#264 Marina Weisband – Echte Bildung!

#264 Marina Weisband – Echte Bildung!

50 Minuten

Beschreibung

vor 5 Monaten

Wir scheitern als Gesellschaft im Großen, wenn wir das Kleine
verlernen. Wenn die Welt zu zerfallen scheint, liegt die Rettung,
Hoffnung und Selbstwirksamkeit eben nicht in der globalen Politik
oder in Demonstrationen zu Millionen, sondern beginnen in
Nachbarschaften, Vereinen und persönlichen Beziehungen, sagt
Marina Weisband, Psychologin, Publizistin und
Beteiligungspädagogin im Gespräch mit Michael. Dort, wo wir
tatsächlich noch Einfluss spüren und gestalten können, entsteht
die Basis für gesellschaftliche Resilienz – nicht auf der
internationalen Bühne, sondern im Mikrokosmos vor der eigenen
Haustür.


Es zeigt sich in der Bildung: Marina beschreibt diese
Beteiligungspädagogik als bewussten Gegenentwurf zum System, das
von Kindern vor allem Anpassung und das Erfüllen von Erwartungen
verlangt. Schule, so Marina, ist in der Regel kein Ort der
Persönlichkeitsentwicklung und der Demokratie. Tatsächlich sei
das Schulsystem weiterhin vom preußischen Modell geprägt: Es
erzieht zum perfekten Arbeiter, nicht zum mündigen Bürger. Die
wichtigsten Kompetenzen – Kollaboration, Kreativität,
Kommunikation und kritisches Denken – sind im System sogar oft
unerwünscht oder werden bestraft. Schule bewertet Leistung daran,
wie perfekt Erwartungen erfüllt werden, und nicht daran, wie ein
Mensch sich entwickelt. Daraus entsteht eine „erlernte
Hilflosigkeit“: Schüler gewöhnen sich daran, dass ihre eigenen
Bemühungen wenig bewirken – und denken sich entsprechend klein.


Besonders plastisch wird Marina, wenn sie beschreibt, wie Schulen
zwar permanent gefordert sind, Kinder für Berufe vorzubereiten,
die es noch gar nicht gibt, tatsächlich aber immer stärker auf
reine Ausbildung und Vergleichbarkeit setzen. Das aber, sagt sie,
ist der falsche Weg: Bildung darf nicht im Erfüllen von
Prüfungen, Curricula und Noten erschöpfen. Was Kinder wirklich
brauchen, ist die Entwicklung ihrer Persönlichkeit – das Erkunden
der eigenen Neugier, das Lernen im sozialen Kontext und das
Erfahren von Selbstwirksamkeit.


Auch die Digitalisierung – und neuerdings KI – ändert an diesen
Grundproblemen wenig, solange Schule nicht ihre Aufgabe
grundlegend neu denkt. KI zwingt lediglich dazu, Hausaufgaben neu
zu gestalten, wirklich gefährlich wird sie, wenn sie das Denken
und Formulieren vollständig übernimmt. Die Schule müsse daher
dringend Räume schaffen, in denen echtes gemeinsames Lernen
möglich ist, jenseits von starren Fächern und Prüfungsdruck.


Es ist das Erlernen von Kleinmut, das uns lähmt – und das wir
verlernen müssen. Mut, das eigene Umfeld zu gestalten, entsteht
im Praktischen, im Nahen, im Gemeinsamen. Wer verlernt, groß zu
denken, bleibt beim Wunsch nach mehr Klopapier auf der
Schultoilette stehen – aber auch das kann der erste Schritt zu
echter Veränderung sein, wenn daraus Erfahrung von Wirksamkeit
wächst.


Im Zeitalter von KI und digitaler Disruption stellt Marina die
entscheidende Frage: Welche Gesellschaft wollen wir? Was bleibt
unser menschlicher Kern, wenn wir Routine an Maschinen auslagern?
Die Antwort liegt nicht in weiterer Standardisierung und
Kontrolle, sondern im Vertrauen auf die Fähigkeit, sich immer
wieder selbst und gemeinsam zu erneuern. Das Große entsteht aus
dem Kleinen, und jede Hoffnung beginnt in der gelebten
Nähe. 


Das von Marina genannte Buch ist Wie wäre es, gebildet zu sein?
von Pieter Bieri. Die Podcastfolgen, über die Marina und Michael
sprechen, sind diese: Micha Pallesche – Was bedeutet Zukunft für
Schule? und

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