093 – Covid. Die unerklärliche Stille nach dem Sturm. Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann

093 – Covid. Die unerklärliche Stille nach dem Sturm. Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann

Die heutige Episode gehört zu den wenigen, die eine gewisse Zeitlichkeit haben. Es war vor rund vier Jahren, als die Covid-Pandemie auch in Europa richtig angekommen ist. Ab 16. März 2020 wurde der erste österreichweite Lockdown verfügt. Dies war der...
1 Stunde 18 Minuten
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Woher kommen wir, wo stehen wir und wie finden wir unsere Zukunft wieder?

Beschreibung

vor 1 Monat

Die heutige Episode gehört zu den wenigen, die eine gewisse
Zeitlichkeit haben. Es war vor rund vier Jahren, als die
Covid-Pandemie auch in Europa richtig angekommen ist. Ab 16. März
2020 wurde der erste österreichweite Lockdown verfügt. Dies war
der Anfang einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die große
Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Gesundheit der
Menschen hatten.


Vier Jahre später würde man erwarten, dass diese Maßnahmen, die
in dieser Form einzigartig seit dem Zweiten Weltkrieg waren,
breit in Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit reflektiert und
diskutiert werden. Dies nicht nur, um die konkrete Krise
aufzuarbeiten, sondern auch um zu fragen, wie wir mit zukünftigen
Krisen umgehen sollten.


Was beobachten wir in etablierten Medien, Wissenschaft und
Politik? So gut wie nichts, was nach einer ernsthaften
Aufarbeitung aussieht. Der Titel dieser Episode ist daher:
»Covid. Die unerklärliche Stille nach dem Sturm?« 


Der heutige Gesprächspartner ist wieder Jan David Zimmermann, was
mich sehr freut! Jan ist Autor, Publizist und
Wissenschaftsforscher, hat auch gerade ein neues und äußerst
empfehlenswertes Buch herausgebracht — Lethe, Vom Vergessen des
Totalitären. Außerdem ist er Redakteur beim Stichpunkt-Magazin.


In dieser Episode diskutieren wir nicht fachlich die Maßnahmen,
die gesetzt oder unterlassen wurden, sondern vielmehr den
Prozess, der zu diesen Maßnahmen geführt hat, sowie die Rolle von
Wissenschaft und Expertise in diesem Zusammenhang. Wir fallen
dabei nicht in die post-hoc fallacy, also aus dem Rückblick alles
besser zu wissen. Sondern die Betrachtung ist eine aus der
heutigen Zeit, aber vor allem hinsichtlich der Frage, was wir
richtig und falsch gemacht haben, und wie wir von hier an
weitergehen sollten. Wir versuchen also (nach Heinz von Förster)
eine Beobachtung zweiter Ordnung.


Was hat Corona angestoßen oder welche Trends in der Gesellschaft
deutlicher gemacht? Beobachten wir neue totalitäre Tendenzen,
eine Polarisierung, wie Wissenschaft in Krisen agiert?


Covid per se bedarf einer Nachbearbeitung, aber auch die
Folgeeffekte auf Wissenschaft, Politik und Gesellschaft für
andere, ähnliche Probleme. Denn es wird fallweise behauptet, wir
hätten einen Mechanismus, eine »Blaupause« entwickelt, um auch
mit anderen (ähnlichen) Krisen umzugehen. Ist diese wünschenswert
und Erfolg versprechend?


Was bedeutet Ausnahmezustand; vor allem, auch wenn damit
langfristig Politik gemacht wird?


»Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet«, Carl
Schmitt


Wie autoritär ist Gesellschaft der vormaligen »Mitte« geworden?
Alle möglichen ideologischen Seiten finden autoritäre Ideen und
auch Gewalt plötzlich rechtfertigbar?


Was bedeutet Entscheiden unter Unsicherheit — oder allgemeiner:
Wie sollten wir als Gesellschaft mit Unsicherheit umgehen? Wir
diskutieren die verschiedenen Aspekte in Bezug auf folgende
Phasen der Krise:


Zeit vor 2020

Frühjahr/Sommer 2020

Herbst-Winter 2020 (vor der Impfung)

Nach der Impfung 2021

2022 und später



Wie gefährlich kann Forschung sein? Gain of Function Research,
Lab Leaks? Wer sollte über solche Wissenschaft entscheiden?


