Episode 26: Ernst Jünger
46 Minuten
Podcast
Podcaster
Beschreibung
vor 6 Monaten
Detlev Schöttker spricht mit Claude Haas über sein Buch »Die
Archive des Chronisten. Ernst Jüngers Werke und Korrespondenzen«
(Wallstein 2025). Darin zeigt er Jünger als Chronisten des 20.
Jahrhunderts, der keineswegs bloß historische Tatsachen
aneinanderreiht, sondern sich als Geschichtsdeuter versteht. Das
auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Vorbilder zurückgehende
Darstellungsverfahren der Chronik macht sich Jünger
gattungsübergreifend zu eigen, in Tagebüchern und Briefwechseln,
Kriegsberichten, Romanen und Essays. ———————— Jüngers Schreiben
zeichnet sich durch eine Tiefe der Beobachtung aus, die erst durch
die Distanz zum Geschehen möglich wird und die Jünger in seinem
»Sizilianischen Brief an den Mann im Mond« zum poetologischen
Prinzip erhebt. Diese Distanziertheit birgt jedoch auch eine
gewisse Kälte in sich, die in der Rezeption immer wieder für
Irritationen gesorgt hat. Das trifft besonders auf die
»Strahlungen« zu, mit deren Veröffentlichung 1949 Jünger früh
literarisches Zeugnis von Konzentrationslagern, Gestapo- und
SS-Gefängnissen ablegte. Jüngers Schilderungen des Luftkriegs über
Paris wurde der Vorwurf gemacht, das Schrecken zu ästhetisieren.
Als bisweilen verstörend wurden Jüngers Versuche gewertet, den
Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten im Geiste einer
Universalgeschichte in ein größeres Sinngeschehen zu integrieren
oder doch zumindest Erklärungsansätze dafür zu liefern. Von vielen
als reaktionär bewertet, kann seine distanzierte Betrachtung der
Geschehnisse wohl mindestens als eskapistisch gelten. Jüngers
universalgeschichtlicher Zugriff stößt hier an eine politische
Grenze. Andererseits erlaubt es Jüngers Betonung der starken
Einzelpersönlichkeit des Geschichtsdeutenden, ihn entgegen gängigen
Kategorisierungen als Vertreter der Moderne zu betrachten – selbst
wenn der universalgeschichtliche Gestus seiner Chronistik in den
literarischen Werken häufig in Kitsch umschlägt. Anders verhält es
sich mit den Briefen, denen Schöttker neben den Tagebüchern
besondere Aufmerksamkeit schenkt. Der Brief galt Jünger als die
wichtigste historische Quelle überhaupt. Der schiere Umfang des
Briefarchivs, an dessen Form und Organisation Jüngers zweite
Ehefrau Liselotte als ausgebildete Archivarin maßgeblichen Anteil
hatte, zeugt von der herausragenden Bedeutung, die er der
Korrespondenz als partnerschaftlicher Form der Verbindlichkeit und
des intellektuellen Austauschs beimaß. Für den ›Archivautor‹
Jünger, der bereits zu Lebzeiten bemüht war, sein Nachleben, mithin
seine Unsterblichkeit zu sichern, hatten die sorgsam archivierten
Briefwechsel noch eine weitere Bedeutung: Bei der Lektüre nimmt man
posthum Anteil am persönlichen Leben der Schreibenden, die einem
somit (fast) lebendig erscheinen. ———————— Der Literatur- und
Medienwissenschaftler Detlev Schöttker ist Senior Fellow des ZfL
und erforschte dort das Briefarchiv Ernst Jüngers. Derzeit leitet
er das Projekt »Kommentierte Edition des Briefwechsels zwischen
Ernst und Friedrich Georg Jünger (1908–1977)«. Der Germanist und
Komparatist Claude Haas ist Ko-Leiter des Programmbereichs
Weltliteratur am ZfL und wissenschaftlicher Mitarbeiter im
Schwerpunktprojekt »Stil. Geschichte und Gegenwart«.
www.zfl-berlin.org
Archive des Chronisten. Ernst Jüngers Werke und Korrespondenzen«
(Wallstein 2025). Darin zeigt er Jünger als Chronisten des 20.
