Trump's Wirtschaftsblase
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vor 4 Monaten
In seinem Vortrag beginnt Paul Krugman mit einem ironischen
Verweis auf die dramatische Geschwindigkeit politischer
Veränderungen in den USA unter der Trump-Administration.
Ursprünglich hatte Krugman erwartet, über Handelspolitik und
Zölle zu sprechen, doch die aktuelle Lage zwingt ihn, sich mit
einem umfassenden Gesetzesvorhaben auseinanderzusetzen – dem
sogenannten „One Big Beautiful Bill Act“. Krugman betont, dass
dies tatsächlich der offizielle Titel des Gesetzes sei, was
bereits viel über den politischen Stil des damaligen Präsidenten
aussage. Der Begriff „beautiful“ werde von Trump inflationär und
wahllos für alles verwendet, was er befürworte, und das Parlament
habe diesen Ausdruck in den offiziellen Sprachgebrauch
übernommen, was für Krugman einem Abgleiten in autoritäre
Symbolik gleicht – eine Art „Washington als Pyongyang am
Potomac“.
Krugman entwickelt eine zusammenhängende Erklärung für die
aktuelle Politik: Alles, was seit Barack Obamas Amtsantritt im
Jahr 2009 als Fortschritt galt, solle nun gezielt zerstört
werden. Dies beginne mit dem Gesundheitssystem. Die unter Obama
eingeführte Reform, auch bekannt als Obamacare, habe durch den
Ausbau von Medicaid Millionen Menschen Zugang zu medizinischer
Versorgung verschafft. Obwohl dieses System komplex und
verbesserungswürdig sei, habe es reale Leben gerettet –
insbesondere durch die Absicherung bei Vorerkrankungen. Nun
drohten massive Kürzungen, vor allem bei Medicaid, jedoch nicht
durch direkte Abschaffung, sondern durch administrative Hürden,
die besonders bildungsferne und internetlose Bevölkerungsgruppen
ausgrenzen würden. Für Krugman ist diese Vorgehensweise nicht
zufällig, sondern Ausdruck gezielter Grausamkeit. Er verweist auf
das Zitat von Adam Serwer: „The cruelty is the point.“
Ein weiterer zentraler Punkt ist die Energiewende. In den USA sei
es in den letzten Jahren gelungen, Wind- und Solarenergie
marktfähig zu machen. Trotz – oder gerade wegen – dieses Erfolgs
wolle das neue Gesetz nun sämtliche Förderungen streichen und
sogar Sondersteuern auf erneuerbare Energien einführen. Ziel sei
es, die saubere Energie gezielt zu sabotieren, obwohl die
Technologie bereit sei, den Übergang zu vollziehen.
Krugman spricht außerdem über die Bedrohung für die
US-Wissenschaft. Die Stärke der US-Wirtschaft sei historisch eng
mit der wissenschaftlichen Forschung und den führenden
Universitäten verbunden gewesen, etwa Stanford, MIT oder die
Harvard Medical School. Diese Kooperationen hätten ganze Branchen
wie Biotechnologie oder IT hervorgebracht. Nun solle die
staatliche Forschungsförderung um rund 50 % gekürzt werden,
während gleichzeitig Wissenschaftsfeindlichkeit im
Regierungsapparat selbst grassiere. Die Ernennung von Robert F.
Kennedy Jr. zum Gesundheitsminister sei hierfür symptomatisch:
Kennedy lehne nicht nur Impfungen ab, sondern auch die
Keimtheorie der Krankheit insgesamt – eine Haltung, die Krugman
als gefährlich und absurd bezeichnet.
Im weiteren Verlauf hebt Krugman erneut die Bedeutung von
Medicaid hervor. Er betont, dass trotz der bekannten Mängel des
US-Gesundheitssystems, der Ausbau von Medicaid eine bedeutende
Verbesserung gebracht habe. Das geplante Gesetz könne über 16
Millionen Menschen den Zugang zu Gesundheitsversorgung kosten.
Viele weitere müssten mit höheren Kosten rechnen. Krugman
erinnert daran, dass vor Obamacare Menschen mit Vorerkrankungen
faktisch keine Chance auf Versicherung hatten – ein Zustand, zu
dem man nun offenbar zurückkehren wolle.
