Episode 6: Übergänglichkeit der Natur

Episode 6: Übergänglichkeit der Natur

60 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren
Hanna Hamel (ZfL) spricht mit Oliver Grill (LMU) über ihr Buch
»Übergängliche Natur. Kant, Herder, Goethe und die Gegenwart des
Klimas« (Berlin: August Verlag 2021). In ihrem Buch »Übergängliche
Natur« versucht Hanna Hamel zu klären, was sich unter
übergänglicher Natur verstehen lässt. Dabei legt sie nicht nur das
aufklärerische Erbe zeitgenössischer Positionen offen, sondern
lenkt den Blick vor allem dorthin, wo das Verhältnis von Natur und
Kultur in den Texten des 18. Jahrhunderts – entgegen der gängigen
Lesart von deren strikter Trennung – als ein ineinander
verschlungenes erscheint. ———————— Im Gespräch mit Oliver Grill –
Autor von »Die Wetterseiten der Literatur. Poetologische
Konstellationen und meteorologische Kontexte im 19. Jahrhundert«
(Paderborn: Wilhelm Fink 2019) – erweist sich Goethes
Witterungslehre als besonders prägnanter Ort, an dem sich das
vermeintlich beständige Klima und das wechselhafte Wetter begegnen.
Beider Anliegen ist es, durch ein Recycling des historischen
Theoriefundus und eine kritische Distanznahme zur ethischen
Aufladung der Diskurse um Klima und Wetter im Anthropozän Räume und
Wege für ein notwendiges Umdenken zu schaffen. Liest man mit Hamel
die drei Kritiken Immanuel Kants im Zusammenspiel mit seiner
Anthropologie wird beispielsweise deutlich, dass der Mensch bei ihm
viel stärker lokalisiert ist, als gemeinhin angenommen. Auch Kants
Erkenntnistheorie erhält somit einen historischen Index, worin eine
überraschende Nachbarschaft zur Begriffsarbeit Bruno Latours
aufscheint. Johann Gottfried Herders ästhetische Anthropologie und
Timothy Mortons ökologische Schriften eint wiederum die zentrale
Stellung, die in ihnen der Ästhetik als Schlüssel zu Natur und
Umgebung zukommt, in Bezug auf die Rezeption ebenso wie
hinsichtlich der gestalterischen Möglichkeiten des Menschen. Als
vermittelnder Dritter zwischen begrifflich trennenden und
ästhetisierend-analogisierenden Verfahren erscheint Johann Wolfgang
von Goethe, der in einer paradoxen Wendung den Begriff des
Übergänglichen für das prägte, was sich begrifflich gerade nicht
fassen lässt. Mit Goethe lässt sich die Natur in Gestalt des
Wetters jedoch noch auf andere Weise als eine ›übergängliche‹
betrachten. So begreift Oliver Grill die »Wetterlaunen« als
paradigmatische Orte einer wechselseitigen Übertragung
naturhaft-objektiven Geschehens und emotionaler Gehalte.
Hinsichtlich der sozialen Funktion der Rede übers Wetter tritt
schließlich eine deutliche Differenz heutiger Wetter- und
Klimadiskurse zu denen um 1800 zutage: Durch deren ethische
Aufladung verliert das Wetter seinen Status als »Nullwert der
Sprache« (Schleiermacher) und bringt uns in Erzählprobleme. Im
Anthropozän stellt sich mit Latour vielmehr die politische Frage,
wo wir in der Beschäftigung mit dem Klima stehen. ———————— Die
Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Hanna Hamel leitet das
Projekt »Stadt, Land, Kiez. Nachbarschaften in der Berliner
Gegenwartsliteratur« am ZfL. Von 2017 bis 2019 war sie mit dem
Projekt »Klimatologien der beginnenden Moderne« Doktorandin am ZfL.
Der Literaturwissenschaftler Oliver Grill ist seit 2018
wissenschaftlicher Mitarbeiter in der DFG-Forschergruppe
»Philologie des Abenteuers« an der Ludwig-Maximilians-Universität
München. 2017 promovierte er dort mit einer Arbeit zur »Poetik des
Wetters von Goethe bis Fontane«. Oliver Grill war im Herbst 2021 zu
Gast am ZfL. www.zfl-berlin.org

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