Jahrhunderts, der keineswegs bloß historische Tatsachen
aneinanderreiht, sondern sich als Geschichtsdeuter versteht. Das
auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Vorbilder zurückgehende
Darstellungsverfahren der Chronik macht sich Jünger
gattungsübergreifend zu eigen, in Tagebüchern und Briefwechseln,
Kriegsberichten, Romanen und Essays. ———————— Jüngers Schreiben
zeichnet sich durch eine Tiefe der Beobachtung aus, die erst durch
die Distanz zum Geschehen möglich wird und die Jünger in seinem
»Sizilianischen Brief an den Mann im Mond« zum poetologischen
Prinzip erhebt. Diese Distanziertheit birgt jedoch auch eine
gewisse Kälte in sich, die in der Rezeption immer wieder für
Irritationen gesorgt hat. Das trifft besonders auf die
»Strahlungen« zu, mit deren Veröffentlichung 1949 Jünger früh
literarisches Zeugnis von Konzentrationslagern, Gestapo- und
SS-Gefängnissen ablegte. Jüngers Schilderungen des Luftkriegs über
Paris wurde der Vorwurf gemacht, das Schrecken zu ästhetisieren.
Als bisweilen verstörend wurden Jüngers Versuche gewertet, den
Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten im Geiste einer
Universalgeschichte in ein größeres Sinngeschehen zu integrieren
oder doch zumindest Erklärungsansätze dafür zu liefern. Von vielen
als reaktionär bewertet, kann seine distanzierte Betrachtung der
Geschehnisse wohl mindestens als eskapistisch gelten. Jüngers
universalgeschichtlicher Zugriff stößt hier an eine politische
Grenze. Andererseits erlaubt es Jüngers Betonung der starken
Einzelpersönlichkeit des Geschichtsdeutenden, ihn entgegen gängigen
Kategorisierungen als Vertreter der Moderne zu betrachten – selbst
wenn der universalgeschichtliche Gestus seiner Chronistik in den
literarischen Werken häufig in Kitsch umschlägt. Anders verhält es
sich mit den Briefen, denen Schöttker neben den Tagebüchern
besondere Aufmerksamkeit schenkt. Der Brief galt Jünger als die
wichtigste historische Quelle überhaupt. Der schiere Umfang des
Briefarchivs, an dessen Form und Organisation Jüngers zweite
Ehefrau Liselotte als ausgebildete Archivarin maßgeblichen Anteil
hatte, zeugt von der herausragenden Bedeutung, die er der
Korrespondenz als partnerschaftlicher Form der Verbindlichkeit und
des intellektuellen Austauschs beimaß. Für den ›Archivautor‹
Jünger, der bereits zu Lebzeiten bemüht war, sein Nachleben, mithin
seine Unsterblichkeit zu sichern, hatten die sorgsam archivierten
Briefwechsel noch eine weitere Bedeutung: Bei der Lektüre nimmt man
posthum Anteil am persönlichen Leben der Schreibenden, die einem
somit (fast) lebendig erscheinen. ———————— Der Literatur- und
Medienwissenschaftler Detlev Schöttker ist Senior Fellow des ZfL
und erforschte dort das Briefarchiv Ernst Jüngers. Derzeit leitet
er das Projekt »Kommentierte Edition des Briefwechsels zwischen
Ernst und Friedrich Georg Jünger (1908–1977)«. Der Germanist und
Komparatist Claude Haas ist Ko-Leiter des Programmbereichs
Weltliteratur am ZfL und wissenschaftlicher Mitarbeiter im
Schwerpunktprojekt »Stil. Geschichte und Gegenwart«.
www.zfl-berlin.org
Weitere Episoden
1 Stunde 2 Minuten
vor 2 Wochen
39 Minuten
vor 4 Monaten
38 Minuten
vor 8 Monaten
38 Minuten
vor 10 Monaten
51 Minuten
vor 1 Jahr
In Podcasts werben
Kommentare (0)