KOA042 Wissensmanagement meets Künstliche Intelligenz
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Beschreibung
vor 3 Monaten
In dieser Episode 42 des Knowledge on Air Podcasts
diskutieren Simon und Ulrich nach eineinhalb Jahren Pause den
Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf das Wissensmanagement.
Sie analysieren systematisch alle Bausteine des
Wissensmanagements von Probst et.al. und zeigen auf, wie
KI-Technologien jeden einzelnen Bereich revolutionieren können -
von der Zielformulierung über die Wissensidentifikation bis hin
zur Bewertung. Dabei werden sowohl die enormen Chancen als auch
kritische Aspekte wie Datenschutz und die Notwendigkeit
menschlicher Kontrolle beleuchtet.
Renaissance des Wissensmanagements durch demografischen Wandel
Das Thema Wissensbewahrung erlebt derzeit eine bemerkenswerte
Renaissance, die hauptsächlich durch den demografischen
Wandel getrieben wird. Nach jahrzehntelangen Zyklen, in
denen Wissensmanagement immer wieder aufkam und dann abflaute,
ist nun eine neue Ernsthaftigkeit zu beobachten. Der Grund liegt
in der unmittelbar bevorstehenden Pensionierung der
Baby-Boomer-Generation.
Die Zahlen sind alarmierend: Bis Mitte der 2030er
Jahre werden zweistellige Millionenanzahlen von
erfahrenen Fachkräften aus dem Berufsleben ausscheiden. Was
früher noch als “ferne Zukunft” galt, ist nun so nah, dass
Organisationen endlich handlungsleitend werden. Der Schmerz des
drohenden Wissensverlusts ist zu groß geworden, um das Thema
weiter zu ignorieren.
Gleichzeitig bietet die rasante Entwicklung der KI-Technologie
neue Möglichkeiten, diese verlorene Zeit aufzufangen. Anders als
bei früheren Technologien wie dem Internet oder Smartphones, die
Jahre brauchten, um in Unternehmen anzukommen, hat sich
Künstliche Intelligenz erstaunlich schnell
etabliert. Während früher eine Technologie zehn Jahre brauchte,
um vom Internet ins Intranet zu gelangen, ist dieser Prozess bei
KI deutlich beschleunigt.
Wissensziele: KI als strategischer Sparringspartner
Bei der Formulierung von Wissenszielen erweist
sich KI als außergewöhnlich wertvoller Sparringspartner. Durch
Methoden wie Future Backwards können Führungskräfte gemeinsam mit
KI strategische Ziele entwickeln. Die KI fungiert dabei ähnlich
wie ein menschlicher Berater, hat aber den Vorteil, dass sie
Zugang zu einem komprimierten Ausschnitt des gesamten
dokumentierten Weltwissens besitzt (s.a. Vortrag von Simon auf
der loscon25).
Besonders wertvoll ist die Fähigkeit der KI zum “Rollenspiel”.
Man kann sie anweisen, nacheinander in die Rollen verschiedener
Experten zu schlüpfen - etwa Peter Drucker, Sigmund Freud und
Helmut Willke - und ein Streitgespräch zu führen, um neue
Perspektiven auf Problemstellungen zu entwickeln. Dies
hilft dabei, die eigenen fachlichen Scheuklappen zu überwinden.
Kritisch zu beachten ist jedoch, dass die Qualität der
Ergebnisse stark von der Datenbasis abhängt. Bei
Frontline-Modellen wie GPT,
Gemini oder Claude ist nicht
transparent, auf welchen Daten sie trainiert wurden. Es besteht
die Gefahr von Bias, beispielsweise durch die Überrepräsentation
bestimmter Bevölkerungsgruppen in den Trainingsdaten. Daher ist
eine kritische Bewertung und menschliche Kontrolle
(“Human in the Loop”) unerlässlich.
Wissensidentifikation: Yellow Pages 5.0 und stille Experten
Die Wissensidentifikation erfährt durch KI eine
fundamentale Transformation. Zwei Hauptanwendungsbereiche stechen
hervor: Das Roleplay für verschiedene Perspektiven und die
automatisierte Recherche durch Research-Agenten.
Research-Agenten können eigenständig Internet-Recherchen
durchführen, Informationen vergleichen und zusammenstellen.
