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30.01.2023
29 Minuten
Massengeselligkeit ist durch die Wucht der Einstimmigkeit für uns
eine Schule der Fehler. Mögen wir auch sonst nichts für unser
Seelenheil tun, die Abgeschiedenheit ist doch an und für sich
schon von Nutzen: wir werden uns bessern, wenn wir vereinzelt
sind. Können wir uns doch beschränken auf den Umgang mit den
trefflichsten Männern und uns ein Muster auserwählen, nach dem
wir uns in unserer Lebensführung richten, eine Möglichkeit, die
uns nur durch die Abgeschiedenheit vom Geschäftsleben gewährt
wird. Nur dann kann man sich das zu eigen machen, was einmal
unseren Beifall gefunden hat, wenn sich niemand dazwischen
schiebt, der unser noch nicht zum festen Grundsatz gewordenes
Urteil unter Beihilfe des großen Haufens in andere Bahnen lenkt;
dann kann das Leben in gleichmäßigem und einheitlichem Zuge
fortschreiten, das wir gemeinhin durch die sich
widersprechendsten Vorsätze in Zwiespalt mit sich bringen; denn
unter den sonstigen Übeln ist dies das schlimmste, daß wir mit
den Fehlern selbst wechseln. ... Dazu achte noch darauf, daß man
nach dem Grundsatz des Chrysippus in Muße leben darf, nicht etwa
nur in dem Sinn, daß man sie nicht abzuweisen brauche, sondern in
dem, daß man sie sich selber erwählt. Wir Stoiker sind weit
entfernt, zu behaupten, der Weise werde sich jedem beliebigen
Staatswesen widmen. Was aber macht es für einen Unterschied, auf
welche Art und Weise der Weise zur Muße gelangt, ob deshalb, weil
sich für ihn kein Staatswesen findet, oder deshalb, weil er
selbst sich nicht in das Staatswesen findet, es müßte denn
allenthalben sich ein wirkliches Gemeinwesen finden? Ein solches
aber wird uns bei scharfen Anforderungen immer fehlen. Ich frage,
welchem Staatwesen sich der Weise widmen soll, dem der Athener,
wo ein Sokrates verurteilt wird, aus dem ein Aristoteles
entfliehen muß, um sich der Verurteilung zu entziehen, wo die
Gehässigkeit aller Tugend den Garaus macht? Du wirst nicht
zugeben, daß der Weise sich einem solchen Staatswesen widmen
werde. Wird sich also der Weise etwa in den Dienst des
Karthager-Staates stellen wollen, wo ewiger Aufruhr herrscht und
der Freiheitssinn jedem Ehrenmann gefährlich wird, wo Recht und
Sittlichkeit nichts gilt, wo gegen Feinde unmenschliche
Grausamkeit und gegen die eigenen Bürger Feindseligkeit herrscht?
Auch diesen Staat wird er meiden. Wollte ich sie alle, einen nach
dem anderen, durchgehen, ich werde keinen finden, der sich den
Weisen oder den der Weise sich gefallen lassen könnte. Findet
sich nun nirgends jener Staat, der unserem Geiste vorschwebt, so
tritt der Fall ein, daß die Muße für alle notwendig wird, weil
sich nirgends dasjenige findet, das vor der Muße den Vorzug
erhalten könnte. Wenn einer behauptet, es sei das Beste, zu
Schiff zu gehen, dann aber die Warnung hinzufügt, man dürfe sich
nicht auf ein Meer begeben, wo Schiffbrüche an der Tagesordnung
und plötzliche Stürme die Regel sind, die dem Steuermann das
Spiel gänzlich verderben, dann, glaube ich, verwehrt er mir die
Anker zu lichten, wenngleich er die Seefahrt preist.
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13.02.2022
19 Minuten
Wie lässt sich Frieden sichern? Nur indem man die Widerstände
ernst nimmt, die sich gegen den Frieden regen, meint der Pazifist
und Philosoph William James. Ursachen des Krieges, so James,
seien nicht nur Gier und Machtlust, sondern auch ethische und
ästhetische Widerstände gegen das vermeintlich zu zahme Leben im
Frieden. Nach militaristischer Auffassung würde eine Gesellschaft
ohne Krieg zum "Lämmerparadies" verkommen; wertvolle kämpferische
Tugenden würden verloren gehen. Dagegen argumentiert James, dass
sich kämpferische Werte wie Härte, Disziplin und Entschlossenheit
auch anderswo ausbilden lassen: im gemeinsamen Kampf gegen die
Naturkräfte und für eine gerechtere Gesellschaft.
