Episode 25: Historizität und Historisierung

Episode 25: Historizität und Historisierung

38 Minuten

Beschreibung

vor 8 Monaten
Henning Trüper spricht mit Falko Schmieder über sein Buch
»Unsterbliche Werte. Über Historizität und Historisierung«
(Wallstein 2024). Darin setzt er sich mit elementaren
geschichtsphilosophischen Kategorien und Methoden auseinander und
unterzieht die Geschichtswissenschaft einer grundlegenden Kritik.
Denn diese, so seine Diagnose, ist nicht nur, wie schon Koselleck
befand, theorie-, sondern auch therapiebedürftig. ———————— Die
Debatten um das Ende der Geschichte (Fukuyama) und die breite
Gegenwart (Gumbrecht), aber auch die als Reaktion auf den
russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgerufene
›Zeitenwende‹ machen deutlich, wie umkämpft das Feld der Geschichte
ist. Dass die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen
Disziplin nicht neu ist, zeigt die Kritik am Fortschrittsnarrativ
der Geschichtsphilosophie. Auch Henning Trüper versteht Geschichte
nicht als progressiven Lernprozess, sondern zeichnet nach, welche
teils widersprüchlichen Antworten zu verschiedenen Zeiten auf die
Frage gegeben wurden, was Geschichtlichkeit ist. Die Kritische
Theorie hat Geschichtlichkeit vor allem im Sinne der
Veränderlichkeit von Denkformen und Begriffen verstanden. Trüpers
Interesse gilt demgegenüber den Praktiken des Historisierens: Mit
welchem Ziel wird Vergangenes zu Geschichtlichem erklärt und als
solches erinnert, welchen Ereignissen wird historischer Wert
beigemessen und warum? Diese Wertsetzungen sind stets veränderlich
und folgen bestimmten Motivationen, wie bereits Nietzsches
Unterscheidung verschiedener Arten von Historisierung in der
zweiten »Unzeitgemäßen Betrachtung« zeigt. Wann und wie aber
erhalten diese flüchtigen Werte den Charakter von ›unsterblichen
Werten‹, also von moralischen Normen? Und in welchem Verhältnis zur
Geschichte stehen vermeintliche Nebensachen wie Moral,
Humanitarismus oder auch naturgeschichtliche und philosophische
Diskurse über das Aussterben? Ein Blick auf die Textgestalt und die
Funktion von Intertextualität in der Geschichte hilft, sich diesen
Fragen zu nähern. Die Neulektüre geschichtswissenschaftlicher
Klassiker und deren Kombination mit unbekannten, in Vergessenheit
geratenen Texten und Autoren führt bei Trüper zu einer
aphoristischen, umwegigen, bisweilen ironischen Darstellung, die
gleichwohl systematische Ansprüche verfolgt. Gegen Relativierungen
und den Zerfall der Geschichte in plurale Geschichten setzt er
einen starken Begriff von Geschichte: Die Tätigkeit des
Geschichtlichmachens erzeugt ihren Gegenstandsbereich, der als Teil
der Wirklichkeit real und wirkmächtig ist. ———————— Henning Trüper
ist Historiker und leitet das ERC-Projekt »Archipelagische
Imperative. Schiffbruch und Lebensrettung in europäischen
Gesellschaften seit 1800« am ZfL. Seit Januar 2024 ist er Associate
Professor an der Universität Oslo. Der Kulturwissenschaftler Falko
Schmieder leitet das Schwerpunktprojekt »Das 20. Jahrhundert in
Grundbegriffen. Lexikon zur historischen Semantik in Deutschland«
am ZfL. www.zfl-berlin.org

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