G 1/03 - "Disclaimer" - Entscheidung
Zulässigkeit von nicht offenbarten ("undisclosed") Disclaimern zur
Abgrenzung von zufälligen Vorveröffentlichungen und älteren Rechten
23 Minuten
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Beschreibung
vor 6 Monaten
In dieser zweiten und abschließenden Folge sprechen Lukas Fleischer
und Michael Stadler über die verbundenen Entscheidungen G 1/03 und
G 2/03 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus
dem Jahr 2004, wobei diese Episode die Leitsätze in Zusammenhang
mit der Einführung von nicht ursprungsoffenbarten Disclaimern und
die Auflösung der Ausgangsfälle behandelt. Auch diskutiert werden
die unterschiedlichen Herangehensweisen in Zusammenhang mit der
Abgrenzung von älteren Rechten, nämlich dem vom EPA nunmehr
praktizierten Whole-Content-Approach und dem Prior-Claim-Approach.
Zusammenfassung Die Große Beschwerdekammer kam zu dem Schluss, dass
nicht ursprungoffenbarte (undisclosed) Disclaimer grundsätzlich
möglich sind. Disclaimer kann man aus drei Gründen eingeführt
werden, nämlich - um Neuheit gegenüber einem älteren Recht
herzustellen, - um Neuheit gegenüber einer zufälligen
Vorveröffentlichung herzustellen, und - um Gegenstände
auszuklammern, die aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz
ausgeschlossen sind. Unter einer zufälligen Veröffentlichung
versteht man eine Veröffentlichung, die so unerheblich für die
beanspruchte Erfindung ist und so weitab von ihr liegt, dass sie
der Fachmann bei der Erfindung nicht berücksichtigt hätte, jedoch
kommt dies in der Praxis äußerst selten vor. Ein Disclaimer darf
weiters nicht mehr ausschließen als unbedingt erforderlich und muss
klar sein. Ausgang der Vorlagefälle: Im ersten Vorlagefall
(beschichtetes Glassubstrat) wurde die Zufälligkeit des Stand der
Technik Dokuments verneint, sodass kein Disclaimer zulässig war.
Die Patentinhaberin musste auf eine herkömmliche Einschränkung
zurückgreifen und Schichtzusammensetzungen aus dem Anspruch
streichen, konnte so aber das Patent in beschränktem Umfang - aber
ohne Disclaimer - verteidigen. Im zweiten Vorlagefall (HIV-Test)
wurden insgesamt 12 undisclosed Disclaimer eingeführt, um sich vom
älteren Recht abzugrenzen. Diese Disclaimer wurden auch als
zulässig angesehen, jedoch wurde der derart beschränkte Anspruch
als nicht neu befunden. Auch in diesem Fall konnte das Patent durch
entsprechende Änderungen des Anspruchs ohne Disclaimer aufrecht
erhalten werden. Leitsätze I. Die Änderung eines Anspruchs durch
die Aufnahme eines Disclaimers kann nicht schon deshalb nach
Artikel 123 (2) EPÜ abgelehnt werden, weil weder der Disclaimer
noch der durch ihn aus dem beanspruchten Bereich ausgeschlossene
Gegenstand aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten
Fassung herleitbar ist. II. Die Zulässigkeit eines in der Anmeldung
in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht offenbarten
Disclaimers ist nach folgenden Kriterien zu beurteilen: II.1 Ein
Disclaimer kann zulässig sein, wenn er dazu dient: - die Neuheit
wiederherzustellen, indem er einen Anspruch gegenüber einem Stand
der Technik nach Artikel 54 (3) und (4) EPÜ abgrenzt; - die Neuheit
wiederherzustellen, indem er einen Anspruch gegenüber einer
zufälligen Vorwegnahme nach Artikel 54 (2) EPÜ abgrenzt; eine
Vorwegnahme ist zufällig, wenn sie so unerheblich für die
beanspruchte Erfindung ist und so weitab von ihr liegt, daß der
Fachmann sie bei der Erfindung nicht berücksichtigt hätte; und -
einen Gegenstand auszuklammern, der nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ
aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz ausgeschlossen ist.
