alten Begriff „Dämon“, der in der Antike
noch nichts Böses meinte. In der griechischen Welt waren Dämonen
Mittlerwesen zwischen Göttern und Menschen – nicht gut oder
schlecht, sondern Teil einer durchlässigen spirituellen Ordnung.
Im Christentum verändert sich dieses Bild grundlegend. Dämonen
werden nun als feindliche Mächte verstanden, als Kräfte des
Bösen, die den Menschen in Versuchung führen oder ins Unglück
stürzen. Wir sprechen darüber, wie aus der neutralen Bezeichnung
ein Synonym für das Böse wurde – und wie eng diese Entwicklung
mit dem Glauben an Krankheit, Besessenheit und Sünde verknüpft
war.
Dämonen im Neuen Testament
Wir betrachten die Evangelien, in denen Dämonen in vielen
Erzählungen auftauchen. Jesus treibt Dämonen aus, heilt Menschen
und konfrontiert das Böse direkt. Dabei wird deutlich, dass die
Vorstellungen von Besessenheit und Heilung Teil des damaligen
Weltbildes sind. Wir fragen, wie diese Texte zu verstehen sind:
als Symbolik, als Ausdruck antiker Vorstellungen oder als
Berichte realer Erfahrungen. Im Gespräch wird klar, wie tief der
Glaube an dämonische Mächte das Denken der frühen Christen
geprägt hat.
Vom heidnischen Gott zum Dämon
Ein wichtiger Wendepunkt: die Auseinandersetzung mit den
Religionen der Antike. Die frühen Christen sahen in den
heidnischen Göttern keine neutralen Wesen, sondern dämonische
Gegner. Was zuvor als göttlich galt, wurde zu einer Bedrohung.
Wir sprechen darüber, wie dieser Perspektivwechsel half, die
eigene Glaubenswelt abzugrenzen – und wie heidnische Kulte
dadurch zu einem Teil der Dämonologie wurden.
Satan, Luzifer und die gefallenen Engel
Im Zentrum steht der Teufel selbst: seine Gestalt, seine
Herkunft, seine Entwicklung. Im Alten Testament erscheint Satan
zunächst als Ankläger im göttlichen Hofstaat; erst später wird er
zum Gegenspieler Gottes. Die Vorstellung vom Sturz der Engel
führt uns zur Idee der gefallenen Wesen, die durch ihren
Ungehorsam zu Dämonen werden. Luzifer – der Lichtträger, der sich
gegen Gott erhebt – steht sinnbildlich für diesen Umbruch. Aus
dem Engel wird der Herrscher der Finsternis. Wir sprechen
darüber, wie diese Bilder die Vorstellung vom Bösen prägten – und
wie sie bis heute nachwirken.
Der Teufel in Literatur und Theologie
Ein großer Teil der Folge widmet sich den literarischen Bildern
des Teufels. Dante Alighieri entwirft in seiner Göttlichen
Komödie die neun Höllenkreise – eine Ordnung des Bösen, in der
jede Sünde ihren Platz hat. Der Teufel wird hier zu einer
festgelegten Figur, gefangen im Eis, fern von der göttlichen
Wärme. Die Vorstellung des Limbus – des Ortes zwischen Himmel und
Hölle – wird wird auch in der Kirche lange tradiert und
schließlich verworfen.
Die Goldene Schindel
Wir sind beim Podcaster-Quiz „Die Goldene
Schindel“ dabei! Das ist ein Wettbewerb von unabhängigen
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online; die weiteren Termine sind: am 17., 18., 19. sowie
am 27. November. Wir sind dabei – am
19. mit Daniel, und am 27. November
übernimmt Solveig.
Übertragen wird das Ganze live auf Twitch, auf
dem Kanal von Historia
Universalis
Zum Ausblick: In zwei Wochen bleiben wir beim
Thema und sprechen über den Exorzismus.
Bis dahin hört doch (nochmal) die Folge "Hexen &
Antike Magie" an: Wir waren zu Gast bei "Alle Zeit der
Welt".
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09.10.2025
1 Stunde 50 Minuten
Rom im Jahr 897: Auf dem päpstlichen Thron sitzt ein Mann, der
seit Monaten tot ist.