Er schließt den ersten Teil seines Beitrags mit einer
gesellschaftspolitischen Reflexion. Die USA hätten in den letzten
Jahrzehnten bedeutende Fortschritte in Sachen Toleranz gemacht –
sei es bei der Akzeptanz von Mischehen oder der Gleichstellung
homosexueller Paare. All diese Entwicklungen seien nun unter
massivem Beschuss. Ein Klima unverhohlener Bigotterie kehre
zurück, das zuvor zumindest tabuisiert war. Krugman sieht darin
eine systematische Demontage all dessen, was die Vereinigten
Staaten zu einer besseren Gesellschaft gemacht habe.
Ein konkretes Beispiel für diese rückschrittliche Politik sei die
Einführung von Arbeitsanforderungen für den Erhalt von Medicaid.
Krugman stellt klar, dass dies ein Scheinproblem sei: Die
überwiegende Mehrheit der Medicaid-Empfänger*innen könne gar
nicht arbeiten – aufgrund von Alter, Krankheit,
Pflegeverpflichtungen oder weil sie ohnehin schon arbeiteten. Die
Vorstellung des faulen, arbeitsfähigen Sozialhilfeempfängers sei
ein politischer Mythos – ähnlich der „Welfare Queen“ der 1980er
Jahre. Krugman verweist auf seine jahrzehntelange Beschäftigung
mit dem Thema Wohlfahrtsstaat, um zu betonen, dass es keinen
empirischen Zweifel daran gebe, dass solche Maßnahmen weder
notwendig noch gerechtfertigt seien.
Paul Krugman führt seinen Vortrag fort, indem er auf die
praktischen Konsequenzen von Arbeitspflichten für
Medicaid-Empfänger*innen eingeht. Krugman stellt klar, dass diese
Maßnahmen nicht zu höherer Erwerbstätigkeit führen, sondern
lediglich dazu, dass viele Menschen ihren Versicherungsschutz
verlieren, weil sie an bürokratischen Hürden scheitern. Dieses
Muster sei aus der jüngeren Vergangenheit – etwa aus dem
Bundesstaat Georgia – bestens bekannt. Dennoch werde diese
nachweislich ineffektive Politik nun landesweit zum zentralen
Element der Sozialpolitik gemacht.
Auch in der Energiepolitik sieht Krugman eine gefährliche
Rückabwicklung. Der technologische Fortschritt habe mit Wind- und
Solarenergie eine Möglichkeit geschaffen, die Emissionen
drastisch zu reduzieren, ohne den Lebensstandard zu
beeinträchtigen. Ein sanftes Subventionssystem hätte genügt, um
den Übergang zu erneuerbaren Energien zu vollziehen. Doch seit
dem 20. Januar, dem Tag der Amtsübernahme, werde diese
Entwicklung aktiv sabotiert.
Krugman blickt zudem auf den wissenschaftlichen und akademischen
Sektor, den er als Fundament des amerikanischen Erfolgsmodells
beschreibt. Die Vereinigten Staaten seien einst nicht die
führende Wissenschaftsnation gewesen – in den 1930er Jahren sei
dies eindeutig Deutschland gewesen. Erst durch die Offenheit für
internationale Talente, großzügige staatliche Förderung und ein
konkurrenzloses Universitätssystem habe sich die USA an die
Spitze gearbeitet. Krugman weist darauf hin, dass viele
Spitzenfakultäten stark von Einwanderung profitieren. Doch genau
diese Offenheit sei nun gefährdet. Internationale Konferenzen
würden bereits verlegt oder abgesagt, weil Forscher*innen nicht
mehr sicher sein könnten, einreisen zu dürfen – oder gar
willkürlich festgehalten zu werden, wenn sie sich kritisch über
Donald Trump geäußert hätten. Damit werde das wissenschaftliche
Rückgrat des Landes mutwillig zerschlagen.
Krugman berichtet zudem von einer neuen Initiative der Regierung,
die sich anschicke, Menschen die Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Dies betreffe etwa Verwandte von ihm, die zwar US-Bürger seien,
aber durch ihre hispanischen Wurzeln und das Sprechen von
Spanisch im öffentlichen Raum zur Zielscheibe von Immigration
Enforcement würden. Sie trügen nun Passkarten bei sich, um sich
ausweisen zu können – mit der realen Gefahr, dass dies im
Ernstfall nicht akzeptiert werde. Die USA bewegten sich auf einen
Zustand zu, der mit demokratischen Werten nicht vereinbar sei.
