G 1/15 "Teilpriorität" - Entscheidung und Gründe

G 1/15 "Teilpriorität" - Entscheidung und Gründe

Teilprioritäten - "Poisonous Divisional" (giftige Teilanmeldung) als älteres Recht
17 Minuten

Beschreibung

vor 8 Monaten
In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler wieder
über die Entscheidung G 1/15 der Großen Beschwerdekammer des
Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2016. In dieser zweiten und
abschließenden Folge werden die Leitsätze und die Auflösung des
Ausgangsfalles behandelt. Die Große Beschwerdekammer sah es als
rechtmäßig an, den Anspruch in einen generischen ODER Anspruch zu
teilen, wobei der aus der Prioritäts- bzw. der Teilanmeldung
spezielle Teil, also der Kaltfließverbesserer (A) mit
Ammonium-Salzen oder Amiden (B), als A UND B bezeichnet werden kann
und die abstrahierte Offenbarung ohne diese Merkmale aus dem
Streitpatent, also der Kaltfließverbesserer (A) ohne Ammonium-Salze
oder Amide (B), als A UND nicht-B bezeichnet wurde.
Zusammenfassung: Die Große Beschwerdekammer hat festgestellt, dass
im Falle einer Ausdehnung der Patentansprüche von der
prioritätsbegründenden Erstanmeldung zur Nachanmeldung die
Nachanmeldung nicht durch ihre eigene Teilanmeldung
neuheitsschädlich getroffen ist, selbst wenn diese sich auf die
Priorität der Erstanmeldung bezieht. Unter Rückgriff auf die
Entscheidung G 1/03 ist es möglich, bei Vorliegen eines älteren
Rechts einen Disclaimer einzufügen, der in diesem Fall darauf
gerichtet ist, aus dem in der Nachanmeldung erweiterten Bereich den
Schutzbereich der Erstanmeldung auszunehmen. Dieser Bereich ist
dann gegenüber der speziellen Offenbarung der Teilanmeldung, die
auch den Zeitrang der Erstanmeldung genießt ausreichend abgegrenzt.
Da der spezielle Teil des Patentanspruchs prioritätsgedeckt ist,
ist dieser auch neu gegenüber der Teilanmeldung, sodass dem gesamte
Anspruchsbereich Neuheit zukommt. Leitsatz: Das Recht auf
Teilpriorität für einen Anspruch, der aufgrund eines oder mehrerer
generischer Ausdrücke oder anderweitig alternative Gegenstände
umfasst (generischer "ODER"-Anspruch), kann nach dem EPÜ nicht
verweigert werden, sofern diese alternativen Gegenstände im
Prioritätsdokument erstmals, direkt - oder zumindest implizit -,
eindeutig und ausführbar offenbart sind. Andere materiellrechtliche
Bedingungen oder Einschränkungen finden in diesem Zusammenhang
keine Anwendung.

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