Montenegro – Verfall inmitten wilder Schönheit

Montenegro – Verfall inmitten wilder Schönheit

7 Minuten

Beschreibung

vor 7 Monaten

Wenn du nach Montenegro reist, betrittst du ein Land, das sich
wie ein stilles Echo seiner eigenen Geschichte anfühlt. Es ist
nicht groß, kaum so groß wie Schleswig-Holstein, aber es trägt in
seinen Bergen, an seiner Adriaküste und in seinen vergessenen
Orten eine Schwere und Schönheit, die dich als Urban Explorer
sofort in ihren Bann ziehen wird. Montenegro ist ein Land der
Kontraste: wilde Natur, tief verwurzelte Traditionen und
gleichzeitig ein Ort, an dem der Zerfall in mancher Hinsicht mehr
erzählt als jedes Museum oder Denkmal.


Du stehst zum ersten Mal vor einem Relikt aus der Zeit
Jugoslawiens. Vielleicht ist es ein verlassener Ferienkomplex an
der Küste, wie der einstige Eliten-Urlaubsort „Hotel Fjord“ in
Kotor, der heute von Unkraut überwuchert und von Meeresluft
zerfressen nur noch Schatten seiner selbst ist. Oder es ist ein
Monument in Beton gegossen, wie der verlassene
Luftwaffenstützpunkt Željava an der Grenze zu Kroatien, von dem
ähnliche Objekte auch im montenegrinischen Hinterland zu finden
sind. Diese Bauwerke waren einst Symbole für Fortschritt und
Macht, heute wirken sie wie Science-Fiction-Ruinen. Du fühlst
dich wie ein Zeitreisender, der in eine utopische Vergangenheit
blickt, die nie ganz eingelöst wurde.


Die jugoslawische Moderne, mit ihren brutalistischen Bauwerken
und monumentalen Skulpturen, ist für dich als Fotografin oder
Filmemacherin ein endloses Feld der Inspiration. Die
Linienführung, die architektonische Strenge, die oft
menschenleeren Kulissen – sie erzählen Geschichten von Ideologie,
Verfall und Stille. Es ist fast so, als würde der Beton selbst
mit dir sprechen wollen.


Wenn du mit der Kamera durch die zerbrochenen Fenster eines
einstigen Sanatoriums steigst oder vorsichtig über den morschen
Boden eines leerstehenden Kulturhauses gehst, beginnst du zu
verstehen, warum Montenegro so besonders ist für urbane
Erkundung. Hier zerfällt die Geschichte nicht einfach – sie lebt
weiter im Klang der abblätternden Farbe, im Knistern von Staub
unter deinen Schuhen und in der gespenstischen Ruhe, die du nur
in einem Ort findest, der vergessen wurde. Für das filmische
Arbeiten ergeben sich dadurch großartige Atmosphären. Lange,
ruhige Kamerafahrten durch leere Schwimmhallen, das Spiel von
Licht und Schatten in verlassenen Fluren oder das Klirren von
Glasscherben, das im Nachhall der Berge verloren geht – du kannst
in Montenegro mit wenigen Mitteln große Wirkung erzielen.


Doch nicht alles bleibt ewig verloren. Die Aufmerksamkeit auf
Lost Places in Montenegro wächst – nicht zuletzt durch
Influencer, Reisefotografen und TikTok-Videos, die auf einmal
Orte zeigen, die jahrzehntelang niemand betreten hat. Während das
für dich als Urbexer*in spannend ist, bringt es auch Risiken mit
sich: Zunehmende Vermüllung, Vandalismus und fehlender Respekt
vor diesen stillen Denkmälern der Vergangenheit werden zum
Problem. Du spürst das Dilemma in dir – du willst entdecken,
zeigen und dokumentieren, aber auch bewahren und schützen.


Gleichzeitig gibt es Initiativen, die versuchen, diese Ruinen
kulturell zu bewerten und neu zu beleben. Einige verlassene
Industrieanlagen oder Hotels sollen in Kunstorte verwandelt
werden – Projekte, bei denen urbane Erkundung zur Brücke zwischen
Vergangenheit und Zukunft wird. Auch die EU-Förderprogramme zur
kulturellen Infrastruktur in den Westbalkanländern spielen eine
Rolle. Du könntest dich in deinem Projekt sogar mit solchen
Entwicklungen auseinandersetzen – dokumentarisch oder
essayistisch.


Montenegro hat noch viele Orte, die nicht auf Instagram zu finden
sind. Alte Minen im Norden, sowjetisch anmutende Wohnkomplexe,
die langsam leergezogen werden, militärische Sperrgebiete in den
Bergen oder Küstenbefestigungen aus der Zeit des Kalten Kriegs –
manche von ihnen sind nur über Schotterpisten oder nach langen
Wanderungen erreichbar.


Du bist hier nicht einfach Tourist mit Kamera. Du bist
Beobachter, Entdecker, Zuhörer.

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