Folge 43 - An das Baby, Mutterns Hände (Kurt Tucholsky)

Folge 43 - An das Baby, Mutterns Hände (Kurt Tucholsky)

19 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Zwei Gedichte von Tucholsky - von der Wiege bis zur Bahre. Es war
an der Zeit, diesem umtriebigen Dichter auch hier einen Platz zu
geben und zu zeigen, dass er und seine Texte immer noch heutig
sind. 





An das Baby

Alle stehn um dich herum:
Photograph und Mutti
und ein Kasten, schwarz und stumm,
Felix, Tante Putti …


Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,


fröhlich quietscht ein Gummihund.
    „Baby, lach mal!“ ruft Mama.
    „Guck“, ruft Tante, „eiala!“
Aber du, mein kleiner Mann,


siehst dir die Gesellschaft an …


Na, und dann – was meinste?
 Weinste.

Später stehn um dich herum
Vaterland und Fahnen;


Kirche, Ministerium,


Welsche und Germanen.
    Jeder stiert nur unverwandt
    auf das eigne kleine Land.
    Jeder kräht auf seinem Mist,


weiß genau, was Wahrheit ist.


Aber du, mein guter Mann,
siehst dir die Gesellschaft an …
Na, und dann – was machste?
 Lachste.








Mutterns Hände


Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
    un de Töppe rübajeschohm –
un jewischt und jenäht


un jemacht und jedreht ...


alles mit deine Hände.

Hast de Milch zujedeckt,
uns Bobongs zujesteckt
    un Zeitungen ausjetragen –


hast die Hemden jezählt


und Kartoffeln jeschält ...
    alles mit deine Hände.

Hast uns manches Mal
bei jroßen Schkandal


auch n Katzenkopp jejeben.


Hast uns hochjebracht.
Wir wahn Sticker acht,
sechse sind noch am Leben ...
    Alles mit deine Hände.


Heiß warn se un kalt.


Nu sind se alt.
    Nu bist du bald am Ende.
Da stehn wa nu hier,
und denn komm wir bei dir


und streicheln deine Hände.

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