Aufgaben wie “Was haben die DAX 30 in den letzten zehn Jahren
über Wissensmanagement in ihren Geschäftsberichten geschrieben?”
können sie viel effizienter erledigen als Menschen.
Besonders wertvoll ist die Identifikation von Kompetenzträgern -
eine moderne Version der klassischen Yellow Pages. Durch die
Analyse von Community-Plattformen, Diskussionsverläufen und
E-Mail-Verkehr können “stille Experten” identifiziert werden -
introvertierte Fachkräfte, die zwar über enormes Wissen verfügen,
aber in einer von Selbstdarstellung geprägten Arbeitswelt oft
übersehen werden.
Diese KI-basierte Expertise-Identifikation bietet “Street
Credibility“, da sie auf tatsächlicher Hilfsbereitschaft und
Problemlösung basiert, nicht auf lauter Selbstvermarktung.
Wichtig sind dabei Datenschutz-konforme Ansätze,
bei denen Betroffene selbst entscheiden können, ob und wie sie
als Experten sichtbar werden möchten.
Wissenserwerb: Komprimiertes Weltwissen als strategischer
Vorteil
Beim Wissenserwerb ermöglicht KI den Zugang zu
einer komprimierten Version des dokumentierten
Weltwissens zu einem relativ überschaubaren Preis. Dies
entspricht der “Boundaryless Organization“ von Jack Welch bei
General Electric - der Idee, dass es egal ist, wer auf der Welt
eine gute Idee hat, solange man sie für die eigene Organisation
nutzen kann.
Für Unternehmensübernahmen eröffnet KI neue Möglichkeiten der
“kulturellen Due Diligence”. Traditionell
konzentriert sich die Prüfung auf Finanzkennzahlen, aber KI
könnte helfen, Unternehmenskulturen zu vergleichen und die
Integrierbarkeit zu bewerten. Dies ist kritisch, da viele
Übernahmen scheitern, weil Schlüsselpersonal aufgrund kultureller
Inkompatibilität das Unternehmen verlässt.
Wissensentwicklung: Kontinuierliche Aktualisierung und
Szenario-Planung
Die Wissensentwicklung profitiert enormt von KIs
Fähigkeit zur kritischen Prüfung bestehender Praktiken.
Regelmäßige Reviews von Leitfäden, Checklisten und
Prozessbeschreibungen können zeigen, ob diese noch dem Stand der
Technik entsprechen. Obwohl KI-Modelle einen Knowledge Cutoff
haben, sind sie dennoch viel näher am aktuellen Wissensstand als
die meisten Praktiker.
Besonders wertvoll ist das Durchspielen von Szenarien: “Wie
würden wir es machen, wenn alle Firmen KI-Chatbots hätten?” oder
“Wie hätte man es vor 100 Jahren gemacht?” Diese
Szenario-Analysen helfen bei der Entwicklung von
Transformationspfaden und der Identifikation notwendiger
Lernfelder.
KI ermöglicht es auch, die gleichen Inhalte für verschiedene
Zielgruppen aufzubereiten - vom Top-Management über den
Betriebsrat bis zu Mitarbeitern am Fließband. Diese Fähigkeit zur
zielgruppenspezifischen Kommunikation ist für die Verbreitung von
Wissensmanagement-Initiativen von unschätzbarem Wert.
Wissensverteilung: Personalisierte Information und KI-Sidekicks
Die Wissens(ver-)teilung wird durch KI
fundamental verändert. Statt statischer PDF-Dokumente können
Nutzer interaktive Dateien erhalten, mit denen sie über ihre
KI-Systeme direkt kommunizieren können. Dies bringt sie viel
näher an die tatsächlich benötigte Information heran.
Ein kritisches Thema ist die Informationsflut. KI kann helfen,
Push-Kommunikation zu personalisieren und von Zielgruppen- auf
Individualebene zu bringen. Newsletter und Inhalte können
automatisch gefiltert und zusammengefasst werden, basierend auf
persönlichen Interessensprofilen.
Besonders spannend sind KI-Sidekicks, die
proaktiv Vorschläge machen: “Hast du schon mal darüber
nachgedacht, dass dieser Aspekt für deine Arbeit relevant sein
könnte?” Wichtig ist dabei die Begründung - nicht nur was
empfohlen wird, sondern auch warum.
