Episode 17: Postdigitale Literatur

Episode 17: Postdigitale Literatur

41 Minuten

Beschreibung

vor 7 Monaten
Hanna Hamel (ZfL) und Eva Stubenrauch (Humboldt-Universität zu
Berlin) unterhalten sich über den Band »Wie postdigital schreiben?
Neue Verfahren der Gegenwartsliteratur« (transcript 2023). Dabei
sprechen sie unter anderem darüber, was das Postdigitale ist und
welche historischen Vorläufer gegenwärtige Schreibverfahren haben.
———————— Die Gegenwartsliteratur wird häufig aus
literatursoziologischer Perspektive untersucht. Richtet man den
Fokus hingegen auf ihre Verfahren, können Phänomene erfasst werden,
die sich den dominanten praxeologischen Zugriffen entziehen.
Welchen Einfluss hat beispielsweise die praktisch-technische
Vorentscheidung für das Schreibwerkzeug – Stift oder ChatGPT – auf
die ästhetische Form? Hat das Digitale wirklich zu qualitativen
Veränderungen im Schreibprozess geführt? Und wenn ja, was zeichnet
unsere heutige postdigitale Situation aus? Das Konzept des
Postdigitalen stammt ursprünglich aus der elektronischen Musik und
beschreibt die Situation nach der Digitalisierung, in der das
Digitale alle Lebensbereiche erfasst hat. Aber handelt es sich
dabei wirklich um einen radikalen Bruch mit dem Vorhergegangenen?
Sicher ist, dass digitale Räume die Literatur vor neue
Herausforderungen stellen, wenn beispielsweise über Plattformen wie
Twitter Schreibende dem unmittelbaren Feedback durch ihre
Leser*innen ausgesetzt sind. In den neuesten Diskussionen um
Künstliche Intelligenz und die vermeintliche Konkurrenz zwischen
Mensch und Maschine kehren gleichzeitig totgeglaubte Kategorien wie
Autor und Werk in literaturwissenschaftliche und -kritische
Diskurse zurück. Unter dem Eindruck dieser Umwälzungen produziert
die Literaturwissenschaft immer neue Ordnungsmodelle. Sie
unterscheidet zwischen ›artifizieller‹ und ›postartifizieller‹
Literatur (Bajohr) oder solcher, die einer vermeintlich
traditionellen Erzählweise verpflichtet bleibt, und solcher, die
ihre eigenen Produktionsbedingungen ausstellt. Letzterer wird dabei
schnell das Label der ›angemessenen Literatur für das 21.
Jahrhundert‹ verpasst. Die Beiträge des Sammelbands hinterfragen
vorschnelle normative Setzungen. Sie betrachten bestimmte Verfahren
der Gegenwartsliteratur in ihrer historischen Entwicklung und
stellen Verbindungen zu Vorläufern wie Schema- und Popliteratur
her. Dabei zeigt sich unter anderem, dass die oft als Merkmal des
Postdigitalen hervorgehobene Allianz zwischen Theoretisierung und
Praxis der Literatur so neu nicht ist. Vielmehr zeichnen sich schon
Literaturphänomene der Moderne wie die Konkrete Poesie oder
avantgardistische ›Fehlerpoetiken‹ durch eine Reflexion auf die
eigene Textualität und ihre medialen und technischen Einflüsse aus.
Metareflexive Tendenzen weist auch ein Genre auf, das selten der
ambitionierten Literatur zugerechnet wird: die Fanfiction. Gerade
die in Teilen der Community geführten Diskussionen um den Kanon
sind jedoch höchst anschlussfähig für literaturwissenschaftliche
Debatten. Stellt sich doch mit Blick auf die unendlichen
genealogischen Schneisen, die sich in literarischen Texten
ausmachen lassen, und ihre intertextuellen Bezüge die Frage, ob
nicht die gesamte Literaturgeschichte als Fanfiction zu betrachten
ist. ———————— Die Literaturwissenschaftlerin und Philosophin Hanna
Hamel leitet das Projekt »Stadt, Land, Kiez. Nachbarschaften in der
Berliner Gegenwartsliteratur« am ZfL. Von 2017 bis 2019 war sie mit
dem Projekt »Klimatologien der beginnenden Moderne« Doktorandin am
ZfL. Die Literaturwissenschaftlerin Eva Stubenrauch ist
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Literatur
der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie war von 2021–2023 mit dem
Projekt »Die Einverleibung der Innovation. Theorie- und
Literaturwissenschaftsgeschichte eines Strukturmoments (1870/1970)«
wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZfL. www.zfl-berlin.org

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