Folge 2 - Wie ein Flug zum Mond
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vor 3 Tagen
Der Zirkel der in Marbach Geehrten war ein illustrer, angeführt
vom früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der seine
Einladung zur alljährlichen Schiller-Rede an den Neckar als Ehre
empfand, „von der ich niemals geträumt habe“. Cem Özdemir, das
Arbeiterkind aus Bad Urach ging noch weiter: „Ich stehe hier
nicht als Einzelperson vor Ihnen, sondern als einer von vielen
Menschen in diesem Land, bei deren Geburt eine Einladung als
Schiller-Redner ungefähr genauso denkbar war wie ein Flug zum
Mond. Wobei die bemannte Raumfahrt durchaus Thema bei uns zu
Hause war, Friedrich Schiller dagegen war es nicht.“ Er sprach
über den in Marbach geborenen Dichter als „großen politischen
Denker“, über den Schwaben „so wie ich“ und schlug den Bogen zu
den Schillers von heute. In vielen Ländern erfordere es nicht nur
große Kreativität, sondern großen Mut, Dichter und Denker zu
werden und seine Ge-danken in die Öffentlichkeit zu tragen. Laut
Reporter ohne Grenzen seien allein in den ersten Monaten des
Jahres 2019 schon 47 Medienschaffende weltweit getötet worden.Der
andere Schwabe mit den türkischen Eltern berichtete von einem
Zusammentreffen mit Recep Tayyip Erdoğan einige Monate zuvor.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zum abendlichen
Bankett auf Schloss Bellevue geladen und Özdemir lange darüber
gegrübelt, wie er dem Gast begegnen sollte. Schließlich griff er
zu Schillers Tragödie „Don Karlos“ mit dem berühmten „Sire, geben
Sie Gedankenfreiheit!“. Heute seien damit der türkische
Staatspräsident sowie Orban und Donald Trump gemeint, sagt er,
„und ihr oberster Boss nennt sich Putin.“ „Sire, geben Sie
Gedankenfreiheit“ stand in türkisch auf einem Button geworden,
den er trug. Leider sei es ihm nicht vergönnt gewesen, nach dem
Dinner mit Erdoğan über Schiller zu sprechen, erzählte er später
in der Gewissheit, dass dieser Satz seiner Rede dem Adressaten
nicht entgangen war. Die Fernsehbilder vom Defilee zeigen
jedenfalls, wie zögerlich der Präsident sein Gegenüber ansieht,
ehe er doch die zum Gruß ausgestreckte Hand ergreift.
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