Wirtschaftlich konstatiert Krugman zwei große Erschütterungen.
Langfristig sei die Zerstörung der wissenschaftlichen
Infrastruktur das größte Risiko für die amerikanische Ökonomie.
Kurzfristig seien es vor allem die Zölle, die für Turbulenzen
sorgten. Während bei Trumps Amtsantritt der durchschnittliche
Zollsatz unter 3 % lag, liege er nun bei rund 17 %. Damit
erreiche das Land wieder ein Niveau wie nach dem
Smoot-Hawley-Tarif von 1930, der häufig mit der Großen Depression
in Verbindung gebracht wird. Doch Krugman hebt hervor, dass es
diesmal kein schleichender Prozess sei – die USA seien von nahezu
Freihandel in kürzester Zeit in einen Zustand massiver
Protektionismus gestürzt. In einer Welt, in der Handel heute
dreimal so bedeutend sei wie 1930, sei dies ein Schock von
historischer Dimension. Besonders fatal sei dabei nicht nur die
Höhe der Zölle, sondern deren völlige Unberechenbarkeit.
Unternehmer*innen könnten nicht mehr planen, wenn sich die
Handelspolitik im Wochentakt ändere.
Krugman erzählt exemplarisch von zwei großen Zollankündigungen im
April – am 2. und am 9. April –, die völlig unterschiedliche
Waren betrafen, obwohl das durchschnittliche Zollniveau gleich
blieb. Der Grund dafür sei, dass zwei Mitglieder des
Wirtschaftsteams in Abwesenheit von Peter Navarro ins Oval Office
gingen, Trump zur Kursänderung überredeten und diesen per Truth
Social veröffentlichen ließen. Für Krugman ist das ein Beleg
dafür, dass die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der
„größten Nation der Welt“ inzwischen willkürlich und chaotisch
gefällt werden.
Noch gravierender als die Zölle seien laut Krugman die
ökonomischen Folgen großflächiger Abschiebungen. Diese träfen
keineswegs die gesamte Wirtschaft gleichmäßig, sondern genau jene
Sektoren, die auf die Arbeitskraft von Migrantinnen angewiesen
seien: Landwirtschaft, Baugewerbe, Fleischverarbeitung. Die
Vorstellung, dass Migrantinnen Arbeitsplätze von
US-Amerikaner*innen wegnähmen, hält Krugman für empirisch
widerlegt. Vielmehr nähmen beide Gruppen unterschiedliche
Aufgaben wahr. Wenn nun Hunderttausende oder Millionen
abgeschoben würden, bedeute das nicht nur menschliches Leid,
sondern auch spürbare Preissteigerungen und sinkenden
Lebensstandard – schlimmer noch als durch die Zölle.
Krugman warnt davor, vorschnell wirtschaftliche Katastrophen zu
prognostizieren, nur weil man mit einer Regierung nicht
einverstanden sei. Die Geschichte lehre, dass Krisen sich oft
länger hinzögen als erwartet – und dann plötzlich eskalierten. Er
zitiert seinen früheren Lehrer Rudiger Dornbusch mit dem
berühmten Satz: „The crisis takes longer to happen than you can
possibly imagine, and then it happens faster than you can
possibly imagine.“ Auch Paul Samuelson kommt zur Sprache, der
einst sagte: „The stock market has predicted nine of the last
five recessions.“ Krugman mahnt daher zur Vorsicht bei
kurzfristigen Prognosen, erkennt aber zugleich die Gefahr eines
langfristigen Niedergangs.
Besorgt beobachtet Krugman auch die internationalen Reaktionen:
Während eines Besuchs in Brasilien hörte er dort von Anlegern,
dass sich die USA zunehmend wie ein Schwellenland verhielten. Die
Kombination aus steigenden Zinsen und fallendem Dollar – in der
US-Geschichte ein absolutes Novum – deute auf einen
Vertrauensverlust der internationalen Investoren hin.
Doch Krugman endet diesen Abschnitt mit einem Hoffnungsschimmer.
