Die Banalisierung des Gehorsams – Warum wir töten, obwohl wir denken können

Die Banalisierung des Gehorsams – Warum wir töten, obwohl wir denken können

29 Minuten

Beschreibung

vor 5 Monaten

In der siebten Folge des gesellschaftskritischen Podcasts
„Störfrequenz“ begibt sich Holger Elias auf eine
eindringliche Erkundung eines Phänomens, das im Schatten unserer
Selbstbilder gedeiht – dem modernen Gehorsam. Nicht jener, der in
martialischen Befehlen oder dröhnenden Parolen daherkommt,
sondern dem leisen, organisierten, funktionalen Gehorsam. Der
Gehorsam, der nicht als Befehl erkannt wird – und gerade deshalb
so wirksam ist.


Diese Episode ist keine historische Rückblende, sondern eine
sezierende Analyse der Gegenwart. Ausgangspunkt ist die berühmte
These Hannah Arendts über die „Banalität des Bösen“ – entwickelt
im Prozess gegen Adolf Eichmann –, die hier nicht als museale
Mahnung, sondern als beunruhigend aktuelles Diagnoseinstrument
gelesen wird. Elias entwirft eine kritische Kartografie des
alltäglichen Gehorchens: in Laboren, in Amtsstuben, auf
Schulhöfen und in Konzernzentralen. Und er fragt: Wie viel von
Eichmann steckt im Callcenter-Mitarbeiter, der die Mahnsperre
nicht aufheben kann, weil „das System“ es nicht vorsieht? Was
verbindet die Bürokratin, die einen Abschiebungsbescheid
unterschreibt, mit dem Versuchsleiter, der freundlich zum
Käfermord auffordert?


Im Zentrum der Folge steht das sogenannte „Object
Destruction Paradigm“ (Götz, Mitschke & Eder, 2023)
– ein psychologisches Experiment, bei dem Proband:innen dazu
aufgefordert werden, einen lebendigen Käfer vermeintlich zu
schreddern. Das Ergebnis ist ebenso klar wie erschütternd:
96 Prozent gehorchen, wenn die Anweisung als
Befehl formuliert wird. Die Gewalt beginnt hier nicht mit einem
Schrei, sondern mit einem neutralen Satz. Nicht die Aggression,
sondern die Formalität ist das Einfallstor der Grausamkeit.


Der Podcast entfaltet diese Erkenntnis in sechs eindrucksvoll
komponierten Essays, die die verschiedenen Gesichter des
Gehorsams ausleuchten:


– „Befehle ohne Ausrufezeichen“ analysiert die
neue, weichgespülte Sprache der Macht.
– „Ein Käfer stirbt leise“ fragt, was es über
unsere Gesellschaft aussagt, wenn Gewalt durch höfliche
Aufforderung legitimiert wird.
– „Der Mensch als Funktionsstelle“ beschreibt
die Bürokratie als Matrix moderner Gewalt – effizient,
gesetzeskonform, aber entmenschlichend.
– „Die Dressur der Demokratie“ zieht die Linie
vom Gehorsam des Einzelnen zum Systemzwang einer marktkonformen
Gesellschaft.
– „Ausbruch aus der Folgsamkeit“ zeigt, dass
Widerstand kein Spektakel sein muss, sondern mit einem schlichten
„Nein“ beginnt.
– Und der Epilog verdichtet all dies zur These:
Gehorsam ist keine Tugend. Sondern ein Risiko.


Elias gelingt es, analytische Schärfe mit moralischem Ernst und
sprachlicher Eleganz zu verbinden. Die Folge ist durchzogen von
pointierten Zitaten – Tucholsky, Arendt, Mühsam, Fraser, Luhmann
– und verzichtet doch nie auf den Blick für die alltägliche
Lebensrealität. Der Hörer begegnet hier keiner didaktischen
Belehrung, sondern einer Einladung zum Denken, Zweifeln,
Innehalten. Was „Störfrequenz“ in dieser Episode bietet, ist
nicht nur Aufklärung, sondern auch ein Impuls zur
Selbstreflexion: Wo bin ich Teil des Problems? Und wie könnte ich
Teil einer anderen Praxis werden?


Diese Folge ist relevant für all jene, die sich mit Macht, Moral,
Verwaltung und Demokratie kritisch auseinandersetzen wollen – ob
als Sozialwissenschaftler:in, als Aktivist:in, als politisch
wacher Mensch. Sie eignet sich gleichermaßen als
diskussionsauslösender Beitrag in Bildungszusammenhängen wie als
essayistische Meditation für das eigene Nachdenken.


Ein Hörerlebnis für Unbequeme. Und für alle, die es
werden wollen.

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