Papst Formosus – einst Bischof, Diplomat und
Pontifex – wurde aus seiner Gruft geholt, in päpstliche Gewänder
gekleidet und vor ein kirchliches Gericht gezerrt. Ein Diakon
übernimmt seine Verteidigung. Sein Ankläger ist sein Nachfolger:
Stephan VI. und daher steht auch das Urteil in
diesem Schauprozess schon vor Beginn fest, denn solange der
verstorbene Formosus als Papst zählt, ist Stephans Wahl illegal.
Das makabre Schauspiel geht als Leichensynode in
die Geschichte ein.
Rom in Aufruhr – zwischen Kaisern, Königen und
Kirchenrecht
Die Ewige Stadt steht zu dieser Zeit am Beginn einer dunklen Zeit
- des Saeculum obscurum. Die Macht des
karolingischen Schutzherrn schwindet und italienische Familien
gewinnen an Einfluss. Formosus musste zwischen ihnen lavieren:
Als Papst stand er zwischen dem ostfränkischen König
Arnulf von Kärnten, den er in Rom zum Kaiser
krönte, und den einflussreichen Herzögen von Spoleto. Bereits
Formosus' Vorgänger hatte jedoch die Widonen als
mächstigstes Haus zu seinen neuen Schutzherrn und Lambert
von Spoleto zum Kaiser gemacht. Wollte Stephan VI. also
hier wieder die Seite wechseln?
Papst Stephan richtet sich selbst
Der Vorwurf an den verstorbenen Formosus lautet, er habe Eide
gebrochen, Ämter doppelt bekleidet und sich unrechtmäßig des
Stuhl Petri bemächtigt. Nach dem Urteil der Synode reißt man dem
Leichnam die päpstlichen Gewänder vom Leib, schneidet seine
Schwurfinger ab und wirft ihn schließlich in den Tiber. Nichts
soll fortan an seine Existenz erinnern. Die Vorgänge waren
offenbar bereits für viele Zeitgenossen schwer zu ertragen und
Stephans Vorwürfe gegen Formosus fallen auf ihn selbst zurück.
Nach nur zwei Monaten im Amt wird Stephan eingekerkert und
schließlich getötet.
Rücknahme, Gegenschlag, Wiederholung
Auf Stephans Tod folgt die Rehabilitierung des Formosus.
Theodor II. ist kaum drei Wochen im Amt und
schafft es doch, das Urteil aufzuheben. Der Leichnam des Formosus
wird geborgen und erneut im Petersdom beigesetzt. Papst
Johannes IX. bestätigt diese Entscheidung und
lässt die Protokolle der Leichensynode verbrennen. Doch
Sergius III. schlägt sich erneut auf die
Gegenseite und lässt den Leichnam des Formosus erneut verstümmeln
und in den Tiber werfen. Statt seiner gedenkt Sergius lieber dem
Richter der Leichensynode und ehrt Stephan VI. mit einem Epitaph
im Dom. So kommt es, dass Luitprand von
Cremonain seiner Antapodosis Stephan und Sergius
verwechselt.
Der Bischof und seine Braut
Was nach Wahnsinn klingt, war in Wahrheit eine Reaktion auf ein
juristisches Problem. Solveig zeigt, dass hinter
dieser grotesken Handlung kein kollektiver Irrsinn stand, sondern
ein Versuch, kirchenrechtliche Ordnung wiederherzustellen.
Formosus war einst Bischof von Porto, bevor er Papst wurde – ein
Verstoß gegen das Translationsverbot, das einem
Bischof untersagte, in ein anderes Bistum zu wechseln. Das ist
der Kern der Anklage durch Stephan VI. Denn der hatte dasselbe
Problem: Stephan war bereits Bischof von Anagni, bevor er Papst
wurde und sorgte sich offenbar um seine Legitimität als Pontifex.
Der nachträgliche Prozess gegen den Toten diente also dazu, das
alte Bistum loszuwerden: Formosus hatte Stephan zum Bischof
geweiht. Wenn dessen Papstum illegal war, dann wurden auch seine
Weihen ungültig und Stephans Wahl rechtmäßig.
