G 1/19 - "Fußgängersimulation" - Entscheidung

G 1/19 - "Fußgängersimulation" - Entscheidung

computerimplementierte Erfindungen (CII) - technischer Effekt von computerimplementierte Simulationen (erfinderische Tätigkeit)
32 Minuten

Beschreibung

vor 4 Wochen
In dieser Folge sprechen Gerd Hübscher und Michael Stadler über die
Entscheidung G 1/19 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen
Patentamts und beleuchten, wie die Große Beschwerdekammer die
Fragen zur Patentierbarkeit von Simulationsverfahren beantwortet
hat, die als Vorlagefragen im Zusammenhang mit einer Simulation von
Fußgängerströmen gestellt wurden. Leitsätze 1. Für die Zwecke der
Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit kann eine
computerimplementierte Simulation eines technischen Systems oder
Verfahrens, die als solche beansprucht wird, durch Erzeugung einer
technischen Wirkung, die über die Implementierung der Simulation
auf einem Computer hinausgeht, eine technische Aufgabe lösen. 2.
Für diese Beurteilung ist es keine hinreichende Bedingung, dass die
Simulation ganz oder teilweise auf technische Prinzipien gestützt
wird, die dem simulierten System oder Verfahren zugrunde liegen. 3.
Die erste und zweite Frage sind auch dann nicht anders zu
beantworten, wenn die computerimplementierte Simulation als Teil
eines Entwurfsverfahrens beansprucht wird, insbesondere für die
Überprüfung eines Entwurfs. Der COMVIK-Ansatz und die Beurteilung
der Technizität Die Große Beschwerdekammer bestätigte, dass auch
für Computersimulationen der COMVIK-Ansatz (T 641/00, besprochen in
Staffel 2, Folge 24) gilt. Danach zählt bei der Beurteilung der
erfinderischen Tätigkeit nur das, was technischen Charakter hat
oder einen technischen Effekt bewirkt. Eine Simulation kann nur
dann einen technischen Effekt haben, wenn: - sie technische
Eingangsdaten aus der realen Welt verwendet, - der Rechenvorgang
selbst technische Überlegungen beinhaltet (z. B. hardwareoptimierte
Berechnungen), oder - die Ergebnisse der Simulation unmittelbar in
einem technischen Prozess genutzt werden. - Reine Simulationen ohne
physische oder potenzielle Auswirkung auf die reale Welt gelten
dagegen als nicht technisch. Physikalischer und potenzieller
technischer Effekt Die Große Beschwerdekammer unterschied zwischen:
- unmittelbarem technischem Effekt – etwa wenn reale Messdaten
verarbeitet oder physische Prozesse beeinflusst werden, und -
potenziellem technischem Effekt, wenn die Simulationsergebnisse
klar darauf angelegt sind, später in einem technischen Verfahren
verwendet zu werden (z. B. zur Steuerung eines Reaktors oder zur
Optimierung eines Schaltkreises). Eine rein virtuelle Simulation
ohne eine solche Zweckbindung bleibt jedoch außer Betracht.
Anwendung auf den Vorlagefall Im konkreten Fall – der Simulation
von Fußgängerströmen – fehlte ein solcher technischer Zusammenhang:
- Die Eingangsdaten waren nicht notwendigerweise technisch (das
Gebäude existierte nur virtuell). - Das Verfahren selbst bewirkte
keinen physischen oder potenziellen technischen Effekt. - Die
Ergebnisse der Simulation waren nicht eindeutig auf eine technische
Nutzung (z. B. den Bau oder die Optimierung eines Gebäudes)
gerichtet. Daher wurde der Hauptantrag als nicht erfinderisch
angesehen. Zusammenfassung Die Entscheidung G 1/19 bestätigt, dass:
- Computersimulationen wie andere computerimplementierte
Erfindungen zu behandeln sind, - kein physischer Link zwingend
erforderlich ist, aber ein technischer Effekt vorliegen muss, - und
dass reine virtuelle Simulationen ohne reale technische Wirkung
nicht patentfähig sind. Der zugrunde liegende Antrag blieb
erfolglos; alle späteren Teilanmeldungen wurden zurückgezogen oder
gelten als zurückgenommen. Eine Computersimulation kann zur
Patentierbarkeit beitragen, wenn sie auf einem Computer
implementiert ist, der eine technische Wirkung entfaltet. Eine
Simulation als solche, die nur eine mathematische oder gedankliche
Methode abbildet, ist hingegen nicht technisch. Die Beurteilung
erfolgt nach dem COMVIK-Ansatz.

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