#53: Irland: Pilotprojekt Grundeinkommen für die Künste
18 Minuten
Podcast
Podcaster
Beschreibung
vor 10 Monaten
Im Rahmen des Pilotprojekts Grundeinkommen für die Künste, das
über einen Zeitraum von drei Jahren (2022-2025) läuft, wird ein
Grundeinkommen von 325 € pro Woche (rd. 1.300 Euro mtl.) an 2000
zufällig ausgewählte Künstler:innen und Beschäftigte im
Kunstsektor gezahlt. Das übergreifende Ziel des Programms ist es,
die Einkommensschwankungen auszugleichen, die mit der
unregelmäßigen, periodischen und oft projektbezogenen Arbeit in
der Kunst verbunden sind. Im Rahmen des Programms soll untersucht
werden, wie sich die Sicherheit eines Grundeinkommens auf das
Leben und die kreative Praxis von Künstler:innen und
Kunstschaffenden auswirkt.
Das Experiment wird von der irischen Regierung finanziert (25 Mio
Euro) und von UBI Lab Network, UBI Lab Leeds, UBI Lab Arts und
Basic Income Ireland organisatorisch unterstützt. Für
evidenzbasierte Forschung gibt es auch eine Kontrollgruppe, die
kein BGE ausbezahlt bekommt.
Was sind die Rahmenbedingungen in
Irland?
Das durchschnittliche Jahreseinkommen in 2023 betrug 53.978 Euro
(rd. 4.500 Euro monatlich). Die Armutsgrenze wird mit 60 % des
verfügbaren Median-Äquivalenzeinkommens der Gesellschaft
angegeben (rd. 2.700 Euro mtl.). 2022 waren 12% der Iren und
Irinnen armutsgefährdet (vgl. Österreich 17,5% im selben Jahr).
Wohnen ist einer der teuersten Faktoren in Irland, bei
voraussichtlich weiter steigenden Immobilienpreisen.
Das Gesundheitssystem ist grundsätzlich für alle zugänglich und
wird öffentlich finanziert. Allerdings müssen die meisten
Arztkosten selbst getragen werden, es sei denn, es handelt sich
um einen Notfall. Abhängig vom Einkommen werden bestimmte Kosten
von der öffentlichen Hand getragen. Eine "Medical Card"
(Gesundheitskarte) befreit Menschen mit sehr geringem oder keinem
Einkommen von den Kosten.
Das Spannende an dem Irischen BGE-Projekt ist, dass es während
der gesamten Laufzeit alle sechs Monate eine öffentliche
Zwischenbilanz gibt. In Zoom-Meetings werden Forschungsergebnisse
präsentiert, es kommen alle Beteiligten Organisationen zu Wort
und es gibt immer auch Berichte von Teilnehmer:innen aus ihrer
ganz persönlichen Sicht; sowohl von BGE-Emfpänger:innen als auch
aus der Kontrollgruppe. Das letzte Meeting vom 4. Dezember 2024
kann zum jetzigen Zeitpunkt (Anfang 2025) noch nicht nachgesehen
werden, aber hier sind einige
Ergebnisse des 4. Meetings, das im Juni 2024
stattfand:
· Die Empfänger:innen des BGE
arbeiteten 5 Stunden in der Woche mehr an ihren Werken bzw.
fanden mehr Zeit zu üben. Der Anteil der Freizeit stieg um 0,9
Stunden die Woche.
· 31% der BGE-Empfänger:innen gaben
an, von ihrer Arbeit leben zu können, in der Kontrollgruppe waren
dies nur etwas mehr als 23%.
· Ebenso war die Lebenszufriedenheit
in der Kontrollgruppe signifikant geringer als bei ihren
Kolleg:innen mit BGE.
· 79% der Bezieher:innen konnten bis
zu diesem Zeitpunkt ein neues Werk fertig stellen, die
Kontrollgruppe finalisierte zu 70%.
