FG056 - Feindbild Jesuiten
2 Stunden 18 Minuten
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Beschreibung
vor 4 Monaten
In der letzten Folge haben wir uns mit den Licht- und
Schattenseiten der Aufklärung beschäftigt – ihrer Suche nach
Wahrheit, ihrem Hang zur Kontrolle, ihren Feindbildern. In dieser
Folge knüpfen wir daran an: Wir schauen auf einen Gegner der
Aufklärer, der für viele zur idealen Projektionsfläche wurde –
die Gesellschaft Jesu, besser bekannt als
die Jesuiten.
Ein Verbot mit Signalwirkung: Clemens XIV. hebt den Orden
auf
1773 war Schluss. Papst Clemens XIV. hob den
Jesuitenorden mit der Bulle Dominus ac Redemptor offiziell auf –
ein beispielloser Akt der Selbstbeschneidung kirchlicher Macht.
In der Bulle werden schwere Vorwürfe gegen den Orden erhoben:
Intrigen, Machtmissbrauch, politische Einmischung,
Überheblichkeit und Habgier. Wir gehen diese Punkte Schritt für
Schritt durch, fragen nach den konkreten Hintergründen – und
zeigen, warum der Papst kaum noch eine Wahl hatte, als der Druck
von fast allen katholischen Höfen Europas auf Rom wuchs.
Der Anfang: Ignatius von Loyola und die Gründung der
Gesellschaft Jesu
Um das Misstrauen zu verstehen, müssen wir ganz an den Anfang
zurück: Ignatius von Loyola, baskischer Edelmann
und Ex-Söldner, gründete 1540 mit einer kleinen Gruppe
Gleichgesinnter den Orden der Societas Jesu.
Dabei sind die Jesuiten kein Orden im eigentlichen Sinne, sondern
eine Gemeinschaft von Weltpriestern, die einer gemeinsamen Regel
folgen. Ihre Zahl stieg schnell an und die Jesuiten entwickelten
sich rasant zu einer internationalen Gesllschaft. Wir
rekonstruieren die geistigen Grundlagen, das militärisch geprägte
Selbstverständnis und die enge Bindung an den Papst – die für
viele schon damals verdächtig wirkten.
Eliteprojekt mit globalem Netzwerk: Die Macht der
Jesuiten
Der Erfolg des Ordens war atemberaubend: Jesuiten betrieben im
17. Jahrhundert Hunderte Schulen und Universitäten in Europa und
Übersee, sie begleiteten Könige als Beichtväter, standen an der
Spitze diplomatischer Missionen, leiteten wissenschaftliche
Projekte und wirkten als kulturelle Mittler zwischen Kontinenten.
Doch mit der wachsenden Macht wuchs auch die Feindschaft – gerade
von jenen, die sich vom Einfluss der Jesuiten bedroht fühlten:
dem weltlichen Klerus, adeligen Bildungsreformern,
philosophischen Aufklärern.
Frankreich als Konfliktherd: Jansenismus, Gallikanismus,
Antijesuitismus
Besonders scharf wurde der Konflikt in
Frankreich. Hier trafen die Jesuiten auf einen
ideologischen Gegner, der ihnen auf Augenhöhe entgegentreten
konnte: den Jansenismus – eine
theologisch-strenge Richtung, die Gnade und Prädestination
betonte und für ihre moralische Strenge bekannt war. Jesuiten und
Jansenisten lieferten sich erbitterte Auseinandersetzungen, die
bald über den theologischen Rahmen hinauswuchsen. Der bekannte
Mathematiker Blaise Pascal gab seiner antijesuitischen Haltung
Ausdruck in seinem Werk Briefe in die Provinz. Dazu kam der
Gallikanismus, also die Forderung nach mehr
Unabhängigkeit der französischen Kirche von Rom – was den
Jesuiten, als Papsttreue par excellence, doppelt verdächtig
machte. Besonders wirkmächtig wurde ein Buch, das die angeblichen
geheimen Anweisungen des Generaloberen an die Mitglieder der
Gesellschaft Jesu enthielt. Diese Monita Secreta stellten die
Jesuiten als machthungrige und habgierige Organisation dar. Das
anonyme Machwerk entfaltete zu Beginn des 19. Jahrhunderts seinen
größten Einfluss.
