(47) Sigmund Freud »Vergänglichkeit«

(47) Sigmund Freud »Vergänglichkeit«

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Beschreibung

vor 13 Jahren
Vor einiger Zeit machte ich in Gesellschaft eines schweigsamen
Freundes und eines jungen, bereits rühmlich bekannten Dichters
einen Spaziergang durch eine blühende Sommerlandschaft. Der Dichter
bewunderte die Schönheit der Natur um uns, aber ohne sich ihrer zu
erfreuen. Ihn störte der Gedanke, daß all diese Schönheit dem
Vergehen geweiht war, daß sie im Winter dahingeschwunden sein
werde, aber ebenso jede menschliche Schönheit und alles Schöne und
Edle, was Menschen geschaffen haben und schaffen könnten. Alles,
was er sonst geliebt und bewundert hätte, schien ihm entwertet
durch das Schicksal der Vergänglichkeit, zu dem es bestimmt war.
Wir wissen, daß von solcher Versenkung in die Hinfälligkeit alles
Schönen und Vollkommenen zwei verschiedene seelische Regungen
ausgehen können. Die eine führt zu dem schmerzlichen Weltüberdruß
des jungen Dichters, die andere zur Auflehnung gegen die behauptete
Tatsächlichkeit. Nein, es ist unmöglich, daß all diese
Herrlichkeiten der Natur und der Kunst, unserer Empfindungswelt und
der Welt draußen, wirklich in Nichts zergehen sollten. Es wäre zu
unsinnig, und zu frevelhaft daran zu glauben. Sie müssen in irgend
einer Weise fortbestehen können, allen zerstörenden Einflüssen
entrückt. Allein diese Ewigkeitsforderung ist zu deutlich ein
Erfolg unseres Wunschlebens, als daß sie auf einen Realitätswert
Anspruch erheben könnte. Auch das Schmerzliche kann wahr sein. Ich
konnte mich weder entschließen, die allgemeine Vergänglichkeit zu
bestreiten, noch für das Schöne und Vollkommene eine Ausnahme zu
erzwingen. Aber ich bestritt dem pessimistischen Dichter, daß die
Vergänglichkeit des Schönen eine Entwertung desselben mit sich
bringe. Im Gegenteil, eine Wertsteigerung! Der Vergänglichkeitswert
ist ein Seltenheitswert in der Zeit. Die Beschränkung in der
Möglichkeit des Genusses erhöht dessen Kostbarkeit. Ich erklärte es
für unverständlich, wie der Gedanke an die Vergänglichkeit des
Schönen uns die Freude an demselben trüben sollte. Was die
Schönheit der Natur betrifft, so kommt sie nach jeder Zerstörung
durch den Winter im nächsten Jahre wieder, und diese Wiederkehr
darf im Verhältnis zu unserer Lebensdauer als eine ewige bezeichnet
werden. Die Schönheit des menschlichen Körpers und Angesichts sehen
wir innerhalb unseres eigenen Lebens für immer schwinden, aber wenn
es eine Blume giebt, welche nur eine einzige Nacht blüht, so
erscheint uns ihre Blüte darum nicht minder prächtig. Mag eine Zeit
kommen, wenn die Bilder und Statuen, die wir bewundern, zerfallen
sind, oder ein Menschengeschlecht nach uns, welches die Werke
unserer Dichter und Denker nicht mehr versteht, oder selbst eine
geologische Epoche, in der alles Lebende auf der Erde verstummt
ist, der Wert all dieses Schönen und Vollkommenen wird nur durch
seine Bedeutung für unser Empfindungsleben bestimmt. Ich hielt
diese Erwägungen für unanfechtbar, ich bemerkte aber, daß ich dem
Dichter und dem Freunde keinen Eindruck gemacht hatte. Es muß die
seelische Auflehnung gegen die Trauer gewesen sein, welche ihnen
den Genuß des Schönen entwertete. Die Vorstellung, daß dies Schöne
vergänglich sei, gab den beiden Empfindsamen einen Vorgeschmack der
Trauer um seinen Untergang, und da die Seele vor allem
Schmerzlichen instinktiv zurückweicht, fühlten sie ihren Genuß am
Schönen durch den Gedanken an dessen Vergänglichkeit
beeinträchtigt. Dem Psychologen ist die Trauer ein großes Rätse…
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