Die im Meeting teilnehmenden Künstler:innen kommentierten diese
Zahlen aus ihrer persönlichen Sicht und Situation. Alisha macht
sich bereits Gedanken darüber, was sie macht, wenn das Experiment
vorbei sein wird und überlegt sich Strategien für ihre weitere
künstlerische Arbeit. „Ein Luxus, den wir uns sonst nicht
leisten, weil es wichtiger ist, seine Arbeiten rasch in die
Öffentlichkeit zu bringen.“
Shane, ein Mitglied der Kontrollgruppe, spricht darüber, dass
manche Fragen der begleitenden Forschung nicht auf ihn zutreffen.
Z.B.: „Kannst du dir Fleischmahlzeiten leisten?“ Er isst seit
Jahren kein Fleisch und kann daher die Fragen nicht beantworten.
Genauso wie die Frage nach dem Kauf von neuen Kleidern. Shane hat
sich diesem Konsumzwang schon lange entzogen. Hier sehen wir auch
ganz deutlich, wie unterschiedlich die Bedürfnisse und
Herangehensweisen der Menschen sind und wie komplex daher
bedarfsorientierte Unterstützungen sind bzw. sein
müssten.
Das BGE wird allen Individuen die Freiheit geben, es so zu
verwenden, wie sie es für richtig erachten. Shane wird es
wahrscheinlich anders nutzen als seine Rolle als Konsument
auszubauen. An diesem Beispiel sieht man deutlich, dass das
kritische Argument des Anstieg des Konsums durch das BGE nicht
zwingend sein wird.
Bürokratischer Förderdschungel auch in
Irland
Es gibt in Irland auch Förderungen für Künstler:innen, diese sind
jedoch projektbezogen, sehr kompetitiv und kompliziert
anzufordern. Hier gibt es eine große Hürde für viele, überhaupt
die Anträge auszufüllen. „Ich verwende meine Zeit lieber für
meine Arbeit, als dass ich endlose Formulare ausfülle und ohnehin
nur eine kleine Chance habe, die Förderung zu bekommen“, meint
einer der Künstler in der Diskussion. Er dachte auch darüber
nach, dass hier möglicherweise viel Geld liegen bleibt, das ja
auch in die Finanzierung eines BGE einfließen könnte.
Auch wenn das Experiment nun schon in seine letzte Phase eintritt
und im Oktober diesen Jahres möglicherweise unter einer neuen
Regierung enden wird: es ist abgesichert, dass es bis zu seinem
Ende laufen wird. Wir dürfen gespannt sein auf die
Ergebnisse.
BGE braucht Story-telling
Es wurde in der Diskussion auch immer wieder betont, wie wichtig
es ist, dass das BGE auch öffentlich thematisiert wird. Dafür
sind Ergebnisse in Zahlen weniger wichtig, als Geschichten, die
erzählt werden können. Mir fällt zum Thema Künstler und Förderung
von Talenten folgende Geschichte mit Österreichbezug ein:
Toni Stricker (1930-2022), der berühmte Geiger und Komponist, war
von 1968-1974 Konzertmeister am Theater an der Wien. In einem
Interview sagte er einmal, dass er niemals diese fulminante
Karriere als Musiker und Komponist hätte machen können, wenn er
in diesen Jahren nicht ein gesichertes Einkommen gehabt hätte.
Österreich, der großen Kunstnation, wäre ein großer Musiker
entgangen. Wir werden nie erfahren, welche Talente wir als
Gesellschaft schon verschwendet haben, weil sie sich der
Existenzsicherung widmen mussten, statt dass ihre Talente weiter
entwickeln konnten.
Links:
Basic Income Ireland
UBI Lab Arts
Informationsseite der Irischen Regierung
Basic Income for the Arts: Bericht über die öffentliche Anhörung,
März 2022 (Forschungsmodell)
Weitere Episoden
4 Minuten
vor 1 Woche
7 Minuten
vor 3 Wochen
15 Minuten
vor 3 Wochen
12 Minuten
vor 1 Monat
In Podcasts werben
Kommentare (0)