Geheime Macht: Nikolai, Knigge und das Bild des
„Schwarzen Ordens“
Im 18. Jahrhundert waren es dann die Aufklärer, die den Ton
angaben – und die Jesuiten - nach dem erfolgten Verbot der
Gesellschaft - zu einem Symbol für Fanatismus und dunkle Macht
machten. Insbesondere Friedrich Nicolai
stilisierte den Orden zu einer Art katholischem Deep State. In
ihrer Vorstellung zogen Jesuiten im Verborgenen die Fäden,
verhinderten Fortschritt, unterdrückten Vernunft – und
manipulierten die Massen. Der Antijesuitismus wurde zur
literarischen wie politischen Waffe.
Weltweit im Einsatz: Missionen in China und
Südamerika
Dabei agierten die Jesuiten nicht nur in Europa: Ihre Missionare
wirkten in Südamerika – etwa in den sogenannten
Reduktionen in Paraguay, wo sie eigenständige
Gemeinschaften mit indigener Selbstverwaltung aufbauten – und in
China, wo sie am Kaiserhof astronomische und
mathematische Kenntnisse vermittelten. Diese Missionspraxis stieß
allerdings auf Widerstand in Rom: Der sogenannte
Ritenstreit drehte sich um die Frage, ob
beispielsweise chinesische Ahnenkulte mit dem Christentum
vereinbar seien. Die Jesuiten waren für kulturelle Anpassung –
der Vatikan sagte Nein. In diesem Konflikt zwischen religiösem
Dogma und kultureller Öffnung gerieten die Jesuiten nun auch
innerkirchlich verstärkt unter Druck.
Die Gegner formieren sich: Pombal, Choiseul und der Weg
zum Verbot
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts spitzte sich der
politische Druck auf den Orden zu. In Portugal
war es der radikale Reformer Marquês de Pombal,
in Frankreich Außenminister
Étienne-François de Choiseul, die mit Nachdruck
die Vertreibung der Jesuiten betrieben. Beide nutzten einzelne
Skandale, etwa die angebliche Verwicklung in Verschwörungen oder
wirtschaftliche Streitigkeiten, um ein umfassendes Verbot
durchzusetzen. 1764 wurden sie in Frankreich verboten, bereits
1759 in Portugal. Spanien und Neapel folgten und setzten Rom
unter Zugzwang.
1773 – Das Ende und der Anfang des Mythos
Mit dem Verbot 1773 verschwand der Orden offiziell – doch sein
Bild blieb. Und es verwandelte sich: in ein
Verschwörungsnarrativ, das erstaunlich modern
anmutet. Jesuiten wurden nun als geheime Drahtzieher, als
„unsichtbare Internationale“, als Gegner der Freiheit gezeichnet.
Friedrich Nicolai dichtete ihnen Einfluss bis in
die Französische Revolution hinein an. Die Form dieser Kritik –
antielitär, kirchenkritisch, häufig antisemitisch aufgeladen –
lebt in vielen späteren Erzählungen weiter, bis ins 20.
Jahrhundert.
Die Jesuiten sind längst rehabilitiert und wieder weltweit aktiv.
Doch die alten Mythen haben überlebt – in Literatur,
Verschwörungstheorien und kirchenkritischen Diskursen. Warum?
Vielleicht, weil der Orden immer ein Spiegel war: für Ängste vor
Macht, vor Bildungseliten, vor dem Fremden. Und weil er selbst
nie ganz unschuldig daran war, dass man ihm so viel
zutraute.
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