Flurfunk verbindet – Bezüge zu früheren
Folgen
Die Leichensynode hat Bezüge zu mehreren früheren Folgen, in
denen wir bereits einige der Personen und die obskure Zeit des
Frühmittelalters besprochen haben:
52 - Konklave - Machtkampf und heiliger Geist
48 - Irene von Athen und das Zwei-Kaiser-Problem
23 - Non habemus papessam
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11.09.2025
1 Stunde 57 Minuten
Wir beginnen diese Folge mit einer kleinen Zeitreise in unsere
westfälische Heimat. Münster, die Stadt der Fahrräder, des
Friedenssaals und des studentischen Treibens – doch im 16.
Jahrhundert war sie der Schauplatz einer religiösen Revolution,
die in einer Katastrophe endete. Wir wollen wissen: Wie konnte
ausgerechnet hier ein sogenanntes „neues Jerusalem“ entstehen –
und warum ist es so blutig untergegangen?
Von der Reformation zur Radikalisierung
Ausgangspunkt war die Reformationszeit. Während Martin Luther
theologisch für Aufbruch sorgte, radikalisierten sich andere. Die
Täuferbewegung, die auf die Erwachsenentaufe
setzte, verstand sich nicht nur als religiöse Alternative,
sondern als Gegenentwurf zur bestehenden Ordnung. Mit Predigern
wie Jan Matthys und später Jan van Leiden erreichte diese
Strömung Münster – und kippte die Stadt in einen Strudel von
Fanatismus.
Der Traum vom „neuen Jerusalem“
Wir sprechen darüber, wie die Täufer 1534 die Macht übernahmen
und Münster zur „Gottesstadt“ erklärten. Besitz sollte
gemeinschaftlich werden, es gab Visionen von Gleichheit und
Gerechtigkeit. Doch schon bald zeigte sich die Kehrseite: Jan van
Leiden ließ sich zum „König von Zion“ krönen, führte die
Polygamie ein und errichtete eine autoritäre
Herrschaft. Mit Getreuen wie Bernhard Knipperdolling und Bernhard
Krechting entstand eine Mischung aus religiösem Wahn, Zwang und
Terror.
Hunger, Belagerung, Gewalt
Bischof Franz von Waldeck setzte alles daran, seine Stadt
zurückzuerobern. Eine monatelange Belagerung begann, während die
Bewohner Münsters hungerten. Wir diskutieren, wie Angst,
Propaganda und Gewalt den Alltag bestimmten – und wie das
Täuferreich langsam in sich zusammenbrach. Als 1535 die Mauern
fielen, endete die Herrschaft blutig: Jan van Leiden und seine
Gefolgsleute wurden grausam hingerichtet, ihre Körper zur
Abschreckung in eisernen Körben an der Lambertikirche
aufgehängt.
Erinnerung an eine Warnung
Bis heute hängen Nachbildungen dieser Körbe dort – ein sichtbares
Zeichen dafür, wie schnell religiöser Eifer in Tyrannei
umschlagen kann. Wir fragen uns: Was bleibt vom Täuferreich? Für
uns ist es kein romantisches Kapitel der Geschichte, sondern ein
warnendes Beispiel dafür, wie gefährlich Heilsversprechen und
totalitäre Utopien sein können.
Die Hintergrundmusik zu den Zitaten sind Choräle des 16.
Jahrhunderts aus dem Evangelischen Gesangbuch, eingespielt von
Aurel von Bismarck und abrufbar auf Wikipedia.
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14.08.2025
2 Stunden 15 Minuten
Wir knüpfen nochmals an unsere Folge über Glanz und Elend der
Aufklärung an und blicken genauer auf das Leben eines Mannes, auf
dessen Anschauung der griechischen Antike die Epoche des
Klassizismus gründete: Johann Joachim
Winckelmann, Begründer der modernen Kunstgeschichte und
Wegbereiter der Klassischen Archäologie. Dabei kommt es
Winckelmann darauf an, das Empfinden von Schönheit vernunftmäßig
zu begründen und scheint in seinen Arbeiten seine eigene Vorliebe
für jugendliche männliche Körper durch.
