Überprüfung des operationalisierten Krankheitskonzepts "Atypische Depressionen" anhand einer Stichprobe leicht bis mittelgradig depressiver Patienten in der Primärversorgung

Überprüfung des operationalisierten Krankheitskonzepts "Atypische Depressionen" anhand einer Stichprobe leicht bis mittelgradig depressiver Patienten in der Primärversorgung

Beschreibung

vor 17 Jahren
Theoretischer Hintergrund: Depressionen zählen zu den häufigsten
Störungen in der Primärversorgung. Einen großen Anteil hieran haben
die atypischen Depressionen. Da depressive Patienten durch ihre
Erkrankung eine deutliche Minderung ihrer Lebensqualität erfahren,
ist entmutigend festzustellen, dass sie von Hausärzten häufig nicht
erkannt und selten richtig behandelt werden. Bei den atypischen
Depressionen, die eine besondere Untergruppe depressiver
Erkrankungen darstellen, ist das diagnostische und therapeutische
Defizit sogar als noch gravierender zu betrachten. Ein Grund dafür
könnte die immer noch bestehende Uneinigkeit bezüglich der
diagnostischen Kriterien für die atypische Depression sein.
Fragestellung und Zielsetzung: Gegenstand der Arbeit war es, anhand
einer Stichprobe von 403 depressiven Patienten aus der
Primärversorgung die bisher aufgestellten diagnostischen Konzepte
zur atypischen Depression, wie sie z.B. im DSM-IV beschrieben
worden sind, auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen und besonders
häufige und seltene Symptomkonstellationen sowie wichtige von
weniger wichtigen Symptomen zu unterscheiden. Als
Nebenfragestellung wurden Prävalenz, Geschlechter-,
Altersverteilung und Schweregrad der atypischen Depression
untersucht. Methodik: Die erhobenen Daten wurden in Kooperation mit
etwa 20 hausärztlichen Praxen gewonnen. Der Schweregrad der
Depression wurde mit zwei Fremdbeurteilungsskalen (IDS und HAM-D)
bewertet. Überzufällig häufig oder selten auftretende Symptommuster
wurden mittels Konfigurationsfrequenzanalyse (CFA) identifiziert.
Die Definition der atypischen Depression, der diese Untersuchung zu
Grunde liegt, lehnte sich im wesentlichen an das DSM-IV an. Je
nachdem sich die Stimmung des Patienten nach positiven Ereignissen
aufhellte, wurde eine engere Definition der atypischen Depression
(Stimmungsaufhellung bis zum Normalbefinden) und eine weiter
gefasste (Stimmung des Patienten hellte sich zwar auf,
Normalbefinden wurde jedoch nicht erreicht) unterschieden.
Zusätzlich zur Stimmungsreaktivität mussten mindestens zwei der
vier Nebenkriterien der atypischen Depression gem. DSM-IV erfüllte
werden. Ergebnisse: Unter Zugrundelegung der enger gefassten
("harten") Definition wurden fünf atypisch depressive Symptommuster
identifiziert, die mit einer Häufigkeit von 8,5% bis 28,3%
auftraten. Unter Zugrundelegung der weiter gefassten ("weichen")
Definition wurden vier atypisch depressive Symptommuster mit einer
Häufigkeit von 11,0% bis 35,8% gefunden. Die affektive
Schwingungsfähigkeit depressiver Patienten in der Primärversorgung
ist gem. den Ergebnissen einer hierarchischen CFA relativ selten
mit Sensitivität bei Zurückweisung oder bleierner Lähmung, jedoch
häufig mit Hypersomnie oder Hyperphagie assoziiert. Es wurde eine
Prävalenz für 26,3% für die harte Definition und von 61% für die
weiche Definition gefunden. Bezüglich der Geschlechterverteilung
konnte kein signifikanter Unterschied zwischen der atypisch
depressiven und der nicht atypisch depressiven Gruppe festgestellt
werden. Bei Anwendung der weichen Definition war die atypische
Gruppe signifikant jünger als die Vergleichsgruppe. Beim harten
Kriterium ergab sich ein geringerer Schweregrad in der Gruppe der
atypisch Depressiven, verglichen mit den nicht atypisch
Depressiven. Schlussfolgerung und Ausblick: Die hohen
Prävalenzraten, die in dieser Studie gefunden wurden, stimmen mit
den Ergebnissen der Studien zahlreicher anderer Autoren überein und
betonen die Bedeutung der atypischen Depression für die
Primärversorgung. Da der Schweregrad bei Patienten mit atypischer
Depression unter Anwendung des harten Kriteriums signifikant
niedriger als bei Patienten mit nicht atypischer Depression war,
aber bei Anwendung des weichen Kriteriums kein signifikanter
Unterschied beim Schweregrad festgestellt werden konnte, könnte man
daraus schließen, dass Patienten, die beim Eintritt von positiven
Ereignissen eine volle Aufhellung der Stimmung bis zum
Normalbefinden erreichen, zu einer leichteren Form der atypischen
Depression tendieren. Dies legt den Schluss nahe, dass die
Stimmungsreaktivität ein Indikator für den Schweregrad der
atypischen Depression sein könnte. Das Konzept der atypischen
Depression hat sich historisch aus der Tatsache entwickelt, dass
atypisch depressive Patienten im Gegensatz zu nicht atypisch
depressiven besser auf MAO-Hemmer als auf TCAs ansprechen. Daher
wären Studien zur pharmakotherapeutischen Response geeignet, die
Kriterien der atypischen Depression näher zu bestimmen. Um bei der
Erkennung und Diagnosestellung - speziell der atypischen Depression
- den Ärzten in der Primärversorgung konkrete Diagnosehilfen
anbieten zu können, sollte darauf hingewiesen werden, dass nicht
nur Symptome wie Schlaflosigkeit oder Gewichtsverlust, sondern auch
umgekehrt vegetative Symptome wie Hypersomnie und Hyperphagie auf
eine Depression hindeuten können. Schulungen und Fortbildungen
können dazu beitragen, die Erkennungsrate depressiver Erkrankungen
in der Primärversorgung zu erhöhen.

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