Er habe befürchtet, dass die Bevölkerung den autoritären Kurs
über lange Zeit stillschweigend akzeptieren könnte. Doch das
Gegenteil sei der Fall. Die Umfragewerte zum „One Big Beautiful
Bill“ seien katastrophal, und die Demokraten hätten bei
Sonderwahlen im Schnitt 15 Prozentpunkte besser abgeschnitten als
2024. Auch die Massenproteste – etwa am „No King’s Day“, an dem
Krugman selbst teilnahm – zeigten, dass ein wachsames und
widerständiges Amerika existiere.
Er glaubt, dass selbst bei einem Durchkommen des Gesetzes die
Kürzungen im Sozialbereich nicht von Dauer sein würden. Die
gesellschaftliche Gegenwehr werde letztlich dafür sorgen, dass
ein Mindestmaß an Anstand wiederhergestellt werde – auch wenn es
dauern und große Anstrengungen erfordern werde. Skeptisch bleibt
Krugman allerdings, ob Wissenschaft, Bildung und das
internationale Ansehen der USA jemals vollständig
wiederhergestellt werden können.
Paul Krugman äußert in diesem Abschnitt eine vorsichtige
Hoffnung, dass sich in der amerikanischen Gesellschaft mehr
Anstand und Widerstand zeige, als er vor einigen Monaten noch
vermutet hätte. Trotz der politischen Turbulenzen sieht Krugman
Zeichen einer moralischen Gegenbewegung. Er zitiert das Stück
Death of a Salesman mit dem Satz „Attention must be paid“, um zu
betonen, dass man den aktuellen Entwicklungen Aufmerksamkeit
schenken müsse – auch wenn sie beunruhigend sind.
Auf die Frage, ob Trumps Wirtschaftspolitik eine Depression
auslösen könne, antwortet Krugman differenziert: Zölle allein
führten nicht zwingend zu einer Rezession. Selbst Großbritannien
habe in den 1950er Jahren 25 % Zoll gehabt und dennoch niedrige
Arbeitslosigkeit verzeichnet. Gefährlich sei jedoch die
politische Unberechenbarkeit – nicht die konkreten Maßnahmen,
sondern die Unsicherheit, die Investitionen hemme.
Mit Blick auf New York City sieht Krugman das Hauptproblem nicht
in Kriminalität oder Migration, sondern in der Wohnungsfrage. Die
Stadt sei trotz rechter Rhetorik lebendig, vielfältig, sicherer
als je zuvor – aber unerschwinglich. Krugman fordert mehr
Wohnungsbau, auch im Luxussegment, da dies indirekt auch
bezahlbaren Wohnraum freisetze. Als Vorbild nennt er überraschend
Tokio, wo trotz hoher Bevölkerungsdichte bezahlbares Wohnen
möglich sei.
Auf die Frage, welcher Präsident die klügste Wirtschaftspolitik
betrieben habe, verweist Krugman auf Franklin D. Roosevelt, der
das Land durch die Große Depression führte. Trotz Fehlern sei es
gelungen, die Wirtschaft zu stärken und soziale Ungleichheit zu
verringern. Auch Joe Biden verdiene Anerkennung: Die
wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie sei im internationalen
Vergleich außergewöhnlich stark gewesen. Es sei gelungen, die
Inflation zu bekämpfen, ohne Massenarbeitslosigkeit zu erzeugen –
ein Ergebnis, das viele Ökonomen nicht erwartet hätten.
Krugman bekennt sich ausdrücklich zur sozialdemokratischen Idee:
Eine im Wesentlichen marktwirtschaftliche Ordnung mit sozialen
Sicherungssystemen und Regulierung. Er lobt europäische Länder
wie Dänemark und die Niederlande, die trotz geringfügig
niedrigerem BIP pro Kopf Lebensstandards bieten, die er als
vorbildlich betrachtet. Längere Lebenserwartung, funktionierende
soziale Netze und Innovationskraft – etwa bei
Halbleitertechnologie (ASML aus den Niederlanden) oder
Medikamenten (Dänemark) – zeigten, dass soziale Gerechtigkeit und
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kein Widerspruch sein müssten.
Zur US-Staatsverschuldung erklärt Krugman, dass es keine
ökonomische Krise gebe. Die aktuelle Schuldenquote sei
vergleichbar mit der Lage nach dem Zweiten Weltkrieg.
