Zwischen Wahrheit und Lüge – Die Last der Klarheit. Wahrheit, Lüge und die feine Linie dazwischen – ein ehrlicher Blick auf Ehrlichkeit

Zwischen Wahrheit und Lüge – Die Last der Klarheit. Wahrheit, Lüge und die feine Linie dazwischen – ein ehrlicher Blick auf Ehrlichkeit

8 Minuten

Beschreibung

vor 5 Monaten

Du kennst das bestimmt: Es ist viel einfacher, die Wahrheit zu
sagen. Zumindest im ersten Moment scheint es so. Du musst dir
nichts merken, nichts konstruieren, nichts künstlich
aufrechterhalten. Die Wahrheit ist da, sie steht für sich. Doch
was, wenn die Wahrheit unbequem ist? Was, wenn du mit der
Wahrheit nicht geliebt wirst? Oder schlimmer: Wenn du dich selbst
nicht mehr lieben kannst, wenn du sie aussprichst?


Viele Menschen sagen, sie wollen Ehrlichkeit. Aber was sie
wirklich wollen, ist eine gefilterte Version davon – sanft genug,
um nicht zu verletzen, klar genug, um nicht dumm zu wirken.
Ehrlichkeit ist keine Tugend mehr, sondern ein Drahtseilakt
zwischen Mitteilung und Mitleid.





Lügen ist ein Kraftakt. Du musst dir etwas ausdenken, es
emotional verankern, damit du glaubwürdig bleibst, und das
schlimmste: Du musst es dir merken. Und wenn du Pech hast,
verstrickst du dich in deinem Netz. Du kennst es vielleicht: Du
sagst etwas Unwahres, um dich zu schützen – und schon am nächsten
Tag weißt du nicht mehr, was du gesagt hast. Das erzeugt Druck,
Angst, Scham. Und vor allem: es zieht dich von dir selbst weg.


In einer Welt, in der Selbstoptimierung das höchste Gut zu sein
scheint, ist Authentizität paradoxerweise revolutionär geworden.
Dein Herz auf der Zunge zu tragen, das ist nicht nur Mut – es ist
Widerstand. Gegen die Anpassung, gegen die Masken, gegen das
große Schweigen.


Das Schweigen ist eine der brutalsten Formen der Lüge. Es
verletzt tief, manchmal tiefer als Worte es je könnten. Denk an
unbeantwortete Nachrichten, an Fragen, die in der Luft hängen
bleiben. Dieses Schweigen hat nichts mit Ruhe zu tun – es ist
laut, kalt und tödlich. Julien Green beschrieb es als das böse
Schweigen – ein Schweigen, das nicht nur isoliert, sondern auch
tötet. Nicht körperlich vielleicht, aber seelisch.


Hast du schon einmal gespürt, wie dich das Schweigen eines
Menschen zersetzt hat? Wie es dich zweifeln ließ – an dir, an
deiner Wahrheit, an deinem Wert? Dieses Schweigen kann zu einer
Selbstlüge führen: "Ich bin nicht wichtig." Dabei ist es oft die
andere Person, die mit ihrer eigenen Wahrheit nicht umgehen kann.


Was aber, wenn das, was du für die Wahrheit hältst, gar nicht
objektiv existiert? Was, wenn es sich nur um deine Wahrnehmung
handelt? Zwei Menschen können das Gleiche erleben – und doch eine
völlig unterschiedliche Wahrheit daraus ziehen. Die eigene
Wahrheit ist kein absolutes Konstrukt. Sie ist ein Gefühl, ein
Filter, durch den wir die Welt sehen.


Vielleicht kennst du diese Situation: Du sagst etwas in völliger
Offenheit – und dein Gegenüber reagiert verletzt oder wütend. Für
dich war es ehrlich, für die andere Person war es ein Angriff.
Worte sind mächtig, aber sie sind auch unpräzise. Zwischen dem,
was du meinst, und dem, was ankommt, liegt ein ganzer Ozean aus
Subtext, Erfahrungen und Ängsten.


Wenn du lügst, gibst du einen Teil deiner Macht ab. Du wirst
abhängig – von der Reaktion, vom Narrativ, vom äußeren Schein. Du
beginnst, dich nach außen zu richten statt nach innen. Du lebst
nicht mehr dein Leben, sondern das, von dem du glaubst, dass es
von dir erwartet wird. Die Lüge macht dich fremdbestimmt, auch
wenn sie sich zunächst wie Kontrolle anfühlt.


Und genau da liegt die Ironie: Die Wahrheit zu sagen – so brutal,
so unbequem, so verletzlich das sein kann – ist letztlich der
einzige Weg zur Eigenbestimmung. Du bestimmst dann nicht nur, was
du sagst, sondern auch, wie du dich fühlst und wie du in dieser
Welt stehen willst.


Aber sie hat auch ihre Schattenseiten: Nicht jeder ist bereit,
deine Wahrheit zu hören. In einer Gesellschaft, die zwischen
Social Media-Filterblasen und Cancel Culture schwankt, ist es
gefährlich geworden, ehrlich zu sein. https://markusflicker.com/

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