Winterlong - Steven Savile und Steve Lockley und One Day All This Will Be Yours - Adrian Tchaikovsky

Winterlong - Steven Savile und Steve Lockley und One Day All This Will Be Yours - Adrian Tchaikovsky

7 Minuten
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Beschreibung

vor 1 Jahr

Der Winter ist die Zeit dicke, lange Bücher zu lesen, sagte Herr
Falschgold, wie er da saß, in seinem Ohrensessel. Oder war es der
Sommer, um fette Bücher zu verschlingen, an ewig langen Tagen, am
Strand? Oder der Herbst, wenn die Abende immer früher beginnen
und es erlauben, das Glas erschreckend zeitig unter den sorgsam
im Bücherregal eingebauten Kanister Roten zu halten?


Es ist natürlich der Winter, und die Bücher sind dick und der
Leser erwartet mit Recht die Rezension eines dieser Monsterwerke,
eines Pynchon, eines Wallace, ein Ulysses gar! Da gibt es nur ein
Problem: dicke, schwere, ok, selbst dicke, leichte Bücher sind
lang und deren zwei liegen zur Zeit parallel auf dem Nachttisch
(Ok, machen wir uns nichts vor: dem Kindle). Von einem würde ich
sehr gerne berichten, aber das ist noch nicht möglich,
Verschwiegenheit, nicht jinxen und so, das zweite ist noch im
Verzehr und da man, ok, ich, dicke Werke nicht ununterbrochen und
am Stück lesen kann, snacke ich zwischendurch leichtere Kost.
Nein, keine Kurzgeschichten: diese Autorenonanie auf Kosten des
Lesers, tolle Ideen, wo der Autorin der Atem fehlt und die
Leserin präklimakterisch unbefriedigt zurück gelassen wird,
kommen mir nicht auf den Reader (und natürlich ist diese
Einstellung falsch und egoistisch aber I don’t care).


Egal, es gibt etwas zwischen Ulysses und Bukowski: die Novelle.
Sie ist mittig platziert zwischen der offenbar spätkapitalistisch
standardisierten Seitenanzahl von 365 für einen “richtigen”
Roman, also irgendwas in Serie: Child, Osman, Connelly und den 30
Seiten oder was auch immer ein atemloser Autor schafft um seine
brillante Idee in einer Kurzgeschichte zu verwursten. (Ich höre
ja schon auf). Irgendwas zwischen 100 und 200 Seiten will der
Verleger einer Novelle sehen, gerade genug um eine Idee satt zu
behandeln und leserseitig gesehen genau so lang, das Ding, mit
ein bisschen Weg zur und von der Arbeit und mal nicht bis in die
Puppen Netflix glotzen, an einem Tag durchzureißen, was ein
interessantes Leseerlebnis verschafft. Es erinnert an das
Bingewatching von Miniserien. Man braucht ein bisschen Atem, aber
wird an nur einem Tag belohnt mit einem abgeschlossenen Leben,
einem kompletten Kriegsverlauf, einem Doppelmord und deren
Aufklärung, was, machen wir uns nichts vor, in Zeiten von
minimaler Aufmerksamkeitsspanne und Gamification von allem und
jedem, ein brrrr.. “Erfolgserlebnis” garantiert. In Deutschland,
gefühlt seit Arnold Zweig, aus der Mode, erlebte die Gattung im
Englischen vor allem in den Bereichen Fantasy und Science Fiction
eine Renaissance, was deutsche Verlage leider kalt gegenüber
diesen zu kleinen Edelsteinen komprimierten Werken lässt. Das
Einzige, womit man hierzulande in der hier benutzten Sprache mit
Werken dieser Länge Geld verdienen kann, sind wohl
Groschenromane.


Damit sich das ändert, seien hier also zwei wirklich brillante
Kleinode für den Leser mit machbaren Englischkenntnissen
vorgestellt, vielleicht schaut ja mal ein Verlag in die
Amazon-Bestsellerliste “Englischsprachig, Käufer aus Deutschland”
und ein Spike erscheint, wie ein Wunder, am 29.1.2023. Gekauft
wurde: “Winterlong” von Steven Savile und Steve Lockley und “One
Day All This Will Be Yours” von Adrian Tchaikovsky.