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31.01.2022
9 Minuten
Was ich also zu thun habe, damit mein Wollen sittlich gut sei,
dazu brauche ich gar keine weit ausho|lende Scharfsinnigkeit.
Unerfahren in Ansehung des Weltlaufs, unfähig auf alle sich
eräugnende Vorfälle desselben gefaßt zu sein, frage ich mich nur:
Kannst du auch wollen, daß deine Maxime ein allgemeines Gesetz
werde? Wo nicht, so ist sie verwerflich und das zwar nicht um
eines dir oder auch anderen daraus bevorstehenden Nachtheils
willen, sondern weil sie nicht als Princip in eine mögliche
allgemeine Gesetzgebung passen kann; für diese aber zwingt mir
die Vernunft unmittelbare Achtung ab, von der ich zwar jetzt noch
nicht einsehe, worauf sie sich gründe (welches der Philosoph
untersuchen mag), wenigstens aber doch so viel verstehe: daß es
eine Schätzung des Werthes sei, welcher allen Werth dessen, was
durch Neigung angepriesen wird, weit überwiegt, und daß die
Nothwendigkeit meiner Handlungen aus reiner Achtung fürs
praktische Gesetz dasjenige sei, was die Pflicht ausmacht, der
jeder andere Bewegungsgrund weichen muß, weil sie die Bedingung
eines an sich guten Willens ist, dessen Werth über alles geht.
So sind wir denn in der moralischen Erkenntniß der gemeinen
Menschenvernunft bis zu ihrem Princip gelangt, welches sie sich
zwar freilich nicht so in einer allgemeinen Form abgesondert
denkt, aber doch jederzeit wirklich vor Augen hat und zum
Richtmaße ihrer Beurtheilung braucht. Es wäre hier leicht zu
zeigen, wie | sie mit diesem Compasse in der Hand in allen
vorkommenden Fällen sehr gut Bescheid wisse, zu unterscheiden,
was gut, was böse, pflichtmäßig, oder pflichtwidrig sei, wenn
man, ohne sie im mindesten etwas Neues zu lehren, sie nur, wie
Sokrates that, auf ihr eigenes Princip aufmerksam macht, und daß
es also keiner Wissenschaft und Philosophie bedürfe, um zu
wissen, was man zu thun habe, um ehrlich und gut, ja sogar um
weise und tugendhaft zu sein. Das ließe sich auch wohl schon zum
voraus vermuthen, daß die Kenntniß dessen, was zu thun, mithin
auch zu wissen jedem Menschen obliegt, auch jedes, selbst des
gemeinsten Menschen Sache sein werde. Hier kann man es doch nicht
ohne Bewunderung ansehen, wie das praktische
Beurtheilungsvermögen vor dem theoretischen im gemeinen
Menschenverstande so gar viel voraus habe. In dem letzteren, wenn
die gemeine Vernunft es wagt, von den Erfahrungsgesetzen und den
Wahrnehmungen der Sinne abzugehen, geräth sie in lauter
Unbegreiflichkeiten und Widersprüche mit sich selbst, wenigstens
in ein Chaos von Ungewißheit, Dunkelheit und Unbestand. Im
praktischen aber fängt die Beurtheilungskraft dann eben allererst
an, sich recht vortheilhaft zu zeigen, wenn der gemeine Verstand
alle sinnliche Triebfedern von praktischen Gesetzen ausschließt.
Er wird alsdann sogar subtil, es mag sein, daß er mit seinem
Gewissen oder anderen Ansprüchen in Beziehung auf das, was recht
heißen soll, chicaniren, oder | auch den Werth der Handlungen zu
seiner eigenen Belehrung aufrichtig bestimmen will, und was das
meiste ist, er kann im letzteren Falle sich eben so gut Hoffnung
machen, es recht zu treffen, als es sich immer ein Philosoph
versprechen mag, ja ist beinahe noch sicherer hierin, als selbst
der letztere, weil dieser doch kein anderes Princip als jener
haben, sein Urtheil aber durch eine Menge fremder, nicht zur
Sache gehöriger Erwägungen leicht verwirren und von der geraden
Richtung abweichend machen kann. Wäre es demnach nicht rathsamer,
es in moralischen Dingen bei dem gemeinen Vernunfturtheil
bewenden zu lassen und höchstens nur Philosophie anzubringen, um
das System der Sitten desto vollständiger und faßlicher,
imgleichen die Regeln derselben zum Gebrauche (noch mehr aber zum
Disputiren) bequemer darzustellen, nicht aber um selbst in
praktischer Absicht den gemeinen Menschenverstand von seiner
glücklichen Einfalt abzubringen und ihn durch Philosophie auf
einen neuen Weg der Untersuchung und Belehrung zu bringen? ...
