016 – Innovation und Fortschritt oder Stagnation?

016 – Innovation und Fortschritt oder Stagnation?

Scheitern wir vielleicht nicht nur daran zwischen Innovation und Fortschritt zu unterscheiden, sondern ist das Problem vielleicht wesentlich tiefer liegend: leben wir in einem Zeitalter der Stagnation, wo zwar viel Lärm gemacht wird, sich tatsächlich aber
39 Minuten
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Woher kommen wir, wo stehen wir und wie finden wir unsere Zukunft wieder?

Beschreibung

vor 4 Jahren

»Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer
ausschaut, als er wirklich ist.«, Johann Nestroy


In der vorigen Episode habe ich versucht das Zusammenspiel von
Innovation und Fortschritt unter die Lupe zu nehmen. Ziel war es
zum Nachdenken und vor allem auch zum Widerspruch anzuregen. Ich
freue mich auch weiterhin über Anregungen und Kommentare.


In dieser Episode gehe ich einen – etwas spekulativen – Schritt
oder Frage weiter. Scheitern wir vielleicht nicht nur daran
zwischen Innovation und Fortschritt zu unterscheiden, sondern ist
das Problem vielleicht wesentlich tiefer liegend: leben wir
in einem Zeitalter der Stagnation, wo zwar viel Lärm gemacht
wird, sich tatsächlich aber recht wenig bewegt?


Ein Blick zurück. Philipp Blom beschreibt die tatsächlich enormen
Umwälzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Als bemerkenswertes
Beispiel greife ich die Neurasthenie heraus, die zeigt, als
wie schnell und überwältigend diese Entwicklungen wahrgenommen
wurden. Blom zitiert einen George Miller Beard, Art der Zeit:


»Es gibt eine große Familie von funktionellen nervösen Störungen,
die unter den hinter verschlossenen Türen arbeitende Klassen der
zivilisierten Länder immer häufiger werden. In diesem Land
beträgt die Anzahl der Menschen, die an dieser Krankheit leiden,
Hunderttausende«


In der Tat ist auch objektiv eine enorme Entwicklung in
Wissenschaft, Technik und Gesellschaft zwischen 1900 und 1960 zu
beobachten. 


In einem Gespräch kommen Peter Thiel, Eric Weinstein zu der
Erkenntnis, dass wir in einem Zeitalter der Stagnation (seit
den 1970er Jahren) leben; mit wenigen Ausnahmen (vor allem
Informationstechnologie uns Software). Stagnation in der
Wissenschaft, der Technologie aber auch kaum Wirtschaftswachstum.
Volatität wird als Dynamik missverstanden.


Der absolut überwiegende Teil der wissenschaftlichen und
technologischen Grundlagen auch der heutigen Zeit wurden vor den
1970er Jahren gelegt.


Haben wir ein Problem in der Wissenschaft (ist es ein
fundamentales Erkenntnisproblem, oder eines der
wissenschaftlichen Praxis)? in der Umsetzung in die Technologie?
In unseren Organisationen?


»Wir leben in einer Art von intellektuellen Truman-Show, wo alles
um uns herum falsch ist und etwas super-aufregendes passieren
wird.«, Eric Weinstein


Thiel und Weinstein sind nicht die einzigen, die derartige Ideen
vertreten: Artikel von Frank Schirrmacher und David Graeber sowie
ökonomische Aspekte durch Robert Gordon: keine nennenswerte
Zunahme an Produktivität, Innovation und Wachstum in den letzten
Jahrzehnten.


Zuletzt werfen wir einen Blick auf die sehr interessanten
Beobachtungen der Physikerin Sabine Hossenfelder, die ähnliche
Beobachtungen aus der Innensicht der modernen (theoretischen)
Physik macht.


»Meine Generation ist bemerkenswert erfolglos – in mehr als 30
Jahren ist es uns nicht gelungen, die Grundlagen der Physik zu
verbessern«


Aber so erfolglos können wir gar nicht sein, dass wir die
Lautstärke des Marketings nicht ständig aufdrehen.


Stimmt es also, dass wir – entgegen dem lautstarken Marketing –
tatsächlich eher in einer Welt der wissenschaftlichen und
technologischen Stagnation leben?


Und falls das so ist: warum ist das für unsere Gesellschaft und
Zukunft von größter Bedeutung!?


Wie immer: schicken Sie mir Ihre Meinungen, Kritikpunkte,
Ergänzungen, z.B. über Twitter, und über dieses
Feedback-Formular.


Referenzen


Philipp Blom, Der taumelnde Kontinent: Europa 1900–1914
(2011)

The Portal: Eric Weinstein, Peter Thiel (im besonderen die
ersten 30–40 Minuten)

David Graeber im Gespräch mit Peter Thiel, Where did the
future go?

Frank Schirrmacher, Neil Armstrongs Epoche: Das Drama einer
Enttäuschung (FAZ) (ca. 2012)

Klaus Kornwachs, Philosophie der Technik (C.H.Beck Wissen)
(2013)

Antibiotika: Das Wundermittel wirkt nicht mehr, ZEIT Online

Missing Link: Der 3D-Drucker, oder: die industrielle
Revolution, die nicht stattfand

David Graeber, Bürokratie, Die Utopie der Regeln (2017)

Robert Gordon, The death of innovation, the end of growth
(TED-Talk)

Sabine Hossenfelder, Lost in Math

Konrad Paul Liessmann, Dienst ohne Vorschrift – 200 Jahre
nach seinem Tod wäre Immanuel Kant, einer der größten Denker der
Moderne, chancenlos, sich im heutigen Wissenschaftsbetrieb
durchzusetzen. Der Standard, 6. Februar 2004

Edward Snowden, Permanent Record (2019)

Tim Jackson, Prosperity without Growth (2009, 2016) 

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