Hohe Hürden, große Chancen: Wie weltoffen ist Syriens neue Führung wirklich?
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vor 10 Monaten
Gut ein Monat ist seit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien
vergangen: Der neue starke Mann im Land ist Ahmed al-Scharaa von
der HTS-Miliz. Er formiert eine Übergangsregierung und empfängt
internationale Politiker. Seinen früheren islamistischen
Kampfnamen hat er abgelegt. Die Herausforderungen, die auf ihn
warten, sind riesig.
Ein staatliches Gewaltmonopol herzustellen, ist "eine gigantische
Aufgabe in einem Land, das 13 Jahre brutalsten Krieg erlebt hat",
fasst es Nahost-Experte Carsten Wieland im Podcast "Wirtschaft
Welt & Weit" zusammen. Die Zerstörung ist groß, ebenso die
Polarisierung. Wieland bezeichnet Syrien als "Mosaik
verschiedener Religionen, Ethnien und Weltanschauungen". Das
müsse sich im Regierungshandeln widerspiegeln, sagt Wieland. Und
dieser Test ist "noch nicht bestanden".
Raus aus dem Kampf, rauf aufs politische Parkett: Wie glaubwürdig
kann das sein? Das ist die erste Frage, der sich Ahmed al-Scharaa
stellen muss und die erst mit der Zeit zu beantworten sein wird.
Wieland sieht durchaus "richtige Signale" gegenüber ethnischen
und religiösen Minderheiten, die Zukunft Syriens mitzugestalten.
Rachefeldzüge nach dem Sturz Assads seien ausgeblieben, auch der
Staatsapparat sei nicht verfolgt worden.
Doch die Störfaktoren sind groß: Zum einen versuchen verbliebene
Assad-Anhänger die Lage zu destabilisieren, zum anderen möchten
radikale Islamisten ihre Positionen durchsetzen. Ahmed al-Scharaa
wird sich daran messen lassen müssen, wie er damit umgeht: "Jetzt
muss er das Gewaltmonopol gegenüber denjenigen durchsetzen, die
in seiner Koalition und Bewegung sind", sagt Wieland. Die
Ernennung eines Hardcore-Islamisten als Justizminister sei auch
in Syrien auf Kritik gestoßen. Bleibt zu beobachten, ob Ahmed
al-Scharaa an ihm festhält oder seine Personalentscheidung
angesichts der Proteste korrigiert.
Die deutsche Position zur Beteiligung von Minderheiten und auch
zu Frauenrechten ist in Damaskus jedenfalls bekannt:
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihr französischer
Amtskollege Jean-Noël Barrot haben sie persönlich kundgetan. Bei
der Betrachtung ihres Syrien-Besuchs zählt für Wieland übrigens
der Inhalt mehr als die Frage nach einem Handschlag für die
deutsche Außenministerin: Seiner Ansicht nach hat Deutschland
einiges an Expertise zu bieten - bei der Aufarbeitung von
Kriegsverbrechen und in wirtschaftlicher Hinsicht.
International wirken die syrischen Machthaber aktuell offener,
als es manch einer erwartet hat. "Es ist klar herauszulesen, dass
sie momentan keinen Konflikt haben möchten", sagt Wieland. "Auch
nicht zu Israel", fügt er hinzu. Gibt es vielleicht sogar eine
Chance, dass sich das Verhältnis zwischen Syrien und Israel
verbessert? Für Wieland kommt es auch darauf an, wie sich die
israelische Regierung zu Syrien positioniert. Im besten Fall
könnte "ein neues Kapitel der Nachbarschaft zu Syrien"
aufgeschlagen werden.
Der Nahost-Experte Carsten Wieland ist ehemaliger Berater dreier
UN-Sonderbeauftragter für Syrien und hat über Jahre aktiv dabei
geholfen, im syrischen Bürgerkrieg zu vermitteln. Er arbeitet als
Autor und Politikberater. Weiterhin ist er Fellow am Genfer
Institut für Sicherheitspolitik (GCSP) sowie am Osloer
Friedensforschungsinstitut (PRIO).
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