“Warum?”, fragen sich die Verlage. Wegen Studio B? Haha. Nein,
weil es wirklich tolle Bücher sind. Beide sind brillant in Idee
wie Ausführung und so kurz, 100 bzw. 120 Seiten, dass es kaum
lohnt, die beiderbüchig überraschende Handlung zu spoilern.
Deshalb hier nur das Setting. Der finanzielle Verlust, wenn es
nicht gefällt, berechnet sich in minimalen Eurobeträgen, der
Anteil verlorener Lebenszeit in Millionstel.


Ok, das Setting vom passend zum Rezensionserscheinungstermin
benannten “Winterlong” ist ein beängstigend wiederkehrendes.
Zumindest in meinem Rezensentenalltag sind wir nicht zum ersten
Mal in England. In einem Altersheim. (Was will mir das Schicksal
sagen?) Es liest sich tatsächlich wie der “Thursday Murder Club”.
Ein ziemlich alter Ganove sitzt jetzt gemütlich in einem privaten
Altersheim. Wie wir lernen, war er ein nicht zimperlicher
Geldeintreiber, damals, im aktiven Berufsleben. Er macht gerade
einem Sohn, zu Besuch bei seiner Mutter, klar, dass es eine
schlechte, eine ganz schlechte Idee, sei, diese in ein anderes
Heim umzusiedeln, um Geld zu sparen. Also für den Sohn
persönlich, wir verstehen uns?! Währenddessen um ihn herum die
Betreiberin des Heimes sich Sorgen macht um ihren Mann draußen im
Gewächshaus weil es zu schneien beginnt, die dicke faule
Schwester noch nicht Dienstschluss hat aber wie immer zu zeitig
geht, weil, es beginnt zu schneien und die fleißige und
warmherzige ukrainische Schwester eher kommt, weil es zu schneien
begonnen hat und sie Angst hat, steckenzubleiben - hatte ich
erwähnt, dass es zu schneien begonnen hat? Wir wissen nicht genau
was, aber irgendwas stimmt nicht. Obwohl alles völlig normaler
Stress im Altersheim ist, stimmt irgendwas nicht. Ach genau. Es
schneit. Wie Sau. Ganz unheimlich. In England.


Das Setting in der, jetzt fällt es mir auf, fast
altersheimgerecht benannten zweiten zu empfehlenden Novella “One
Day All This Will Be Yours” könnte nicht gegensätzlicher sein. Es
ist Sonnenschein, die Felder stehen dicht und schwer, denn es ist
Erntezeit auf einer Farm - am Ende der Zeit. Ein Farmer auf einem
roten Traktor bringt die Ernte ein, begleitet von seinem Haustier
“Miffly”, einem - Dinosaurier. Der bis zum Schluss namenlose
Farmer ist der einzige Überlebende der Kausalitätskriege, die
begannen, kurz nachdem die Menschen die Zeitreise erfanden. Oder
kurz davor, Zeitreisen sind verdammt kompliziert. Sie zu
verstehen. Leider nicht sie zu unternehmen, aber unser Farmer hat
es ein für alle Mal geschafft, das zu ändern, weshalb er der
Sieger ist und damit der letzte und einzige Überlebende besagter
Kausalitätskriege. Haha. Natürlich nicht.


Das wars. Keine Rezensionen, das muss man zugeben,
Leseanregungen, aber wenn man mir nach fünfzehn Jahren Studio B
eine Empfehlung im Wert von 4 €, respektive, 10 € nicht mal
unbesehen abnehmen kann, dann kann man auch gleich den
“unsubscribe” Button klicken.


Nein! Nicht! Denn sehr bald werde ich von einem richtigen dicken
Buch berichten, ausgerechnet einem Ökothriller, obwohl ich das
Genre fast so sehr hasse wie Kurzgeschichten und, man glaubt es
kaum, wahrscheinlich sogar von deren zwei und, wenn wir alle noch
ein bisschen durchhalten, gibt es hier in in mittlerer Zukunft
von einem Buch zu berichten, welches noch nicht der Rede wert
ist.


Uh.. Geheimnisvoll.


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