Großbritannien habe damals sogar eine Schuldenquote von 250 %
bewältigt. Das eigentliche Problem sei politisch: Die USA hätten
im internationalen Vergleich extrem niedrige Steuern. Würde man
nur das Niveau der anderen Industrieländer erreichen, ließe sich
die Verschuldung problemlos kontrollieren. Auch Reformen im
Gesundheitswesen – etwa das Eindämmen der überteuerten
Medicare-Programme – könnten helfen. Der Widerstand mächtiger
Interessengruppen verhindere jedoch die nötigen Veränderungen.
In Bezug auf die Zukunft der Sozialversicherung (Social Security)
erklärt Krugman, dass es sich zwar technisch um ein
umlagefinanziertes System handele, dies aber politisch als Fonds
getarnt sei. Die Finanzierung über Lohnnebenkosten (FICA) sei
buchhalterisch, aber nicht zwingend notwendig. Die USA hätten die
Mittel, die Leistungen zu sichern. Sollte nichts unternommen
werden, würden die Leistungen in rund einem Jahrzehnt um etwa
25 % gekürzt – doch Krugman glaubt nicht, dass die Politik dies
zulassen wird. Für viele Amerikaner sei Social Security die
einzige Altersvorsorge – ein Umstand, der politisch nicht
ignoriert werden könne.
Abschließend streift Krugman das Thema Überwachungstechnologie.
Er räumt ein, dass er sich mit der Thematik nicht tiefgehend
befasst habe, erwähnt aber seine Faszination für die TV-Serie
Person of Interest, in der ein fiktives Überwachungssystem zum
zentralen Element wird. Seine Erfahrungen als Geschworener in New
Jersey hätten ihm einen Einblick in reale polizeiliche
Überwachung und Entscheidungsprozesse gegeben – wenn auch auf
einem weitaus banaleren Niveau als in der Fiktion.
Paul Krugman schließt sein Gespräch mit einer Reihe persönlicher,
gesellschaftlicher und wirtschaftspolitischer Reflexionen ab. Auf
die Frage zur Allgegenwart von Überwachung antwortet Krugman
nüchtern: Wer glaubt, privat zu sein, irrt. Von Tankstellen bis
Beerdigungsinstituten – nahezu jeder öffentliche Raum werde von
Kameras überwacht. Selbst vermeintlich diskrete Drogengeschäfte
in der Nacht seien meist dokumentiert. Diese Realität sei längst
Teil des Alltags.
Krugman zeigt sich tief besorgt über die Kürzungen bei der
Forschungsförderung in den USA. Besonders die Naturwissenschaften
seien durch die drastische Finanzierungslücke gefährdet, da deren
Arbeit besonders teuer sei. Besonders alarmierend findet Krugman,
dass nicht nur neue Projekte verhindert, sondern auch laufende
Fördermittel gestrichen würden – was rechtlich einem
Vertragsbruch gleichkäme. Die Konsequenzen für den
wissenschaftlichen Fortschritt seien gravierend.
Zum Thema Wechselkurs erklärt Krugman, dass ein schwächerer
US-Dollar tendenziell die Exporte fördert und Importe verteuert,
was wiederum inflationstreibend wirkt. Anders als von einigen
Ökonomen erwartet, habe der Dollar im Zuge von Trumps Zollpolitik
nicht aufgewertet, sondern abgewertet, was die Preissteigerung
zusätzlich verstärke.
Eine besonders persönliche Frage lautet, in welchen Punkten
Krugman von der Mehrheitsmeinung führender Ökonomen abweiche. Er
beschreibt sich selbst als weitgehend orthodox, auch wenn seine
zugespitzten Texte oft wie Provokationen wirkten, aber in
Wirklichkeit „Econ 101“ in einfacher Sprache seien. Lediglich bei
der Staatsverschuldung habe er lange eine gelassenere Haltung
vertreten als viele Kollegen – eine Haltung, die sich inzwischen
relativiert habe, angesichts der politischen Instabilität. Viele
seiner früheren, unorthodoxen Positionen – etwa zur japanischen
Deflation oder zur Finanzkrise – seien mit der Zeit Mainstream
geworden. Schon 1998 habe er gemeinsam mit Ökonomen wie Ben
Bernanke auf Parallelen zwischen Japan und einem möglichen
US-Szenario hingewiesen.
