003 - "The Maniac" von Benjamín Labatut

003 - "The Maniac" von Benjamín Labatut

1 Stunde 10 Minuten

Beschreibung

vor 4 Wochen

The MANIAC – Wenn das Denken den Menschen
überholt


In dieser Folge von „Books & Bolo“ sprechen Ralph Kühnl und
Johannes Tröger über Benjamín Labatuts Roman The MANIAC – ein
literarisch erzähltes Panorama aus Wissenschaftsgeschichte,
Charakterstudien und Gegenwartsbezug.


Worum geht’s in unserer Reihe? Um Wandel: Revolutionen,
Evolutionen, Transformationen – epochen- und genreübergreifend.
The MANIAC fügt sich ideal ein, weil es genau diesen Wandel am
Denken selbst zeigt. Ralph liest mit „Second Screen“: Während der
Lektüre googelt er Figuren, Begriffe, Hintergründe – wie bei
einem interaktiven Doku-Film. Johannes ordnet ein: Literatur kann
mehr als Sachbücher, wenn es um Ambivalenzen geht – sie erlaubt
Stimmenvielfalt, Brüche, Widersprüche.


Der Roman ist kein chronologisches Porträt, sondern eine Collage
aus Perspektiven. Drei Figuren markieren drei Epochen und drei
Aggregatzustände des Denkens:


Paul Ehrenfest steht als Prolog für das Ende der
Gewissheit. Der Physiker, vereint mit der alten, „begreifbaren“
Welt der klassischen Physik, prallt auf Quantenparadoxien und
einen politischen Epochenbruch. Er zerbricht – persönlich und
sinnbildlich. Das Buch setzt damit den Ton: Erkenntnis hat einen
Preis.


John von Neumann ist der Kern des Buches und
unserer Diskussion. Universalgenie aus Budapest, brillant,
charmant, gnadenlos rational – der Mann, der Computerarchitektur,
Spieltheorie und die Logik nuklearer Abschreckung maßgeblich
prägt. Labatut lässt ihn fast nie selbst sprechen; er erscheint
in den Spiegelungen anderer (Gödel, Einstein, Oppenheimer,
Klara). Schlüsselstelle: Gödels Unvollständigkeitssatz beendet
die Hoffnung auf eine widerspruchsfreie, vollständige
Grundlegung. Von Neumann wird pragmatisch – und gefährlich
wirksam: Rechnen statt trösten, Systeme statt Seelen. „MANIAC“
ist Maschine und Metapher zugleich: das kalte, effiziente Denken,
das unsere Moderne gebaut hat.


Lee Sedol bildet den Epilog und die Brücke in
die Gegenwart. 2016 verliert der Go-Weltmeister gegen AlphaGo.
Nicht nur Technik siegt, sondern eine „fremde“ Kreativität, die
kein Mensch zuvor gespielt hat. Sedols legendärer „Move 78“
bringt einen Moment Menschenglanz – doch das Match kippt. Kurz
danach beendet er seine Karriere. Für uns ist das die Frage im
Heute: Ist KI die logische Fortsetzung von Neumanns Denken – oder
bereits etwas qualitativ Neues?


Wir sprechen darüber, warum Labatut genau diese drei Figuren
wählt und sie so unterschiedlich gewichtet: Ehrenfest kurz als
emotionale Ouvertüre, von Neumann als langes Gravitationszentrum,
Sedol als knappes, aber zwingendes Gegenwartsecho. Wir reden über
die Kraft der Polyphonie (viele Stimmen statt Ein-Erzähler), über
die Grenze zwischen Doku und Dichtung, über Fortschrittsglauben
der 50er/60er und die Beschleunigung heutiger KI-Entwicklung. Und
über eine simple Einsicht: Klugheit ist nicht automatisch
Gewissen. Literatur kann das zeigen, weil sie aushält, was sich
nicht planquadratisch erklären lässt.


Unsere Takeaways:
– Der Roman erklärt Wissenschaft, indem er Menschen zeigt.
– „Second Screen“-Lesen vertieft das Verständnis – und macht
Spaß.
– Vom Zweifel (Ehrenfest) über Konstruktion (von Neumann) zur
Simulation (AlphaGo) spannt Labatut den Bogen bis ins
Jetzt.
– Die Leitfrage bleibt: Was bleibt vom Menschen, wenn das Denken
ohne uns funktioniert?


Zum Schluss der Ausblick: In der nächsten Folge springen wir
3.000 Jahre zurück – Eric H. Cline, 1177 v. Chr. – Der erste
Untergang der Zivilisation. Exogene Schocks, vernetzte Systeme,
Kollaps: Wandel ohne „Genie“ im Zentrum. Bis dahin: abonnieren,
bewerten, weiterempfehlen – und gern Feedback schicken. Crocs
optional.

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