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19.01.2022
14 Minuten
Der zweite Satz ist: eine Handlung aus Pflicht hat ihren
moralischen Werth nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht
werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen
wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der
Handlung ab, sondern blos von dem Princip des Wollens, nach
welchem die Handlung unangesehen aller Gegenstände des
Begehrungsvermögens geschehen ist. Daß die Absichten, die wir bei
Handlungen haben mögen, und ihre Wirkungen, als Zwecke und
Triebfedern des Willens, den Handlungen keinen unbedingten und
moralischen Werth ertheilen können, ist aus dem vorigen klar.
Worin kann also dieser Werth liegen, wenn er nicht im | Willen in
Beziehung auf deren verhoffte Wirkung bestehen soll? Er kann
nirgend anders liegen, als im Princip des Willens unangesehen der
Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden können; denn der
Wille ist mitten inne zwischen seinem Princip a priori, welches
formell ist, und zwischen seiner Triebfeder a posteriori, welche
materiell ist, gleichsam auf einem Scheidewege, und da er doch
irgend wodurch muß bestimmt werden, so wird er durch das formelle
Princip des Wollens überhaupt bestimmt werden müssen, wenn eine
Handlung aus Pflicht geschieht, da ihm alles materielle Princip
entzogen worden.
Den dritten Satz als Folgerung aus beiden vorigen würde ich so
ausdrücken: Pflicht ist die Nothwendigkeit einer Handlung aus
Achtung fürs Gesetz. Zum Objecte als Wirkung meiner vorhabenden
Handlung kann ich zwar Neigung haben, aber niemals Achtung, eben
darum weil sie bloß eine Wirkung und nicht Thätigkeit eines
Willens ist. Eben so kann ich für Neigung überhaupt, sie mag nun
meine oder eines andern seine sein, nicht Achtung haben, ich kann
sie höchstens im ersten Falle billigen, im zweiten bisweilen
selbst lieben, d.i. sie als meinem eigenen Vortheile günstig
ansehen. Nur das, was bloß als Grund, niemals aber als Wirkung
mit meinem Willen verknüpft ist, was nicht meiner Neigung dient,
sondern sie überwiegt, wenigstens diese von deren Überschlage |
bei der Wahl ganz ausschließt, mithin das bloße Gesetz für sich
kann ein Gegenstand der Achtung und hiemit ein Gebot sein. Nun
soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung und mit
ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt
nichts für den Willen übrig, was ihn bestimmen könne, als
objectiv das Gesetz und subjectiv reine Achtung für dieses
praktische Gesetz, mithin die Maxime*, einem solchen Gesetze
selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu leisten.
Es liegt also der moralische Werth der Handlung nicht in der
Wirkung, die daraus erwartet wird, also auch nicht in irgend
einem Princip der Handlung, welches seinen Bewegungsgrund von
dieser erwarteten Wirkung zu entlehnen bedarf. Denn alle diese
Wirkungen (Annehmlichkeit seines Zustandes, ja gar Beförderung
fremder Glückseligkeit) konnten auch durch andere Ursachen zu
Stande gebracht werden, und es brauchte also dazu nicht des
Willens eines vernünftigen Wesens, worin gleichwohl das höchste
und unbedingte Gute allein angetroffen werden kann. Es kann daher
nichts anders als die Vorstellung des Gesetzes an sich selbst,
die | freilich nur im vernünftigen Wesen stattfindet, so fern
sie, nicht aber die verhoffte Wirkung der Bestimmungsgrund des
Willens ist, das so vorzügliche Gute, welches wir sittlich
nennen, ausmachen, welches in der Person selbst schon gegenwärtig
ist, die darnach handelt, nicht aber allererst aus der Wirkung
erwartet werden darf.