Zur Frage nach einem möglichen Übergang zu einem
Single-Payer-Gesundheitssystem in den USA führt Krugman das
Beispiel Taiwans an, dessen System von seinem verstorbenen
Kollegen Uwe Reinhardt und dessen Frau May Chung entworfen wurde
– ein weitgehend staatlich finanziertes Modell, vergleichbar mit
„Medicare for All“. Dennoch hält Krugman einen solchen Wandel in
den USA für politisch kaum durchsetzbar. Zu viele Menschen hätten
private Krankenversicherungen über ihren Arbeitgeber und seien
mit dem Status quo zufrieden. Zudem verfüge die
Versicherungsindustrie über enorme politische Macht. Dennoch
weist Krugman darauf hin, dass bereits jetzt über die Hälfte der
US-Gesundheitsausgaben vom Staat getragen werde – vor allem durch
Medicare und Medicaid. Die USA seien also einem
Single-Payer-System näher, als es den Anschein habe.
Auf die Frage nach Geld- und Finanzpolitik für das laufende und
kommende Jahr betont Krugman, dass es derzeit keinen
wirtschaftlichen Grund gebe, hohe Budgetdefizite zu fahren.
Solche Defizite seien sinnvoll bei Kriegen, schweren Finanzkrisen
oder Pandemien – aktuell jedoch nicht. Dennoch werde die
Fiskalpolitik „katastrophal“ betrieben. Hinsichtlich der
Zinspolitik der US-Notenbank zeigt Krugman Verständnis für die
vorsichtige Haltung von Jerome Powell: Angesichts der großen
Unsicherheit sei es klug, abzuwarten. Niemand wisse, wie sich die
Weltwirtschaft bis 2026 entwickeln werde – daher sei
„paralysierte Vorsicht“ vielleicht die angemessene Reaktion.
Zur Frage, ob eine Rückverlagerung der Produktion in die USA
(„Onshoring“) einen wirtschaftlichen Aufschwung bringe, entgegnet
Krugman mit einem Faktencheck: Der Anteil der Industrie an
Beschäftigung und BIP sei seit den 1970er Jahren stark gesunken –
von 25 % auf etwa 10 %. Dies liege nicht primär an Importen,
sondern an enormer Produktivitätssteigerung. Auch Länder mit
riesigen Exportüberschüssen wie Deutschland hätten heute viel
weniger Industriearbeitsplätze als früher. Die Situation gleiche
der in der Landwirtschaft: Auch dort produziere die USA enorme
Mengen mit sehr wenigen Arbeitskräften. Eine Rückverlagerung der
Produktion werde daran wenig ändern.
Auf die Frage, ob Krugman staatlichen Daten noch vertraue,
antwortet er: „Ja – noch.“ Er sehe jedoch bereits erste Anzeichen
politischer Einflussnahme. So würden Datenquellen etwa zu
Kryptoenergieverbrauch bereits vom Energieministerium
abgeschaltet. Krugman verweist auf Kolleg:innen, die sich darauf
vorbereiten, unabhängige Datensysteme aufzubauen, um
Manipulationen erkennen zu können. Die Gefahr einer Entwicklung
wie in Argentinien unter den Kirchners, wo amtliche Daten völlig
unglaubwürdig wurden, sei real.
Zum Abschluss erhält Krugman eine augenzwinkernde Frage: Ob Harry
Seldon – der fiktive mathematische Historiker aus Isaac Asimovs
Foundation-Romanen – Donald Trump für den „Mule“ halten würde,
also für die unvorhersehbare Figur, die ein ganzes System stört.
Krugman verneint, erklärt aber, dass ihn Asimovs Idee der
mathematischen Gesellschaftsanalyse stark geprägt habe. Als
Jugendlicher habe er davon geträumt, einer dieser analytischen
Zukunftsdenker zu werden – Ökonomie sei der Realität am nächsten
kommende Ersatz dafür gewesen. Die aktuelle Verfilmung der
Foundation-Reihe lehne er jedoch ab – sie habe nichts mit Asimovs
intellektueller Tiefe zu tun. Krugman beendet das Gespräch mit
der ernüchternden Erkenntnis, dass das Grundproblem aller
Voraussagen in der Unvorhersehbarkeit liege: „Ich weiß nicht, was
in zwei Monaten passiert – geschweige denn in 200 Jahren.“
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