Der Trend geht zu autonomen KI-Agenten, die
nicht nur reaktiv auf Anfragen antworten, sondern proaktiv
agieren können. Diese könnten beispielsweise automatisch
erkennen, wenn neue relevante Literatur erscheint, und
entsprechende Empfehlungen aussprechen.
Wissensnutzung: Systematische Integration in Arbeitsprozesse
Für die systematische Integration von KI in die
Wissensnutzung bietet das WINS-Framework (Words,
Images, Numbers, Sounds) der Harvard Business Review eine
wertvolle Orientierung. Es analysiert, wie viel Prozent der
Arbeit aus WINS-Aktivitäten besteht und wie stark digitalisiert
diese sind.
Jobs mit hohem WINS-Anteil und hoher Digitalisierung befinden
sich “in the crucible” - hier wird sich in den
nächsten Jahren alles fundamental ändern. Umgekehrt können
Bereiche mit niedrigem WINS-Anteil und geringer Digitalisierung
die Entwicklung zunächst “vom Balkon aus”
beobachten.
Diese Systematik hilft dabei, Wissensarbeit zu analysieren und KI
gezielt einzusetzen - entweder für Automation
(KI übernimmt Aufgaben vollständig) oder
Augmentation (KI unterstützt Menschen bei ihren
Aufgaben).
Wissensbewahrung: Von Expert Debriefings zu interaktiven
Wissenssystemen
Die Wissensbewahrung z.B. mit Expert Debriefing
erfährt durch KI eine Revolution. Statt mühsamer
Dokumentationsaufgaben für ausscheidende Experten können
podcast-ähnliche Gesprächsrunden durchgeführt werden. Experten
diskutieren in entspannter Atmosphäre über Themen wie “Was in
Projekten immer schief geht” oder “Umgang mit schwierigen
Kunden”.
Diese Gespräche werden automatisch transkribiert, zusammengefasst
und in interaktive KI-Systeme überführt. Das Ergebnis: Neue
Mitarbeiter können spezifische Fragen stellen (“Erstelle einen
Einarbeitungsplan für Kraftwerksprojekte in Indonesien”) und
erhalten maßgeschneiderte Antworten basierend auf Jahrzehnten
gesammelter Erfahrung.
Der Vorteil liegt in der Kombination aus strukturierter
Dokumentation und der Bewahrung von Storytelling-Elementen.
Audio-Aufnahmen bleiben als Quelle verfügbar, sodass bei Bedarf
die ursprünglichen Expertenaussagen nachgehört werden können.
Auch die Integration von Dokumentensammlungen wird
revolutioniert. Statt dass neue Mitarbeiter hunderte von
Dokumenten durcharbeiten müssen, können sie gezielt Fragen
stellen und erhalten kontextbezogene Antworten aus dem gesamten
Dokumentenbestand.
Wissensbewertung: Qualitative Bewertung und Szenario-Vergleiche
Bei der Wissensbewertung ist Vorsicht geboten.
Quantitative, monetäre Bewertungsmodelle, die KI-basiert
Euro-Beträge für “Wissensassets” berechnen, sind problematisch,
da die Entstehung der Ergebnisse nicht nachvollziehbar ist.
Vielversprechender ist der qualitative Ansatz über
Szenario-Vergleiche. KI kann verschiedene Handlungsalternativen
durchspielen und deren Auswirkungen analysieren. Entscheidend ist
dabei nicht nur das “Was”, sondern vor allem das “Warum” - die
Begründung für Empfehlungen muss nachvollziehbar und von
menschlichen Experten validierbar sein.
Für das Maßnahmen-Controlling bietet KI große Potenziale.
Regelmäßige Erinnerungen, automatische Fortschrittsabfragen und
die Analyse von Umsetzungshindernissen können dabei helfen,
Wissensmanagement-Initiativen konsequent zu verfolgen und bei
Bedarf anzupassen.
Die Wissensbilanz als etabliertes Bewertungsinstrument kann durch
KI-Sidekicks bei Transkription und Zusammenfassung unterstützt
werden. Der Kern - der Dialog zwischen Menschen - sollte jedoch
unverändert bleiben, da er den eigentlichen Wert der Methode
ausmacht.
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