123 — Die Natur kennt feine Grade, Ein Gespräch mit Prof. Frank Zachos

123 — Die Natur kennt feine Grade, Ein Gespräch mit Prof. Frank Zachos

1 Stunde 10 Minuten

Beschreibung

vor 7 Monaten

Der wunderbare Titel der heutigen Episode lautet: »Die Natur
kennt feine Grade«. Leider stammt er nicht von mir, sondern ist
der Titel des neuen Buches meines heutigen Gasts, Prof. Frank
Zachos. Aufmerksame Hörer werden sich an Frank erinnern, dazu
aber mehr später.


Frank Zachos ist seit 2011 Wissenschaftler am Naturhistorischen
Museum in Wien und außerdem externer Professor an der Universität
in Bloemfontein in Südafrika. Er hat Biologie, Philosophie und
Wissenschaftsgeschichte studiert und beschäftigt sich außer mit
Zoologie und Evolutionsbiologie auch mit theoretischen und
philosophischen Aspekten der Biologie.


In dieser Episode beschäftigen wir uns mit der Frage, welche
Beiträge Naturwissenschaft im Allgemeinen und Biologie im
Besonderen bei fundamentalen Fragen des Menschseins leisten kann.
Wir beginnen dabei mit den bekannten Kant'schen Fragen:


Was kann ich wissen? (Erkenntnistheorie)

Was darf ich hoffen? (Religionsphilosophie)

Was soll ich tun? (Ethik / Moralphilosophie)

Was ist der Mensch? (Anthropologie im weitesten Sinne)



Und zu allen Fragen gibt es, wir wir erkunden werden, eine
biologische Dimension. Zahlreiche Fragen werden aufgeworfen: Wie
unterscheiden sich Mensch und Tier? Welche Rolle spielt Evolution
in den verschiedensten Bereichen unseres Lebens, von der
Biologie, über die Erkenntnis bis zur Kultur? Was können wir für
Moral und Ethik von der Biologie lernen? Was ist die evolutionäre
Erkenntnistheorie (die besonders auch in Österreich wichtige
Vertreter hatte)? Wir blicken hier zurück auf Konrad Lorenz und
Rupert Riedl.


Kann man der Philosophie in den Naturwissenschaften entkommen,
oder holt sie uns immer ein?


»Man kann die Philosophie ignorieren, man kann ihr aber nicht
entkommen«


Was ist der Unterschied zwischen unwissenschaftlichen und
außerwissenschaftlichen Fragestellungen? Was ist metaphysischer
Realismus, und warum lässt sich dieser wissenschaftlich nicht
begründen. Welche Rolle spielt systemisches Denken in Ergänzung
zum Reduktionismus für die komplexen Herausforderungen der Zeit
und warum kann biologisches Denken ebenfalls hilfreich sein?


»Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben, Sucht erst den
Geist herauszutreiben, Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.«, Goethe, Faust I


Behaupten wir oft mehr zu wissen und zu verstehen als wir
wirklich tun? Warum ist intellektuelle Bescheidenheit gerade
heute von zentraler Bedeutung.


»Die Wissenschaft ist gewissermaßen Opfer ihres eigenen Erfolgs
geworden«


Gibt es Kränkungen der Menschheit durch Wissenschaft? Gibt es bei
manchen oder gar vielen Menschen eine Art der Realitätsfurcht?


Was hat »Follow the Science« ausgelöst, also vor rund 100 Jahren
Euthanasie und die Verbesserung der Erbsubstanz des Menschen als
Stand des Wissens galt?


»Wann immer man Moral mit wissenschaftlichen Erkenntnissen
letztbegründen will, wird es ganz gefährlich«


Frank erinnert dabei wieder an Kant:


»Es gibt kein Sollen in der Natur.«


Womit sich die Frage stellt, was ein naturalistischer Fehlschluss
ist, und wie wir ihn vermeiden können?


»Wer zwingt uns natürlich zu sein?«


Oder wie es Hans Rosling ausdrückt: 


»Have you heard people say that humans used to live in balance
with nature? […] There was a balance. It wasn’t because humans
lived in balance with nature. Humans died in balance with nature.
It was utterly brutal and tragic.«


Kehren wir zurück zur Erkenntnis: was können wir aus der Biologie
über Erkenntnisfähigkeit lernen? Konkreter gedacht am Beispiel
der evolutionären Erkenntnistheorie sowie den Kant'schen a
prioris.


»Das was im Idividuum a priori ist (also von Geburt an), ist
eigentlich doch etwas erlerntes, aber nicht individuell erlernt,
sondern evolutionär/stammesgeschichtlich. Das Kant'sche a priori
wird in der evolutionären Erkenntnistheorie zu einem
phylogenetischen oder evolutionären a posteriori.«


Nicht zuletzt diskutieren wir auch über die Bedeutung von
Religion für die Menschen. Verschwindet Religion langsam, wenn
unsere Erkenntnisse über die Welt zunehmen, oder passiert eher
das Gegenteil?


Und damit reißen wir die Fragen die in Franks Buch aufgeworfen
werden, nur an. Daher an alle Zuhörer dieser Episode, die
Empfehlung, sich das Buch zu besorgen und weiterzulesen.


»Wir können mittlerweile Dinge beschreiben, die wir uns gar nicht
mehr vorstellen können«


Referenzen


Frank Zachos


Frank Zachos im Naturhistorischen Museum in Wien

Frank Zachos, Die Natur kennt feine Grade (2025)



Andere Episoden


Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A
Conversation with Prof. John Ioannidis

 

Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch
mit  Manfred Glauninger

Episode 98: Ist Gott tot? Ein philosophisches Gespräch mit
Jan Juhani Steinmann

Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2

 

Episode 85: Naturalismus — was weiß Wissenschaft?

Episode 83: Robert Merton — Was ist Wissenschaft?

Episode 75: Gott und die Welt, ein Gespräch mit Werner Gruber
und Erich Eder

Episode 55: Strukturen der Welt

Episode 48: Evolution, ein Gespräch mit Erich Eder

Episode 41: Intellektuelle Bescheidenheit: Was wir von
Bertrand Russel und der Eugenik lernen können

Episode 33: Naturschutz im Anthropozän – Gespräch mit Prof.
Frank Zachos



Fachliche Referenzen


Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (1781)

Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen
Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783)

Konrad Lorenz, Die acht Todsünden der zivilisierten
Menschheit, Piper (1996)

Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

Rupert Riedl, Strukturen der Komplexität: Eine Morphologie
des Erkennens und Erklärens, Springer (2000)

Johann Wolfgang von Goethe, Faust I (1808)

Hans Rosling, Factfulness, Sceptre (2018)

Konrad Lorenz Artikel: Die Lehre Kants a priori im Lichte der
modernen Biologie.

Dave Grossman, On Killing, Back Bay Books (2009)

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