Grundsatz #38: Über die großen Erzählungen zu Europa – Symposium

Grundsatz #38: Über die großen Erzählungen zu Europa – Symposium

Europa und Mitteleuropa – was ist das eigentlich? Auf welchen geistigen Grundlagen fußen die großen Erzählungen zu Europa, welche Werte verbinden oder trennen die europäischen Gesellschaften? Das interdisziplinäre Symposium „Die großen Erzählungen zu Euro
57 Minuten

Beschreibung

vor 1 Monat

Diese Folge von „Grundsatz“ fasst die wichtigsten Ausführungen
der Vortragenden des Symposiums „Die großen Erzählungen zu
Europa“ zusammen, durch den Podcast führt wie gewohnt Moderator
Gerhard Jelinek, das Symposium wurde moderiert von Thomas Köhler
und Christian Mertens:


 


In Ihrer Begrüßung zitiert Bettina Rausch-Amon, die Präsidentin
der Politischen Akademie, einen Ausspruch des französischen
Aussenministers Robert Schuman aus dem Jahre 1950: „Der Friede
der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische
Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“ Rausch
betont die Bedeutung dieser großartigen und unvergleichlichen
Friedensidee und die Herausforderungen, mit denen diese Idee
derzeit konfrontiert ist. Die Idee des Gemeinsamen und das
grundsätzliche Bekenntnis dazu sei aber jedenfalls das
Wichtigste.


 


In ihrer Keynote spricht die Kulturwissenschaftlerin Aleida
Assmann über den „europäischen Traum“ und den Gefahren, denen die
EU als Institution und die Demokratie insgesamt derzeit
ausgesetzt sind. Dagegen steht die Kraft der EU, die sich vor
allem aus vier Lehren speist, die Assmann in ihrer Keynote
treffend beschreibt. Die EU sei nicht nur eine
Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Rechts- und
Wertegemeinschaft und eine Schutzmacht der Demokratie.


 


Die Philosophin Marie-Luisa Frick spricht über „Europa und die
umstrittenen Werte der Aufklärung“. Sie ergründet in ihrem
Beitrag, was denn das richtige Ausmaß an „Toleranz“ sein könnte.
Sie wirft die Frage auf, was aufgeklärte Toleranz sein soll und
wie weit man gehen darf, um eine tolerante Gesellschaft zu
erreichen, gerade dadurch, dass man die Intoleranz bloßstellt und
sie bekämpft. Es sei überhaupt nicht klar, was eigentlich die
Werte der Aufklärung seien, und man müsse darüber immer wieder
streiten, nachdenken und sich gemeinschaftlich damit
auseinandersetzen.


 


Der Historiker Michael Gehler spannt einen Bogen von „Europa als
Idee und Konstrukt vom Karl dem Großen bis zum Abschied von den
Vereinigten Staaten von Europa“: Es sei interessant, dass die
frühen Ideen zu Europa bereits auf spätere Europakonstruktionen
hinweisen und sich Bezüge zur Gegenwart herstellen lassen würden.
Dabei sei das Friedensmotiv ein sehr prägendes.


 


Der Politikwissenschaftler Peter Nitschke streicht in seinem
Beitrag besonders den Aspekt der „Integration Europas als
Friedensgemeinschaft“ hervor. Er betont, dass wir über den
derzeitigen Krieg in der Mitte Europas reden müssten, wenn wir
über den Frieden in Europa sprechen wollen und wirft die Frage
auf, ob wir in der Lage wären, diese Freiheit und die
Menschenrechte auch zu verteidigen. Nitschke fordert eine rasche
Schaffung einer militärischen Infrastruktur für das
„Friedensprojekt Europa“.


 


Emil Brix, Direktor der Diplomatischen Akademie Wien, referiert
in seinem Beitrag über „Österreichs Erbe und Aufgabe in
Mitteleuropa“: In einigen Ländern in Osteuropa sei die
Differenzierung vom Westen die inzwischen größere Frage als die
Differenzierung vom Osten, zumindest politisch. Brix konstatiert,
dass wir die Chancen, die eine Zusammenarbeit im
mitteleuropäischen Raum bieten würde, bisher noch nicht
ausreichend politisch genutzt hätten.


