FG059 - Die Leichensynode
1 Stunde 50 Minuten
Podcast
Podcaster
Beschreibung
vor 1 Monat
Rom im Jahr 897: Auf dem päpstlichen Thron sitzt ein Mann, der
seit Monaten tot ist.
Papst Formosus – einst Bischof, Diplomat und
Pontifex – wurde aus seiner Gruft geholt, in päpstliche Gewänder
gekleidet und vor ein kirchliches Gericht gezerrt. Ein Diakon
übernimmt seine Verteidigung. Sein Ankläger ist sein Nachfolger:
Stephan VI. und daher steht auch das Urteil in
diesem Schauprozess schon vor Beginn fest, denn solange der
verstorbene Formosus als Papst zählt, ist Stephans Wahl illegal.
Das makabre Schauspiel geht als Leichensynode in
die Geschichte ein.
Rom in Aufruhr – zwischen Kaisern, Königen und
Kirchenrecht
Die Ewige Stadt steht zu dieser Zeit am Beginn einer dunklen Zeit
- des Saeculum obscurum. Die Macht des
karolingischen Schutzherrn schwindet und italienische Familien
gewinnen an Einfluss. Formosus musste zwischen ihnen lavieren:
Als Papst stand er zwischen dem ostfränkischen König
Arnulf von Kärnten, den er in Rom zum Kaiser
krönte, und den einflussreichen Herzögen von Spoleto. Bereits
Formosus' Vorgänger hatte jedoch die Widonen als
mächstigstes Haus zu seinen neuen Schutzherrn und Lambert
von Spoleto zum Kaiser gemacht. Wollte Stephan VI. also
hier wieder die Seite wechseln?
Papst Stephan richtet sich selbst
Der Vorwurf an den verstorbenen Formosus lautet, er habe Eide
gebrochen, Ämter doppelt bekleidet und sich unrechtmäßig des
Stuhl Petri bemächtigt. Nach dem Urteil der Synode reißt man dem
Leichnam die päpstlichen Gewänder vom Leib, schneidet seine
Schwurfinger ab und wirft ihn schließlich in den Tiber. Nichts
soll fortan an seine Existenz erinnern. Die Vorgänge waren
offenbar bereits für viele Zeitgenossen schwer zu ertragen und
Stephans Vorwürfe gegen Formosus fallen auf ihn selbst zurück.
Nach nur zwei Monaten im Amt wird Stephan eingekerkert und
schließlich getötet.
Rücknahme, Gegenschlag, Wiederholung
Auf Stephans Tod folgt die Rehabilitierung des Formosus.
Theodor II. ist kaum drei Wochen im Amt und
schafft es doch, das Urteil aufzuheben. Der Leichnam des Formosus
wird geborgen und erneut im Petersdom beigesetzt. Papst
Johannes IX. bestätigt diese Entscheidung und
lässt die Protokolle der Leichensynode verbrennen. Doch
Sergius III. schlägt sich erneut auf die
Gegenseite und lässt den Leichnam des Formosus erneut verstümmeln
und in den Tiber werfen. Statt seiner gedenkt Sergius lieber dem
Richter der Leichensynode und ehrt Stephan VI. mit einem Epitaph
im Dom. So kommt es, dass Luitprand von
Cremonain seiner Antapodosis Stephan und Sergius
verwechselt.
Der Bischof und seine Braut
Was nach Wahnsinn klingt, war in Wahrheit eine Reaktion auf ein
juristisches Problem. Solveig zeigt, dass hinter
dieser grotesken Handlung kein kollektiver Irrsinn stand, sondern
ein Versuch, kirchenrechtliche Ordnung wiederherzustellen.
Formosus war einst Bischof von Porto, bevor er Papst wurde – ein
Verstoß gegen das Translationsverbot, das einem
Bischof untersagte, in ein anderes Bistum zu wechseln. Das ist
der Kern der Anklage durch Stephan VI. Denn der hatte dasselbe
Problem: Stephan war bereits Bischof von Anagni, bevor er Papst
wurde und sorgte sich offenbar um seine Legitimität als Pontifex.
Der nachträgliche Prozess gegen den Toten diente also dazu, das
alte Bistum loszuwerden: Formosus hatte Stephan zum Bischof
geweiht. Wenn dessen Papstum illegal war, dann wurden auch seine
Weihen ungültig und Stephans Wahl rechtmäßig.
Flurfunk verbindet – Bezüge zu früheren
Folgen
Die Leichensynode hat Bezüge zu mehreren früheren Folgen, in
denen wir bereits einige der Personen und die obskure Zeit des
Frühmittelalters besprochen haben:
52 - Konklave - Machtkampf und heiliger Geist
48 - Irene von Athen und das Zwei-Kaiser-Problem
23 - Non habemus papessam
Kontakt und Unterstützung
Dir gefällt Flurfunk Geschichte? Wir freuen uns über eine nette
Bewertung oder eine Nachricht von dir.
Du kannst uns über ko-fi unterstützen:
https://ko-fi.com/flurfunkgeschichte
Oder auch regelmäßig durch eine Mitgliedschaft auf
Steady:
https://steady.page/de/flurfunk-geschichte
Für deine regelmäßige Unterstützung bedanken wir uns mit einer
Bonus-Folge "Nachklapp" zum Thema der aktuellen
Folge.
Wir freuen uns über Kommentare und Fragen an
kontakt@flurfunk-geschichte.de
Flurfunk Geschichte liefert Euch weitere Hintergrundinfos bei
Facebook, Instagram, twitter und threads.
Weiterer Podcast
Willst du noch mehr von uns hören? Dann folge den Ereignissen und
Debatten in der ersten deutschen Nationalversammlung bei
Flurfunk Paulskirche:
https://flurfunk-paulskirche.letscast.fm
Weitere Episoden
1 Stunde 45 Minuten
vor 1 Woche
1 Stunde 26 Minuten
vor 3 Wochen
1 Stunde 57 Minuten
vor 2 Monaten
2 Stunden 15 Minuten
vor 3 Monaten
2 Stunden 18 Minuten
vor 4 Monaten
In Podcasts werben
Abonnenten
Linz
Heupelzen
Kommentare (0)