Folge 22 - Drei Arten Gedichte aufzuschreiben (Hilde Domin)

Folge 22 - Drei Arten Gedichte aufzuschreiben (Hilde Domin)

32 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

In dieser neuen Folge nach der Sommerpause geht es um einen
wichtigen Text Hilde Domins. Zudem wird ihre Biografie mit in den
Blick genommen, um zum Verständnis des Textes beizutragen.





Drei Arten Gedichte aufzuschreiben


Ein trockenes Flussbett
ein weißes Band von Kieselsteinen
von weitem gesehen
hierauf wünsche ich zu schreiben
in klaren Lettern
oder eine Schutthalde
Geröll
gleitend unter meine Zeilen
wegrutschend
damit das heikle Leben meiner Worte
ihr Dennoch
ein Dennoch jedes Buchstabens sei


2.
Kleine Buchstaben
genaue
damit die Worte leise kommen
damit die Worte sich einschleichen
damit man hingehen muss
zu den Worten
sie suchen in dem weißen
Papier
leise
man merkt nicht wie sie eintreten
durch die Poren
Schweiß der nach innen rinnt
Angst
meine
unsere
und das Dennoch jedes Buchstabens


3.
Ich will einen Streifen Papier
so groß wie ich
ein Meter sechzig
darauf ein Gedicht
das schreit
sowie einer vorübergeht
schreit in schwarzen Buchstaben
das etwas Unmögliches verlangt
Zivilcourage zum Beispiel
diesen Mut den kein Tier hat
Mit-Schmerz zum Beispiel
Solidarität statt Herde
Fremd-Worte
heimisch zu machen im Tun


Mensch
Tier das Zivilcourage hat
Mensch
Tier das den Mit-Schmerz kennt
Mensch Fremdwort-Tier Wort-Tier
Tier
das Gedichte schreibt
Gedicht
das Unmögliches verlangt
von jedem der vorbeigeht
dringend
unabweisbar
als rufe es
"Trink Coca-Cola"

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