Folge 59 - Die drei Lesungen des Gesetzes (Peter Handke)

Folge 59 - Die drei Lesungen des Gesetzes (Peter Handke)

19 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Ist das ein Gedicht? Kann Juristerei Lyrik sein? Und was hat das
mit der  68er-Revolution zu tun? Diese Fragen werden im
Zusammenhang mit Peter  Handkes Text gestellt und
beantwortet.  





Die drei Lesungen des Gesetzes


1.


Jeder Staatsbürger hat das Recht – Beifall


seine Persönlichkeit frei zu entfalten – Beifall


insbesondere hat er das Recht auf:


Arbeit – Beifall


Freizeit – Beifall


Freizügigkeit – Beifall


Bildung – Beifall


Versammlung – Beifall


sowie auf Unantastbarkeit der Person – starker Beifall


2.


Jeder Staatsbürger hat das Recht – Beifall


im Rahmen der Gesetze seine Persönlichkeit frei zu entfalten –
Rufe: Hört! Hört!


insbesondere hat er das Recht auf Arbeit entsprechend den
gesellschaftlichen Erfordernissen – Unruhe, Beifall


auf Freizeit nach Maßgabe seiner gesellschaftlich notwendigen
Arbeitskraft –Zischen, Beifall, amüsiertes Lachen, Unruhe


auf Freizügigkeit, ausgenommen die Fälle, in denen eine
ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der
Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden schwacher
Beifall, höhnisches Lachen, Scharren,Unruhe


auf Bildung, soweit die ökonomischen Verhältnisse sie sowohl
zulassen als auch nötig machen Rufe, Türenschlagen, höhnischer
Beifall


auf Versammlung nach Maßgabe der Unterstützung der Interessen der
Mitglieder der Allgemeinheit Lärm, vereinzelte Bravorufe,
Protestklatschen, Rufe wie: Endlich! oder: Das hat uns noch
gefehlt!, Trampeln, Gebrüll, Platzen von Papiertüten


sowie auf Unantastbarkeit der Person – Unruhe und höhnischer
Beifall.


3.


Jeder Staatsbürger hat das Recht, im Rahmen der Gesetze und der
guten Sitten seine Persönlichkeit frei zu entfalten, insbesondere
hat er das Recht auf Arbeit entsprechend den wirtschaftlichen und
sittlichen Grundsätzen der Allgemeinheit – das Recht auf Freizeit
nach Maßgabe der allgemeinen wirtschaftlichen Erfordernisse und
den Möglichkeiten eines durchschnittlich leistungsfähigen Bürgers
– das Recht auf Freizügigkeit, ausgenommen die Fälle, in denen
eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der
Allgemeinheit dadurch besondere Lasten entstehen würden oder aber
zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand der
Allgemeinheit oder zum Schutz vor sittlicher und
leistungsabträglicher Verwahrlosung oder zur Erhaltung eines
geordneten Ehe-, Familien- und Gemeinschaftslebens das Recht auf
Bildung, soweit sie für den wirtschaftlich-sittlichen Fortschritt
der Allgemeinheit sowohl zuträglich als auch erforderlich ist und
soweit sie nicht Gefahr läuft, den Bestand der Allgemeinheit in
ihren Grundlagen und Zielsetzungen zu gefährden –das Recht auf
Versammlung nach Maßgabe sowohl der Festigung als auch des
Nutzens der Allgemeinheit und unter Berücksichtigung von
Seuchengefahr, Brandgefahr und drohenden Naturkatastrophen sowie
das Recht auf Unantastbarkeit der Person.


Allgemeiner stürmischer, nicht enden wollender Beifall.

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