Von Stendal über Nöthnitz nach Dresden
1717 in Stendal geboren, entkommt Winckelmann
seinen bescheidenen Herkunftsverhältnissen durch Bildung und
Ehrgeiz. Eine entscheidende Etappe ist seine Zeit als
Bibliothekar beim Grafen Bünau auf Schloss
Nöthnitz bei Dresden. Dort hat er Zugang zu einer umfangreichen
Bibliothek und vertieft sein Wissen über die Antike. Später
wechselt er nach Dresden, wo die dortigen Kunstsammlungen –
besonders die Antiken – seinen Sinn für klassische Formen
schärfen und zu seiner ersten Veröffentlichung führen. Der
päpstliche Nuntius in Dresden, Alberico Achinto,
verschafft Winckelmann die Kontakte für eine Anstellung in
Rom.
Konversion und Karriere in Rom
Um in Rom überhaupt eine Anstellung zu erlangen, konvertiert
Winckelmann 1754 zum Katholizismus. Er arbeitet schließlich für
den einflussreichen Kardinal Alessandro Albani,
der eine bedeutende Antikensammlung besitzt. Ein weiterer
wichtiger Kontakt ist der englische Agent und Antikenkenner
Baron Philipp von Stosch, dessen Sammlung von
Gemmen und Skulpturen Winckelmann katalogisiert.
„Edle Einfalt und stille Größe“
Der Kern von Winckelmanns Ideal: Die antike Kunst – insbesondere
die griechische Skulptur – verkörpere „edle
Einfalt und stille Größe“. Winckelmann war überzeugt, dass die
griechischen Künstler eine perfekte Balance zwischen
Natürlichkeit und idealisierter Form gefunden hatten.
Insbesondere der Apoll von Belvedere oder die
Laokoon-Gruppe dienten ihm als
Leitbilder.
Die Ästhetik des Körpers – und Winckelmanns eigene
Vorlieben
Winckelmann schwärmte vor allem von männlichen Körpern – nicht
nur aus wissenschaftlicher Perspektive. Seine homosexuelle
Orientierung, die in seiner Zeit nicht nur gesellschaftlich
tabuisiert, sondern kriminalisiert war, schwang in seiner
Bevorzugung antiker männlicher Heldendarstellungen immer mit. In
der Folge liest Daniel ausführlich aus der berühmten Beschreibung
des Torso vom Belvedere – ein Text, in dem
Winckelmanns sinnliche, ja fast erotische Begeisterung für den
männlichen Körper deutlich wird. Hier zeigt sich, wie sehr seine
persönliche Orientierung sein Verständnis antiker Kunstwerke
prägte.
Archäologie als Wissenschaft
Neben seiner Rolle als Kunsttheoretiker legte Winckelmann auch
methodische Grundlagen für die Archäologie. Er war einer der
Ersten, der Funde nicht nur sammelte, sondern systematisch
beschrieb, datierte und in einen historischen Kontext einordnete.
Seine Berichte über Ausgrabungen in Herkulaneum
und Pompeji machten die antike Welt für ein
breites Publikum lebendig.
Ein tragisches Ende
Winckelmanns Leben endete abrupt: 1768 wurde er von
Francesco Archangeli in Triest ermordet –
vermutlich in einem Raubmord. Die Hintergründe sind bis heute
nicht ganz geklärt und bieten Stoff für Spekulationen zwischen
Kriminalgeschichte und Historiendrama. Dieser Geschichte folgen
wir in unserem NACHKLAPP zu dieser Folge.
Winckelmanns Erbe
Ob als „Vater der Archäologie“ oder als stilprägender
Kunsttheoretiker – Winckelmanns Einfluss reicht bis heute in
Kunstgeschichte, Museumswesen und die europäische
Ästhetik-Debatte. Seine Ideen prägten nicht nur Generationen von
Wissenschaftlern, sondern auch Künstler wie Anton Raphael Mengs
und Angelika Kaufmann, Johannes Wiedewelt und Bertel Thorvaldsen,
Goethe und Herder. Winkelmann wurde zum Propheten des
Klassizismus.
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Wir sind Daniel und Solveig und begeistern uns für Geschichte. Wir
haben lange zusammen im Museum gearbeitet und Führungen gemacht. Im
Mittelpunkt unserer Folgen stehen Menschen, ihre Lebenswelt und die
Frage, warum sich unsere Sicht auf frühere Epochen immer wieder
verändert. Jeden Monat erzählen wir Euch eine unserer
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