 


Die Politikwissenschaftlerin Melani Barlai referiert in ihrem
Beitrag über die Visegrád-Länder, Russland und die USA: Der
Begriff der „Zeitenwende“ impliziere nicht nur eine geopolitische
Veränderung, sondern auch eine mögliche Verschiebung der
Grundprinzipien der internationalen Ordnung. Die Positionierung
der Visegrád-Länder, insbesondere Ungarns, verdeutliche die
Spannung zwischen dem Wunsch nach sicherheitspolitischer
Stabilität durch Annäherung an die USA und dem Bestreben, eine
autonome politische und ideologische Linie zu verfolgen, mit den
Vorstellungen einiger westlicher Demokratien kollidiere. Die EU
müsse eine führende Rolle bei der Verteidigung und Förderung der
internationalen Rechtsordnung und der universalen Menschenrechte
spielen.


 


Den zweiten Tag des Symposiums eröffnet die ukrainische
Schriftstellerin und Journalistin Tanja Maljartschuk mit ihrer
Keynote „Europa im Angesicht des Ukraine-Kriegs“: Sie habe den
Eindruck, dass all die Gräueltaten und Verbrechen, die Russland
bis zum heutigen Tag in der Ukraine begangen habe, den Beweis
liefern sollten, dass der Kampf für fundamentale humanistische
Werte und das Recht, in einer freien Gesellschaft zu leben,
sinnlos und immer zum Scheitern verurteilt sei. Sie empfinde mehr
denn je die Notwendigkeit eines vereinten, wehrhaften Europas und
insbesondere eines vereinten Mitteleuropas als einen starken,
selbständigen Teil davon.


 


Der Historiker Wolfgang Müller beleuchtet in seinem Beitrag das
Verhältnis zwischen Europa und Russland. Er gibt dabei einen
spannenden Überblick über Jahrhunderte russischer Geschichte in
einem oszillierenden Verhältnis zwischen Europäisierung und
Selbstabschottung. Das Verhältnis Russland zu Europa sei seit dem
Mittelalter oder der frühen Neuzeit eine zentrale politische,
wirtschaftliche aber vor allem Identitätsfrage gewesen, so
Müller.


 


Ernst Bruckmüller, Historiker an der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften, führt in seinem Beitrag die Europäischen
Dimensionen österreichischer Geschichte aus. Er spannt dabei den
Bogen vom Mittelalter und dem Begriff des „Haus Österreich“ über
den Zerfall der Monarchie und die Neuordnung nach dem zweiten
Weltkrieg bis hin zur Neuzeit und den für das österreichische
Nationalbewusstsein wichtigen Bezugspunkten „Staatsvertrag“ und
„Neutralität“.


 


Wolfgang Sobotka, Präsident des österreichischen Nationalrats,
betont in seinem Redebeitrag die Aufgabe, über Europa zu
reflektieren. Sobotka beleuchtet in seinem Beitrag die
Fragmentierung Europas am Beispiel der verschiedenen Haltungen
zum Krieg in Gaza und betont, dass aus seiner Sicht Österreich in
der letzten Zeit einen enormen Beitrag geleistet habe, die
europäische Idee auch aus einer anderen Perspektive wieder am
Leben zu erhalten.


 


Die Politikwissenschaftlerin und Philosophin Barbra Zehnpfennig
analysiert in ihrem Beitrag die aktuellen Herausforderungen an
das europäische Modell: Dem europäischen Modell seien in den
letzten Jahren mächtige Gegner erwachsen, die keine friedliche
Koexistenz anstreben, sondern dem Westen den Kampf angesagt
hätten: Zehnpfennig nennt hier den radikalen Islam, die Großmacht
China und Russland. Es ginge diesen Gegnern nicht bloß um
Geländegewinne, sondern um das Aufbegehren gegen das
Entscheidende, wofür Europa steht, nicht zuletzt die Freiheit.

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