»Wissenschaft ist nicht einfrieren von Erkenntnis«


Zur Cochrane Studie über Masken siehe Podcast Episode 72.


Was bedeutet Krisenmanagement in solchen Situationen? Haben wir
Maßnahmen von Privilegierten für Privilegierte auf dem Rücken der
restlichen Gesellschaft erlebt? 


»Luxury beliefs are the new status symbols«, Rob Henderson


Das Verhalten der Wissenschaft während der Pandemie wurde von
einzelnen hochrangigen Wissenschaftern wie John Ioannidis
untersucht, und das Ergebnis war wenig schmeichelhaft:


»Even the best peer-reviewed journals often presented results
with bias and spin.«


»Whatever the origins of the virus, the refusal to abide by
formerly accepted norms has done its own enormous damage.«


»most of this work was of low quality, often wrong, and sometimes
highly misleading.«


»The disdain for reliable study designs was even celebrated.«


»Big Tech companies […] developed powerful censorship
machineries«


»There was a clash between two schools of thought, authoritarian
public health versus science—and science lost.«


Man muss sich nach solchen Analysen natürlich die Frage stellen:
Sind unsere Wissenschaftstugenden mittlerweile völlig korrodiert?


Was hat es mit der Great Barrington Declaration auf sich und was
waren die unerfreulichen Folgen für die beteiligten
Wissenschafter?


Niemand wird primär dafür kritisiert, im Jahr 2020 Fehler gemacht
zu haben, aber wenn man sich 2024 dafür rühmt ist das
ernüchternd. Dies zeigt sich auf drastische Weise am Auftritt des
deutschen Soziologen Heinz Bude (der Mitglied des deutschen
Krisenstabes war):


Heinz Bude: »Noch einmal aus dem Nähkästchen geplaudert: Wir
müssen ein Modell finden, um Folgebereitschaft herzustellen, dass
so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist. Und das war diese
Formel flatten the curve. Wie können wir die Leute überzeugen
mitzutun... Das sieht so nach Wissenschaft aus. Wenn ihr schön
diszipliniert seid, könnt ihr die Kurve verändern. […] Das haben
wir geklaut von einem Wissenschaftsjournalisten. Das haben wir
nicht selber erfunden. Wir fanden das irgendwie toll, dass man so
ein Quasi-Wissenschaftsargument hat.«


Anderer Diskutant: »Das bedeutet, dass sich die Wissenschaft in
einem normativ vorgegebenen Rahmen engagiert. […] Diese
normativen Vorgaben muss man einkaufen«


HB: »Wissenschaft ist ja auch operativ interessant. «


AD: »Aber wenn man sich normativ sehr sicher ist. Ich glaube,
viele Leute waren sich sehr schnell sehr sicher.«


Bude zuckt mit den Achseln.


Heinz Bude war außerdem ein Verfechter der Zero-Covid Idee, die
sehr schnell diskreditiert war. Was bedeutet es auch, wenn
Wissenschaft »operativ interessant« wird?


Das Vertrauen in die Wissenschaft geht verloren — wie ist das zu
bewerten? Wird hier nicht oftmals Ursache mit Wirkung
verwechselt? Wie kann das Vertrauen in Institutionen und
Wissenschaft wieder hergestellt werden?


Matt Taibbi spricht im Rahmen der Twitter Files vom Censorship
Industrial Complex »Twitter was more like a partner to government
«


Wissenschaft ist immer stark mit Macht verwoben, wie steht das im
Verhältnis zum Erkenntnisgewinn? Aber auch die Medien erfüllen
ihre Aufgabe in keiner Weise. Wie gehen wir damit um? Wie kann
entschieden werden, was legitime Kritik und was schlicht Unsinn
ist? Wie konnte es passieren, dass liberale Nationen wie Kanada,
Australien und Neuseeland in autoritäre Strukturen abgeglitten
sind? Damit stellt sich die fundamentale Frage: Wie lange darf
ein Krisenmoment dauern?


»Moralpolitik hat die Sachpolitik abgelöst«


Auf der »richtigen« Seite zu sein wird wichtiger als das Richtige
zu tun. Und das Richtige wird mit allen Mitteln durchgesetzt,
nicht nur mit harten Maßnahmen, sondern auch mit Soft Power wie
Nudging.