II.2 Ein Disclaimer sollte nicht mehr ausschließen, als nötig ist,
um die Neuheit wiederherzustellen oder einen Gegenstand
auszuklammern, der aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz
ausgeschlossen ist. II.3 Ein Disclaimer, der für die Beurteilung
der erfinderischen Tätigkeit oder der ausreichenden Offenbarung
relevant ist oder wird, stellt eine nach Artikel 123 (2) EPÜ
unzulässige Erweiterung dar. II.4 Ein Anspruch, der einen
Disclaimer enthält, muß die Erfordernisse der Klarheit und
Knappheit nach Artikel 84 EPÜ erfüllen.
und Michael Stadler über die verbundenen Entscheidungen G 1/03 und
G 2/03 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus
dem Jahr 2004, wobei diese Episode die Leitsätze in Zusammenhang
mit der Einführung von nicht ursprungsoffenbarten Disclaimern und
die Auflösung der Ausgangsfälle behandelt. Auch diskutiert werden
die unterschiedlichen Herangehensweisen in Zusammenhang mit der
Abgrenzung von älteren Rechten, nämlich dem vom EPA nunmehr
praktizierten Whole-Content-Approach und dem Prior-Claim-Approach.
Zusammenfassung Die Große Beschwerdekammer kam zu dem Schluss, dass
nicht ursprungoffenbarte (undisclosed) Disclaimer grundsätzlich
möglich sind. Disclaimer kann man aus drei Gründen eingeführt
werden, nämlich - um Neuheit gegenüber einem älteren Recht
herzustellen, - um Neuheit gegenüber einer zufälligen
Vorveröffentlichung herzustellen, und - um Gegenstände
auszuklammern, die aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz
ausgeschlossen sind. Unter einer zufälligen Veröffentlichung
versteht man eine Veröffentlichung, die so unerheblich für die
beanspruchte Erfindung ist und so weitab von ihr liegt, dass sie
der Fachmann bei der Erfindung nicht berücksichtigt hätte, jedoch
kommt dies in der Praxis äußerst selten vor. Ein Disclaimer darf
weiters nicht mehr ausschließen als unbedingt erforderlich und muss
klar sein. Ausgang der Vorlagefälle: Im ersten Vorlagefall
(beschichtetes Glassubstrat) wurde die Zufälligkeit des Stand der
Technik Dokuments verneint, sodass kein Disclaimer zulässig war.
Die Patentinhaberin musste auf eine herkömmliche Einschränkung
zurückgreifen und Schichtzusammensetzungen aus dem Anspruch
streichen, konnte so aber das Patent in beschränktem Umfang - aber
ohne Disclaimer - verteidigen. Im zweiten Vorlagefall (HIV-Test)
wurden insgesamt 12 undisclosed Disclaimer eingeführt, um sich vom
älteren Recht abzugrenzen. Diese Disclaimer wurden auch als
zulässig angesehen, jedoch wurde der derart beschränkte Anspruch
als nicht neu befunden. Auch in diesem Fall konnte das Patent durch
entsprechende Änderungen des Anspruchs ohne Disclaimer aufrecht
erhalten werden. Leitsätze I. Die Änderung eines Anspruchs durch
die Aufnahme eines Disclaimers kann nicht schon deshalb nach
Artikel 123 (2) EPÜ abgelehnt werden, weil weder der Disclaimer
noch der durch ihn aus dem beanspruchten Bereich ausgeschlossene
Gegenstand aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten
Fassung herleitbar ist. II. Die Zulässigkeit eines in der Anmeldung
in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht offenbarten
Disclaimers ist nach folgenden Kriterien zu beurteilen: II.1 Ein
Disclaimer kann zulässig sein, wenn er dazu dient: - die Neuheit
wiederherzustellen, indem er einen Anspruch gegenüber einem Stand
der Technik nach Artikel 54 (3) und (4) EPÜ abgrenzt; - die Neuheit
wiederherzustellen, indem er einen Anspruch gegenüber einer
zufälligen Vorwegnahme nach Artikel 54 (2) EPÜ abgrenzt; eine
Vorwegnahme ist zufällig, wenn sie so unerheblich für die
beanspruchte Erfindung ist und so weitab von ihr liegt, daß der
Fachmann sie bei der Erfindung nicht berücksichtigt hätte; und -
einen Gegenstand auszuklammern, der nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ
aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz ausgeschlossen ist.
II.2 Ein Disclaimer sollte nicht mehr ausschließen, als nötig ist,
um die Neuheit wiederherzustellen oder einen Gegenstand
auszuklammern, der aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz
ausgeschlossen ist. II.3 Ein Disclaimer, der für die Beurteilung
der erfinderischen Tätigkeit oder der ausreichenden Offenbarung
relevant ist oder wird, stellt eine nach Artikel 123 (2) EPÜ
unzulässige Erweiterung dar. II.4 Ein Anspruch, der einen
Disclaimer enthält, muß die Erfordernisse der Klarheit und
Knappheit nach Artikel 84 EPÜ erfüllen.
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