Folge 3 - Diese Besen kehren besser

Folge 3 - Diese Besen kehren besser

5 Minuten

Beschreibung

vor 2 Tagen

Es ist eine Geschichte, wie erfunden von hyperaktiven
PR-Beratern, allerdings mit dem Vorzug, wahr zu sein. Cem Özdemir
suchte eine Unterkunft in Stuttgart, weil er immer öfter aus
Berlin in seinen Wahlkreis pendelte. Fündig wurde er in der WG
eines Freundes in einem Quartier von moderner schwäbischer
Urbanität in der Hauptstadt jenes drittgrößten der sechzehn
Bundesländer, in dem er noch so einiges vorhat. Es gibt Cafés,
Kneipen, einen türkischen Lebensmittelmarkt mit Metzgerei und die
ehrwürdige Zahnradbahn. Sie fährt aus dem Talkessel über die
berühmte Halbhöhenlage hinauf nach Degerloch, fast bis zum ersten
Fernsehturm der Welt.


Im Treppenhaus seiner Bleibe waren die Spinnweben nicht zu
übersehen. Ganz im Gegenteil: Jedes Mal, wenn er aus der
Bundeshauptstadt wiederkam, war die Staubschicht dicker. Über die
strengen Putzregeln in den Mehrfamilienhäusern der angeblichen
schwäbischen Provinz haben sich Generationen von Kabarettisten
lustig gemacht. An der Universität Tübingen wurde ihre Bedeutung
für den Nationalcharakter sogar wissenschaftlich
herausgearbeitet. Die Kehrpflicht der deutschen Fürsten
besungenen Eberhard im Barte. Gut fünfhundert Jahre später wurde
in Stuttgart aus dem allwöchentlichen Brauch eine locker
gehandhabte Bei-Bedarf-Vorschrift.


Özdemir wollte wissen, wie es denn so steht ums wöchentliche
Großreinemachen. Die Zusammensetzung im Haus hatte sich im Laufe
der Zeit geändert. Die Jüngeren konnten mit der Tradition nichts
anfangen. Mit jedem neuen Bewohner aber, der ihr den Rücken
kehrte, stellten sich die Älteren die Frage, warum sie als
einzige noch kehren sollten. Es kam, wie es kommen musste: Bald
putzte niemand mehr. Und das Kehrwochenschild war auch
verschwunden.

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