Folge 291: Teil I Exilliteratur - Die Rolle der späteren Exilliteraten in den Zwanziger Jahren

Folge 291: Teil I Exilliteratur - Die Rolle der späteren Exilliteraten in den Zwanziger Jahren

32 Minuten

Beschreibung

vor 1 Woche

»Ihr schlagt den Besiegten kurz und klein und laßt ihn verdorren
und sticken. Ihr raubt an der Weichsel und am Rhein, wir sollen
ein Amen euch nicken. Ihr sprecht vom Säbel und seiner Gefahr,
von teuflischen deutschen Listen, die Schuld am Kriege sei klipp
und klar – Und ihr? Die dicksten Imperialisten!«


Diese Zeilen stammen – überraschend – von Kurt Tucholsky, einem
Autor, der dem linken Spektrum zugerechnet wird und später von
den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Während Tucholsky selbst
noch rechtzeitig nach Schweden fliehen konnte, gehörten seine
Bücher zu den ersten, die den Flammen der nationalsozialistischen
Bücherverbrennungen zum Opfer fielen. Doch stellt er in diesem
Gedicht tatsächlich die von der Entente behauptete deutsche
Alleinschuld am Ersten Weltkrieg infrage?


Die Antwort bleibt rätselhaft: Eindeutig ist lediglich, dass
Tucholsky die Schuldzuweisung mit dem Vorwurf des »Imperialismus«
gegenüber den Siegermächten verbindet. Dadurch verleiht er seiner
Kritik am Versailler Vertrag eine rationalere Grundlage, als es
ein bloßer Appell an nationale Empfindungen vermocht hätte.


Tucholsky stand damit auf einer Linie, die auch die
intellektuellen Gegner des Versailler Vertrags insgesamt prägte:
Während der rechte Flügel jegliche deutsche Schuld weitgehend
bestritt, leugnete der linke Flügel zwar die Alleinschuld,
erkannte jedoch eine deutsche Mitschuld an – und grenzte sich
zugleich scharf von nationalistischen Positionen ab.


So wird deutlich, dass der Weg in den Widerstand gegen das
NS-Regime und letztlich ins Exil selten geradlinig verlief,
sondern von Ängsten, Zweifeln und inneren Widersprüchen begleitet
war.

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