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09.01.2022
9 Minuten
Ich übergehe hier alle Handlungen, die schon als pflichtwidrig
erkannt werden, ob sie gleich in dieser oder jener Absicht
nützlich sein mögen; denn bei denen ist gar nicht einmal die
Frage, ob sie aus Pflicht geschehen sein mögen, da sie dieser
sogar widerstreiten. Ich setze auch die Handlungen bei Seite, die
wirklich pflichtmäßig sind, zu denen aber Menschen unmittelbar
keine Neigung haben, sie aber dennoch ausüben, weil sie durch
eine andere Neigung dazu getrieben werden. Denn | da läßt sich
leicht unterscheiden, ob die pflichtmäßige Handlung aus Pflicht
oder aus selbstsüchtiger Absicht geschehen sei. Weit schwerer ist
dieser Unterschied zu bemerken, wo die Handlung pflichtmäßig ist
und das Subject noch überdem unmittelbare Neigung zu ihr hat.
Z.B. es ist allerdings pflichtmäßig, daß der Krämer seinen
unerfahrnen Käufer nicht übertheure, und, wo viel Verkehr ist,
thut dieses auch der kluge Kaufmann nicht, sondern hält einen
festgesetzten allgemeinen Preis für jedermann, so daß ein Kind
eben so gut bei ihm kauft, als jeder andere. Man wird also
ehrlich bedient; allein das ist lange nicht genug, um deswegen zu
glauben, der Kaufmann habe aus Pflicht und Grundsätzen der
Ehrlichkeit so verfahren; sein Vortheil erforderte es; daß er
aber überdem noch eine unmittelbare Neigung zu den Käufern haben
sollte, um gleichsam aus Liebe keinem vor dem andern im Preise
den Vorzug zu geben, läßt sich hier nicht annehmen. Also war die
Handlung weder aus Pflicht, noch aus unmittelbarer Neigung,
sondern bloß in eigennütziger Absicht geschehen.
Dagegen sein Leben zu erhalten, ist Pflicht, und überdem hat
jedermann dazu noch eine unmittelbare Neigung. Aber um deswillen
hat die oft ängstliche Sorgfalt, die der größte Theil der
Menschen dafür trägt, doch keinen innern Werth und die Maxime
derselben keinen moralischen |IV398 Gehalt. Sie bewahren ihr
Leben zwar pflicht|mäßig aber nicht aus Pflicht. Dagegen wenn
Widerwärtigkeiten und hoffnungsloser Gram den Geschmack am Leben
gänzlich weggenommen haben; wenn der Unglückliche, stark an
Seele, über sein Schicksal mehr entrüstet als kleinmüthig oder
niedergeschlagen, den Tod wünscht und sein Leben doch erhält,
ohne es zu lieben, nicht aus Neigung oder Furcht, sondern aus
Pflicht: alsdann hat seine Maxime einen moralischen Gehalt.
Wohlthätig sein, wo man kann, ist Pflicht, und überdem giebt es
manche so theilnehmend gestimmte Seelen, daß sie auch ohne einen
andern Bewegungsgrund der Eitelkeit oder des Eigennutzes ein
inneres Vergnügen daran finden, Freude um sich zu verbreiten, und
die sich an der Zufriedenheit anderer, so fern sie ihr Werk ist,
ergötzen können. Aber ich behaupte, daß in solchem Falle
dergleichen Handlung, so pflichtmäßig, so liebenswürdig sie auch
ist, dennoch keinen wahren sittlichen Werth habe, sondern mit
andern Neigungen zu gleichen Paaren gehe, z. E. der Neigung nach
Ehre, die, wenn sie glücklicherweise auf das trifft, was in der
That gemeinnützig und pflichtmäßig, mithin ehrenwerth ist, Lob
und Aufmunterung, aber nicht Hochschätzung verdient; denn der
Maxime fehlt der sittliche Gehalt, nämlich solche Handlungen
nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht zu thun. Gesetzt also, das
Gemüth jenes Menschenfreundes wäre vom eigenen Gram umwölkt, der
alle | Theilnehmung an anderer Schicksal auslöscht, er hätte
immer noch Vermögen, andern Nothleidenden wohlzuthun, aber fremde
Noth rührte ihn nicht, weil er mit seiner eigenen gnug
beschäftigt ist, und nun, da keine Neigung ihn mehr dazu anreizt,
risse er sich doch aus dieser tödtlichen Unempfindlichkeit heraus
und thäte die Handlung ohne alle Neigung, lediglich aus Pflicht,
alsdann hat sie allererst ihren ächten moralischen Werth.
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