Dabei wird die eigentlich wichtige Frage gerne übersehen: Wer
bestimmt, was das Richtige für mich ist?


»The dictatorship of the future will be very unlike the
dictatorships we experienced in the past. […] If you want to
preserve your power indefinitely, you have to get the consent of
the ruled. […] Making him actually love his slavery. Being happy
under the new regime.«, Aldous Huxley


Das Totalitäre ist stärker von klaren Strukturen und nicht von
Inhalten bestimmt:


»Das Totalitäre ist stärker ein wie als ein was.«


Referenzen


Andere Episoden


Episode 88: Liberalismus und Freiheitsgrade, ein Gespräch mit
Prof. Christoph Möllers

Episode 85: Naturalismus — was weiß Wissenschaft?

Episode 84: (Epistemische) Krisen? Ein Gespräch mit Jan David
Zimmermann

Episode 83: Robert Merton — Was ist Wissenschaft?

Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion

Episode 79: Escape from Model Land, a Conversation with Dr.
Erica Thompson

Episode 76: Existentielle Risiken

Episode 74: Apocalype Always

Episode 72: Scheitern an komplexen Problemen? Wissenschaft,
Sprache und Gesellschaft — Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann

Episode 47: Große Worte

Episode 39: Follow the Science?

Episode 37: Probleme und Lösungen

Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit



Jan David Zimmermann


Homepage

Facebook: Jan D. Zimmermann

Instagram:  j._zimmermann

Buch: Lethe. Vom Vergessen des Totalitären

Stichpunkt Magazin



Fachliche Referenzen


Sitzungsprotokoll der "Taskforce Corona" über zu wenig Angst
in der Bevölkerung, Der Standard (2020)

Regierungsprotokoll: Angst vor Infektion offenbar erwünscht,
ORF (2020)

Internes Papier aus Innenministerium empfahl, den Deutschen
Corona-Angst zu machen, Focus (2020)

Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen. Strategiepapier
des Bundesinnenministeriums. 

Umstritten. Ein journalistisches Gütesiegel. Fitfty Fifty/
Westend Verlag (2024)

Das integrative Empire: Wissensproduktion und kulturelle
Praktiken in Habsburg-Zentraleuropa (Global- und
Kolonialgeschichte).  transcript Verlag (2023)

Jürgen Habermas: Technik und Wissenschaft als Ideologie
Suhrkamp (1968)

Rob Henderson, Luxury Beliefs

John Ioannidis, How the pandemic is changing pandemic norms
(2021)

Great Barrington Declaration (2020)

Heinz Bude im Gespräch 2024

Zero Covid, No Covid, Artikel im Deutschlandfunk (2021)

Susanne Gaschke, Interview in der NZZ: »Sie wollten ganze
Landkreise abschotten!« – »Ich würde immer noch so vorgehen, wie
wir es getan haben!« (2023)

Alexander Bogner, Nach Corona (2023)

Matt Taibbi, The Censorship Industrial Complex (2023)

Telegraph, The Lockdown Files

Ein neuer Bericht offenbart Pläne für eine Veränderung von
Coronaviren – kurz vor der Pandemie, NZZ (2021)

Richard Thaler, Cass Sunstein, Nudge, Yale University Press
(2008)

WEF Artikel (2021) mit Interview Cass Sunstein

Gesundheitspolitik: Nudging: Anstupsen für den guten Zweck
(Spektrum 2015)

Nudging Task Force unter Obama (2015)

Rainer Mausfeld im Gespräch über sein neues Buch, Hybris und
Nemesis (2023)

Jesse Singal, The Quick Fix: Why Fad Psychology Can't Cure
Our Social Ills, Farrar, Straus and Giroux (2021)

Margaret Heffernan, Uncharted, Simon & Schuster UK (2020)

Shoshana Zuboff, The Age of Surveillance Capitalism: The
Fight for a Human Future at the New Frontier of Power, Profile
Books (2019)

Aldous Huxley über Diktaturen der Zukunft (1958)

Martin Kulldorff: Fired by Harvard for getting Covid right,
Unherd (2024)

Vinay Prasad, Martin Kulldorff was wrongly fired from Harvard
Medical School (2024)

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